SPD, Grüne und FDP stellen neuen Koalitionsvertrag vor

Was bedeutet das für die Kirchen?

Die Spitzen der neuen Ampel-Koalition haben sich in ihrem Koalitionsvertrag unter anderem auf eine Reform des Familienrechts verständigt. Es soll neben der Ehe das Institut der Verantwortungsgemeinschaft eingeführt werden.

Vertreter von SPD, Grüne und FDP stellen neuen Koalitionsvertrag vor / © Kay Nietfeld (dpa)
Vertreter von SPD, Grüne und FDP stellen neuen Koalitionsvertrag vor / © Kay Nietfeld ( dpa )

Dazu soll das Institut der Verantwortungsgemeinschaft eingeführt werden und damit jenseits von Liebesbeziehungen oder der Ehe zwei oder mehr volljährigen Personen ermöglichen, rechtlich füreinander Verantwortung zu übernehmen, heißt es in dem am Mittwoch vorgestellten Koalitionsvertrag.

Ehe nicht ausschlaggebendes Kriterium einer Adoption

Weiter heißt es, wenn ein Kind in die Ehe zweier Frauen geboren werde, seien automatisch beide rechtliche Mütter des Kindes, sofern nichts anderes vereinbart sei. Die Ehe solle nicht ausschlaggebendes Kriterium bei der Adoption minderjähriger Kinder sein.

Auch außerhalb der Ehe soll demnach die Elternschaftsanerkennung unabhängig vom Geschlecht der anerkennenden Person oder von einem Scheidungsverfahren möglich sein. Es soll laut Vertrag ein statusunabhängiges Feststellungsverfahren eingeführt werden, in dem ein Kind seine Abstammung gerichtlich klären lassen kann, ohne zugleich die rechtliche Elternschaft anfechten zu müssen.

Einführung einer Kindergrundsicherung

Zudem will die Ampel-Koalition eine Kindergrundsicherung einführen. Mit der finanziellen Unterstützung sollen Familien gestärkt und mehr Kinder aus Armut geholt werden, heißt es in dem Koalitionsvertrag. Zudem sollen die Kinderrechte im Grundgesetz verankert werden.

Die Parteien müssen das Verhandlungsergebnis noch bestätigen; SPD und FDP wollen dies auf einem Parteitag am ersten Dezemberwochenende machen, die Grünen in einer Urabstimmung in den kommenden zehn Tagen.

Reform des Abtreibungsrechts

Unterdessen wollen SPD, Grüne und FDP Vielfalt und Gleichstellung weiter fördern und das Abtreibungsrecht reformieren. Dazu planen sie eine "ressortübergreifende Gleichstellungsstrategie des Bundes" mit einem "Gleichstellungs-Check" künftiger Gesetze, wie es in dem am Mittwoch in Berlin vorgestellten Koalitionsvertrag heißt. Ferner soll das Verbot der Werbung für Abtreibung gestrichen werden. Gleichgeschlechtliche Ehen und Lebenspartnerschaften sollen in allen Mitgliedsstaaten mit allen Rechtsfolgen Anerkennung finden.

Die Parteien müssen das Verhandlungsergebnis noch bestätigen; SPD und FDP wollen dies auf einem Parteitag am ersten Dezemberwochenende machen, die Grünen in einer Urabstimmung in den kommenden zehn Tagen.

Paragraf 219a soll gestrichen werden

Für eine ökonomische Gleichstellung will die Ampel-Koalition die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern schließen. Dafür soll auch das Klagerecht erweitert werden. Die Familienbesteuerung soll so "weiterentwickelt" werden, "dass die partnerschaftliche Verantwortung und wirtschaftliche Unabhängigkeit mit Blick auf alle Familienformen gestärkt werden".

Mit Blick auf eine "reproduktive Selbstbestimmung" streben SPD, Grüne und FDP an, dass Schwangerschaftsabbrüche "Teil der ärztlichen Aus- und Weiterbildung" werden. "Die Möglichkeit zu kostenfreien Schwangerschaftsabbrüchen gehört zu einer verlässlichen Gesundheitsversorgung". Dazu soll es eine "flächendeckende Versorgung mit Beratungseinrichtungen" geben. Der Paragraf 219a Strafgesetzbuch, der Werbung für Abreibungen unter Strafe stellt, soll gestrichen werden. "Sogenannten Gehsteigbelästigungen von Abtreibungsgegnerinnen und Abtreibungsgegnern setzen wir wirksame gesetzliche Maßnahmen entgegen", heißt es weiter.

Eine Kommission "zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin" soll zudem prüfen, ob die "Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches sowie Möglichkeiten zur Legalisierung der Eizellspende und der altruistischen Leihmutterschaft" möglich sind.

Das Transsexuellengesetz will die Ampel abschaffen und durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzen. Eine Änderungen des Geschlechtseintrags im Personenstand soll grundsätzlich per Selbstauskunft möglich und ein "erweitertes und sanktionsbewehrtes Offenbarungsverbot" eingeführt werden. Die Kosten geschlechtsangleichender Behandlungen müssen demnach vollständig von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen werden. Ferner will die Koalition ein vollständiges Verbot von Konversionsbehandlungen an Erwachsenen prüfen.

Amt des Missbrauchsbeauftragten stärken

Die neue Regierungskoalition will weiterhin das Amt des unabhängigen Missbrauchsbeauftragten stärken. Seine Arbeit solle gesetzlich geregelt werden, zudem solle der Amtsinhaber eine Berichtspflicht an den Bundestag bekommen, heißt es in dem Koalitionsvertrag, den die Spitzen von SPD, Grünen und FDP am Mittwoch in Berlin vorstellten. Derzeitiger Amtsinhaber ist Johannes-Wilhelm Rörig. Er hatte bereits angekündigt, sein Amt niederzulegen, wenn es eine neue Bundesregierung gibt - und zudem eine solche Aufwertung seines Amtes angemahnt.

Weiter heißt es in dem Vertrag, dass die neue Bundesregierung eine kindersensible Justiz stärken wolle. Mit Modellprojekten soll die Entwicklung von Schutzkonzepten unterstützt werden. Die länderübergreifende Zusammenarbeit in Kinderschutzfällen solle verbessert werden.

Das Amt des Missbrauchsbeauftragten wurde 2010 mit Bekanntwerden des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche, aber auch in anderen Einrichtungen wie der Odenwaldschule eingeführt. Erste Amtsinhaberin war die frühere Bundesfamilienministerin Christine Bergmann.

Modernisierung der Pflege- und Gesundheitspolitik 

In der Gesundheits- und Pflegepolitik wollen die Parteien der Ampelkoalition "einen Aufbruch in eine moderne sektorenübergreifende Gesundheits- und Pflegepolitik". Angesichts der dramatischen Finanzlage der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) geht die Koalition von einer steigenden Steuerfinanzierung aus. "Den Bundeszuschuss zur GKV dynamisieren wir regelhaft", heißt es im Vertrag.

Eine zentrale Baustelle ist die Krankenfinanzierung. Die Ampelparteien planen einen Bund-Länder-Pakt für eine "moderne und bedarfsgerechte" Krankenhausversorgung. Empfehlungen soll eine Regierungskommission vorlegen - etwa für eine Krankenhausplanung nach Kriterien wie Erreichbarkeit und demografischer Entwicklung. Krankenhäuser sollen künftig außerdem erlösunabhängig Geld je nach ihrer Versorgungsstufe erhalten. Für eine bessere ambulante Versorgung in ländlichen Regionen streben die Parteien den Ausbau von Gesundheits- und Notfallzentren an.

Die Ampelkoalition verständigte sich auf eine Legalisierung des Suchtmittels Cannabis. Kenntnisse über die Digitalisierung sollen in Ausbildungen von Gesundheits- und Pflegeberufen eine stärkere Rolle spielen. "Regelhaft" ermöglicht werden sollen telemedizinische Leistungen, etwa Videosprechstunden, Telekonsile, Telemonitoring und die telenotärztliche Versorgung.

Mit Blick auf die Gesundheitsförderung sollen ein Nationaler Präventionsplan sowie konkrete Maßnahmenpakete etwa zu den Themen Einsamkeit, Suizid, Wiederbelebung und Vorbeugung von klima- und umweltbedingten Gesundheitsschäden geschaffen werden. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung soll in einem Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit am Bundesgesundheitsministerium aufgehen. Das Robert Koch-Istitut soll in seiner wissenschaftlichen Arbeit weisungsungebunden sein.

Mit Blick auf die Pflegeversicherung planen SPD, Grüne und FDP eine "moderate" Anhebung des Beitrags. Darüber hinaus will die künftige Regierungskoalition prüfen, "die soziale Pflegeversicherung um eine freiwillige, paritätisch finanzierte Vollversicherung zu ergänzen, die die Übernahme der vollständigen Pflegekosten umfassend absichert." Eine Expertenkommission soll bis 2023 Vorschläge vorlegen.

Entlastung für pflegende Angehörige

Entlasten wollen die Ampelfraktionen die Beitragszahler, indem versicherungsfremde Leistungen wie die Rentenbeiträge für pflegende Angehörige oder pandemiebedingte Zusatzkosten aus Steuermitteln finanziert werden. Die Behandlungspflege in der stationären Versorgung soll der gesetzlichen Krankenversicherung übertragen werden.

Unklar ist, wie eine Ampelregierung mit den Eigenanteilen in den Heimen umgehen will. Nach der schwarz-roten Pflegereform werden Pflegebedürftige durch eine Deckelung der Eigenanteile entlastet. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu, die derzeitige Regelung werde beobachtet.

Stärken wollen die Ampelparteien auch die häusliche Pflege, zum Beispiel, indem es einen stärkeren finanziellen Ausgleich für pflegebedingte berufliche Auszeiten geben soll. Professionelle Pflege soll unter anderem durch das neue Berufsbild der "Community Health Nurse" verbessert werden.

Dem dramatischen Mangel an Pflegekräften wollen die Ampelfraktionen durch verbesserte Arbeitsbedingungen begegnen. So sollen die Personalbemessungsverfahren in der stationären Langzeitpflege beschleunigt werden. Bei der Bezahlung sollen Altenpflegekräfte zur Krankenpflege aufschließen. Durch die Steuerbefreiung von Zuschlägen, die Abschaffung geteilter Dienste, die flächendeckende Zahlung von Ausbildungsvergütungen oder familienfreundlichere Arbeitszeiten soll der Pflegeberuf insgesamt attraktiver werden.

Mit einer bundesweiten Befragung aller professionell Pflegenden will die Koalition Erkenntnisse darüber erlangen, wie die Selbstverwaltung der Pflege in Zukunft organisiert werden kann. Gestärkt werden soll der Deutsche Pflegerat als Stimme der Pflege; er soll finanziell unterstützt werden.


Verantwortungsgemeinschaft als Alternative zur Ehe / © Roman Motizov (shutterstock)
Verantwortungsgemeinschaft als Alternative zur Ehe / © Roman Motizov ( shutterstock )

Häusliche Pflege / © Harald Oppitz (KNA)
Häusliche Pflege / © Harald Oppitz ( KNA )

Gesetzestext des Paragrafen 219a Strafgesetzbuch / © Harald Oppitz (KNA)
Gesetzestext des Paragrafen 219a Strafgesetzbuch / © Harald Oppitz ( KNA )

Johannes-Wilhelm Rörig / © Gregor Fischer (dpa)
Johannes-Wilhelm Rörig / © Gregor Fischer ( dpa )
Quelle:
KNA