Was hat sich ein Jahr nach dem Papstbesuch in Kanada getan?

Aussöhnung braucht Zeit

Ein gutes Jahr ist seit der "Buß-Pilgerreise" des Papstes nach Kanada vergangen. Damals bat Franziskus um Vergebung für Misshandlungen und Missbrauch in kirchlichen Schulen für indigene Kinder, den sogenannten "Residential Schools".

Autor/in:
Roland Juchem
Papst Franziskus spricht in einem Wortgottesdienst bei einer Pilgerfahrt am Lac Sainte Anne in Kanada / © Paul Haring/CNS photo (KNA)
Papst Franziskus spricht in einem Wortgottesdienst bei einer Pilgerfahrt am Lac Sainte Anne in Kanada / © Paul Haring/CNS photo ( KNA )

Anlass für den Papstbesuch im Sommer 2022 waren Funde anonymer Kindergräber auf den Geländen früherer Residential Schools. Von den 1830er bis in die 1980er Jahre sollten in den vielfach von katholischen Orden im Auftrag des Staates betriebenen Internaten indigene Kinder auch der europäischen Lebensweise angepasst werden.

Sie durften ihre Sprache nicht sprechen, ihre Kultur nicht leben und sahen monatelang ihre Angehörigen nicht. Viele starben wegen mangelnder medizinischer Versorgung an Krankheiten, Fehlernährung oder auch Misshandlung. Mehrfach hatte Franziskus das Unrecht benannt und um Vergebung gebeten, war damit aber auf unterschiedliche Reaktionen gestoßen.

Außergewöhnlicher Schritt der Demut

Ein Jahr später hat der Papstbesuch aus Sicht der Kirche Früchte getragen. Franziskus habe mit seiner Reise "einen außergewöhnlichen Schritt der Demut gezeigt", was auch "von indigenen Brüdern und Schwestern sehr geschätzt" werde, sagte etwa der Vorsitzende der Kanadischen Bischofskonferenz, Raymond Poisson, unlängst dem Portal "Vatican News".

Auch der kanadische Botschafter beim Heiligen Stuhl, Paul Gibbard, bestätigte im Gespräch mit "Radio Vatikan", dass die Papstreise vor einem Jahr den Initiativen mit dem Ziel der Aussöhnung großen Auftrieb gegeben habe.

Papst Franziskus begrüßt einen indigenen Vertreter bei seiner Ankunft am Internationalen Flughafen Edmonton am 24. Juli 2022 in Edmonton, Kanada.  / © Romano Siciliani (KNA)
Papst Franziskus begrüßt einen indigenen Vertreter bei seiner Ankunft am Internationalen Flughafen Edmonton am 24. Juli 2022 in Edmonton, Kanada. / © Romano Siciliani ( KNA )

Im Februar hatten Kanadas Bischöfe je eigene Hirtenbriefe an die First Nations, Metis und Inuit geschickt, jene Volksgruppen, die unter der Eroberung durch europäische Siedler und deren Assimilierungsmaßnahmen am meisten gelitten haben. In relativ groben Zügen legten die Bischöfe dar, wie sie "eine neue Ära der Versöhnung" mit den indigenen Völkern des Landes einleiten wollen.

Im Wesentlichen geht es ihnen darum, den Dialog zu vertiefen und zur Bewältigung sozialer Probleme stärker mit Gemeindevorstehern zu kooperieren. Auch setzen sie auf mehr Bildung, Einbindung indigener Jugendlicher und Unterstützung von Lobbyarbeit.

Einen 30-Millionen-Dollar-Hilfsfonds angekündigt

Bereits 2021 hatten die Bischöfe einen 30-Millionen-Dollar-Hilfsfonds angekündigt. Aus dem sollten fünf Jahre lang "Initiativen zu Heilung und Versöhnung für Überlebende der Residential Schools, ihre Familien und Gemeinschaften" unterstützt werden. Bislang habe der Fonds allerdings nur ein Drittel der erwarteten Mittel beschaffen können und warte auf weitere Unterstützung, berichtete das US-Portal Crux im März.

Wie Franziskus sich Neuanfang und Versöhnung vor allem vorstellt, hatte er während seiner Reise in Edmonton in einer Pfarrei formuliert, zu der indigene Kanadier wie Nachkommen europäischer Einwanderer gehören: "Gesten und Besuche mögen wichtig sein, aber die meisten Worte und Aktivitäten der Versöhnung finden vor Ort statt, in Gemeinschaften wie dieser, wo Menschen und Familien Tag für Tag Seite an Seite leben."

Papst Franziskus auf "Buß-Reise" in Kanada / ©  John Locher (dpa)
Papst Franziskus auf "Buß-Reise" in Kanada / © John Locher ( dpa )

Wie notwendig dies ist, belegt eine jüngste Veröffentlichung des kanadischen Statistikbüros in Ottawa. Dieser zufolge haben indigene Kanadier deutlich häufiger als andere Probleme mit der Justiz, erleben Zerwürfnisse in der Familie oder erfahren Diskriminierung durch andere.

Als Faktoren nennt die Studie "Serious problems or disputes experienced by First Nations people living off reserve, Metis, and Inuit living in the provinces": Kolonialisierung, Auswirkungen generationsübergreifender Traumata sowie bestehende sozioökonomische Ungleichheiten. So war beispielsweise der Anteil der Personen, die ernste Probleme mit Diskriminierung hatten, unter First Nations und Inuit etwa viermal so hoch und unter Metis, den Nachkommen von Indigenen und Einwanderern, zweieinhalbmal so hoch wie unter nicht indigenen Personen.

Überproportional betroffen waren Indigene auch von den außergewöhnlich weitflächigen Waldbränden der vergangenen Wochen in Kanada. Rauchschwaden hatten selbst New York City verdunkelt und waren in großen Höhen bis nach Europa gezogen. Da viele Lebensregionen von Indigenen in abgelegenen Regionen liegen und ihre Lebensweise vielfach stärker mit der Natur verwoben ist, hatten überproportional viele Haus und Hof verloren.

Aussöhnung wird dauern

Dass auch staatliche Aussöhnung lange dauern kann, belegt ein Beispiel aus der vergangenen Woche. So will die Regierung in Ottawa nun endlich insgesamt 37 Millionen kanadische Dollar an Gemeinschaften der First Nations in Saskatchewan zahlen. Es handelt sich um einbehaltene staatliche Rentenzahlungen aus mehreren Jahrzehnten. Der Grund dafür, so Ottawa, sei die mutmaßliche Teilnahme der betreffenden Gemeinschaften am sogenannten Nordwest-Aufstand von Metis und First-Nations-Verbündeten im Jahr 1885 gewesen.

Papst Franziskus (M) begrüßt Indigene nach seiner Ankunft in Iqaluit während seines Besuchs in Kanada / © Nathan Denette (dpa)
Papst Franziskus (M) begrüßt Indigene nach seiner Ankunft in Iqaluit während seines Besuchs in Kanada / © Nathan Denette ( dpa )

Während seines Kanada-Besuchs war Franziskus immer wieder aufgefordert worden, nicht nur wegen der anonymen Kindergräber die Verbrechen an den Indigenen auch als "Völkermord" zu brandmarken. Auf dem Rückflug nach Rom nahm der Papst dann den Begriff "Genozid" in den Mund: Das "Böse, das von so vielen Christen an den indigenen Bevölkerungen begangen wurde" - "es stimmt; ja, es ist Völkermord."

Um weitere, bisher unentdeckte Kindergräber an ehemaligen Residential Schools zu finden, haben inzwischen Forensiker aus Guatemala den Kanadiern Hilfe angeboten, berichtete das kanadische Portal CP24 am Samstag. Die "Fundacion de Antropologia Forense de Guatemala" habe über 30 Jahre Erfahrung, Leichen von sogenannten Verschwundenen zu bergen - Maya-Zivilisten, die während des 36-jährigen Bürgerkriegs in Guatemala getötet wurden.

Zudem war der Papst vor einem Jahr aufgefordert worden, die sogenannte "doctrine of discovery" (Entdeckungsdoktrin) der Kirche zu widerrufen. Auch das ist inzwischen erfolgt: Im März distanzierte sich der Heilige Stuhl mit einer "Note zur Doktrin der Entdeckung" von einer Lehre, die Europas Herrscher und Kolonialherren ermächtigen wollte, nicht-christliche Bewohner eroberter Gebiete zu versklaven und zu entrechten. Eine solche Auffassung sei mit der katholischen Kirche nicht vereinbar, so der Vatikan.

Wofür steht der Begriff Residential Schools?

An den Residential Schools sollten indigene Mädchen und Jungen unterrichtet und an die Gesellschaft und Kultur der europäischen Einwanderer angepasst werden. Betreiber waren zumeist die Kirchen, das Geld kam vom Staat. Diese Form der Zusammenarbeit wurde mit dem Verfassungsgesetz von 1867 und dem Indian Act von 1876 ausgebaut. Darin verpflichtete sich die Regierung in Kanada, den Ureinwohnern einen Zugang zu schulischer Bildung zu ermöglichen.

Kanada, Kamloops: Die ehemalige Kamloops Indian Residential School / © Andrew Snucins (dpa)
Kanada, Kamloops: Die ehemalige Kamloops Indian Residential School / © Andrew Snucins ( dpa )

 

Quelle:
KNA