Was das Hören für blinde Menschen im Alltag bedeutet

"Stille kann ich nicht ertragen"

Mit dem Welttag des Hörens will die Weltgesundheitsorganisation auf die Bedeutung des Gehörs aufmerksam machen. Für Carina Tillmann ist das Hören besonders wichtig. Sie erklärt, was Hören für sie als blinde Person im Alltag bedeutet.

Menschen im Alltag verursachen vielerlei Geräusche. / © Sven Hoppe (dpa)
Menschen im Alltag verursachen vielerlei Geräusche. / © Sven Hoppe ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wie wichtig ist für dich dein Gehör im Alltag? 

Carina Tillmann: Hören ist neben Fühlen der essenziellste Sinn, weil ich mich darüber ja unter anderem orientiere und meine Umgebung wahrnehme. Und könnte ich nicht hören, könnte ich auch schlecht mit Menschen kommunizieren.

DOMRADIO.DE: Ist das gerade bei der Kommunikation vielleicht auch eine Stärke für dich? 

Tillmann: Auf jeden Fall. Ich habe kein vorgefertigtes Bild von irgendwem im Kopf, weil ich die Menschen ja nicht sehe. Es könnte zum Beispiel sein, dass ich mich eine halbe Stunde angeregt mit jemandem unterhalte und dann kommt mein Assistent und sagt: "Warum hast du dich denn mit dem unterhalten? Er sah so verwahrlost aus." Keine Ahnung, der oder die war total nett. 

Carina Tillmann

"Hören ist neben Fühlen der essenziellste Sinn."

Theoretisch kann das aber auch andersherum passieren. So was passiert auch. Wenn jemand fragt: "Der sah doch total sympathisch aus." Kann ja sein, aber wir haben uns überhaupt nicht verstanden. 

DOMRADIO.DE: Wenn du aus deiner Wohnung kommst, was hörst du und was nimmst du wahr, was sehenden Menschen möglicherweise entgeht?

Tillmann: Die Autos, die vorbeifahren, gegebenenfalls Fahrräder, die vorbeifahren, wenn es nicht zu laut ist. Ich höre Menschen reden und Hunde bellen, oder auch manchmal, wenn wir spazieren gehen, höre ich nur das Tapsen von Hundepfoten auf dem Boden oder das Klappern von der Hundemarke am Halsband. 

Mann mit einem Blindenstock / © Halfpoint (shutterstock)
Mann mit einem Blindenstock / © Halfpoint ( shutterstock )

Es kommt auch vor, dass ich frage, ob da auch jemand mit Blindenstock vorbeikam. Und dann kam heraus, es war jemand mit Koffer.

DOMRADIO.DE: Passt du besonders auf deine Ohren auf und hörst zum Beispiel nicht so laut Musik? 

Tillmann: Ich gehöre zu den wenigen Menschen, die selten bewusst Musik hören. Ich bin eher der Mensch für Hörbücher und Hörspiele, aber ich merke, es ist super anstrengend, wenn es sehr laut ist. 

Wenn ich merke, dass es mir zu laut ist, dann würde ich, weil ich mich dann unwohl fühle, wahrscheinlich früher oder später mal zumindest kurzzeitig aus dem Raum rausgehen. 

Carina Tillmann

"Ich brauche irgendwie immer Geräusche um mich herum."

DOMRADIO.DE: Viele Leute sind ja froh, wenn sie nach einem stressigen Tag nach Hause kommen und mal gar nichts hören. Ist das für dich auch so oder hast du gerne immer Geräusche um dich herum? 

Tillmann: Ich brauche irgendwie immer Geräusche um mich herum. Ich kann es nicht ertragen, wenn es richtig still ist. Es macht mich verrückt. Ich habe immer das Radio laufen oder so, wenn ich mal allein zu Hause bin, oder telefoniere mit Freunden. Sonst ist es viel zu still und das kann ich gar nicht. 

Es gibt Leute, die sich zum Lernen das stillste Eckchen suchen und ich habe mir entweder das Radio angemacht oder ein Hörspiel, bei dem man nicht groß aufpassen muss.

Das Interview führte Carsten Döpp.

Quelle:
DR