DOMRADIO.DE: Wer war Maria aus dem Hafenort Magdala?
Dorothee Sandherr-Klemp (Geistliche Beirätin im Katholischen Deutschen Frauenbund): Vorneweg ist zu sagen, dass das Interesse an dieser Frau sehr groß war. Denn alle vier Evangelisten haben von ihr berichtet. Diese Tatsache zeigt, dass sie eine herausragende Bedeutung hat und das in der deutlich patriarchal geprägten Umwelt.
Maria von Magdala stammt, wie der Name schon sagt, wahrscheinlich aus Magdala oder dem damaligen Migdal. Das war ein Zentrum der Fischerei am Nordwestufer des Sees Genezareth. Dort lebte Maria, die dann die spätere Glaubenszeugin und Osterbotin wurde.
In der damaligen Zeit, wie auch in der Bibel, wurden Frauen über ihre Ehemänner oder Söhne definiert. Bei Maria Magdalena ist das nicht der Fall. Wir können schlussfolgern, dass Maria Magdalena eine selbst bestimmte Frau und vermutlich erfolgreiche Unternehmerin im Kontext der lokalen Fischerei war.
Denn Magdala lag an einer bedeutsamen Handelsroute und es wurden zum Beispiel auch Tongefäße zur Haltbarmachung der Fische in großem Stil hergestellt. Man könnte sagen, dass es dort eine Zulieferindustrie zur Fischerei gab. Aus dieser unternehmenden Geschäftsfrau wurde die glaubensstarke, treue und herausragende Jüngerin Jesu.
DOMRADIO.DE: Im Laufe der Jahrhunderte ist sie allerdings umgedeutet worden. Aus der ersten Zeugin der Auferstehung wurde die Sünderin und Büßerin. Wie konnte das passieren?
Sandherr-Klemp: Das ist ein früher Fall von Fake News. Im biblischen Befund ist nichts von Sünderin, nichts von Büßerin, nichts von Ehebruch oder Prostitution und Schande zu lesen. Es stellt sich die Frage, warum wir in Kirchen und Museen Abbildungen finden, die Maria Magdalena als attraktive Sünderin, als leicht geschürzte Büßerin, als gefallenes Mädchen in devoter Haltung zeigen? Warum haftet ihr dieses Anrüchige an? Warum diese Erotisierung und somit Abwertung und Entmächtigung?
Ich denke, das hat auch den Charakter eines Krimis. Im Krimi wird stets gefragt: Cui bono? - Wem nützt es? Wer hat Interesse daran? Eine Frau als Verkünderin, als "Apostola Apostolorum", das war mit der Ausbildung und Verfestigung der zunehmend ausschließlich Männern vorbehaltenen Ämtern nicht mehr vereinbar, nicht mehr erwünscht.
Kirchenlehrer wie zum Beispiel Gregor der Große haben diesen Prozess der biblisch völlig haltlosen Verschmelzung der Osterbotin mit der Gestalt der namenlosen Sünderin und der ebenfalls namenlosen Ehebrecherin entscheidend vorangetrieben. Das wurde wirkmächtig. Fake News sind stark. Es bleibt immer etwas hängen, gerade wenn es politisch oder kirchenpolitisch gewollt ist.
DOMRADIO.DE: Papst Franziskus hat Maria Magdalena 2016 offiziell als Apostelin der Apostel anerkannt. Würden Sie sie seitdem als rehabilitiert in der katholischen Kirche ansehen?
Sandherr-Klemp: Das war sicher etwas Gewichtiges. Das war ein Paukenschlag. Aber ich fürchte, er ist weitgehend folgenlos verhallt. Maria Magdalena hat die liturgische Gleichstellung mit den Aposteln erfahren. Das ist in einer patriarchal strukturierten Kirche eine große Sache.
Ich finde aber, dass wir wenig Widerhall wie auch wenig starke, ermutigende Predigten dazu gehört haben. Vielleicht war diese Botschaft einer Frau als Verkündigerin, als Apostola Apostolorum, den Aposteln gleichgestellt, nicht wirklich willkommen.
Im römischen Begleitschreiben zu der Erhöhung hieß es damals wörtlich, dass Maria Magdalena mit dem Fest des 22. Juli geehrt wird "wie die übrigen Apostel". Das ist in einer Kirche, in der Frauen auch im 21. Jahrhundert noch nicht einmal das Recht haben zu predigen, bemerkenswert. Das darf nicht folgenlos bleiben.
DOMRADIO.DE: Welche Bedeutung hat Maria Magdalena heute, vor allem für Christinnen und vielleicht besonders für Katholikinnen?
Sandherr-Klemp: Zunächst, uns Katholikinnen und Christinnen vom Katholischen Deutschen Frauenbund ist es ein Anliegen, dass Fake News über Maria Magdalena nicht das letzte Wort behalten sollen. Dafür setzen wir uns ein. Die biblische Wahrheit soll ans Licht kommen.
Es ist nicht so, dass wir ein kirchliches Überangebot an christlichen Rollenvorbildern haben. Maria Magdalena, der treuen und glaubensstarken Jüngerin Jesu, einer Frau, wurde die Osterbotschaft, die gute Nachricht, die frohe Botschaft - auf griechisch das Evangelium - anvertraut. Das hat Bedeutung und das muss endlich ernst genommen werden.
Denn wenn wir die Bibel ernst nehmen, dann hat Gott selbst Maria von Magdala zur Erstzeugin der Auferstehung gemacht. Er hat sie als ersten Menschen berufen, das Evangelium in die Welt zu tragen. Welchen Anstoßes und welcher Argumente bedarf es noch, um Frauen nicht länger auszuschließen? Das ist es, was wir von ihr lernen können.
DOMRADIO.DE: Ist ea auch das, was die Kirche insgesamt am Beispiel der Maria von Magdala lernen sollte?
Sandherr-Klemp: Ja, ich glaube, dass es gut ist, neu auf die biblische Überlieferung zu schauen. Das gilt für Maria Magdalena und über sie hinaus. Die Bibel ist im historischen Kontext des Patriarchats entstanden. In einer Zeit in der Frauen zum Beispiel kein Zeugnisrecht hatten.
Wenn die Erinnerung an sie trotzdem so stark und so vital war, dass alle vier Evangelisten von ihr berichten, dann muss die Bedeutung dieser Maria Magdalena auch in der jungen Christengemeinde sehr groß gewesen sein. Deswegen ist mein Wunsch, mein Gedanke und meine Hoffnung, dass wir ohne Scheuklappen auf diese Tradition schauen.
Denn Tradition ist nicht nur das 19. Jahrhundert. Tradition ist auch und gerade die Geschichte der jungen Christengemeinde, in der Frauen in der Aufbauphase eine bedeutsame Rolle hatten.
Das Interview führte Hilde Regeniter.