"Leev Trauerjemeinde, mir sin hück zosamme jekommen, um eenen gode Fründ zu bestatte!" erhebt der Kirchenklaus am späten Veilchen-Dienstagabend das Wort. Kirchenklaus heißt Klaus Brüne-Frehmann, weil er im Vorstand der katholischen Gemeinde Sankt Nikolaus Karl Borromäus sitzt, nicht weit entfernt von der Kneipe Knollendorf im Kölner Stadtteil Sülz. Hier geht der kölsche Fastelovend heute in seine finale Phase: Nach sechs Tagen feiern und dem Frohsinn frönen muss jetzt der Nubbel dran glauben.
Der Nubbel, also die traditionelle aus Stoffresten genähte, mit Stroh gefüllte Puppe des kölschen Karnevals, liegt draußen schon auf Kohlen parat. Drinnen hat Klaus Brüne-Frehmann das Mikro ergriffen und die jecken Feiernden mit einiger Mühe zum Zuhören gebracht. In seinem schwarzen, Talar-artigen Umgang, dem roten Karnevalsschal um den Hals und der ebenfalls roten Kinderstrumpfhose seiner längst erwachsenen Tochter auf dem Kopf, mutet er an durchaus klerikal an; Ministrantin und Ministrant zu seinen Seiten verstärken den Eindruck.
Persiflage einzelner Liturgie-Elemente
Tatsächlich erinnert das, was jetzt folgt, über weite Strecken an einen katholischen Gottesdienst, werden doch einzelne Liturgie-Elemente persifliert. Dass sich "umgekölschte" Psalmen, Gebete und Choräle geschmeidig in die etwas andere Messe einfügen, hat Klaus Brüne-Frehmann noch vor Beginn des Rituals erzählt. Wichtig sei ihm, dass bei aller Satire keine religiösen Gefühle verletzt werden. Weswegen er – anders als bei anderen Nubbelverbrennungen durchaus üblich – auch nicht mit Kölsch segnet und schon gar nicht mit einer Klobürste. Weswegen er auch nicht Kölsch-Priester genannt werden will, sondern höchstens Zeremonienmeister oder "kölsche Hillije".
"Loss uns jetz bedde", schlägt der Kirchenklaus vor und fährt fort, "Der Weet hat seine beste Gass verlore. Der Nubbel es em jelobte Land". Die jecke Gemeinde antwortet mit dem Wechselruf "Nix es ömesöns, kein Kölsch, kein Flönz". Als der Mann mit dem Quetschebüggel, also dem Akkordeon, anschließend die ersten Takte der Bläck Föös-Hymne "Unser Stammbaum" anspielt, stimmen alle schunkelnd mit ein.
Verantwortlich für die Sünden während des Karnevals
Dann ist Zeit für das Schuldbekenntnis und damit den zentralen Moment einer jeden Nubbelverbrennung. Schließlich soll der Nubbel verantwortlich gemacht werden für alle großen und kleinen während des Karnevals begangenen Sünden. "Dot de Schuld packen, dot se dem armen Nubbel mitgevve op singem Wäg nom Herrgodd huh. De nimmt der in Qualm und Rauch glich drusse op der Stroß mit huh!", erklärt der Kirchenklaus weiter "All eure Schuld, all eure Sünde könnt ihr jetzt op ihn schmieße". Dann fragt er: "Wer ist schuld, dat mer de letzte Daach so vill gesoffe han?" "Der Nubbel es schuld" Der Nubbel es schuld!" antworten die Zuhörer stimmgewaltig.
Und weil der Nubbel schuld ist und ja ohnehin schon verblichen, muss er jetzt wohl wirklich brennen. Bevor alle zusammen nach draußen ziehen, spricht der Zelebrant noch einige Worte auf Pseudo-Latein: "Sirena cum polititus, promille tante blasius. Jeit später schön zo Fuss no Huss, sonst Ossendorf in Knastibus."
Die kleine Kreuzung vor dem Knollendorf ist komplett von der Nubbelverbrennung in Beschlag genommen. All die Prinzen und Feuerwehrfrauen, die FBI-Agenten, Lappenclowns und Krankenschwestern, die Seejungfrauen, Cowboys und sonstigen Karnevalisten haben einen großen Kreis gebildet um den Nubbel auf seinem Scheiterhäuflein. Unter lauten Huh- und Buhrufen, unter Geraune und Gezeter waltet der Kirchenklaus jetzt seines Amtes und übergibt den Nubbel den Flammen.
Aschenkreuz wird ausgeteilt
Die bunte Trauergemeinde hakt sich unter und singt mit wehmütigem Unterton das berühmte "Am Aschermittwoch ist alles vorbei." Kirchenklaus und seine Begleiter schreiten würdevoll die Menge ab, die Messdienerin schwenkt energisch das Weihrauchfass, der Messdiener hält dem Zeremonienmeister grazil den Weihwasserbehälter hin. Und der segnet – mit was auch immer. Bier sei es nicht, versichert Kirchenklaus noch einmal, und auch kein fieses Gebräu. Während die Jecken mit glänzenden Augen ein kölsches Lied nach dem anderen schmettern, brennt der Nubbel langsam vor sich hin. Einige wagen noch den Sprung übers Feuer, der ja Glück und Gesundheit bringen soll; am Ende bleibt nur Asche. Kirchenklaus lässt sich davon reichen, rührt sie mit ein wenig Wasser zu einer schwarzen Paste an und teilt dann tatsächlich Aschekreuze aus.
"Sehr persönlich sei es gewesen und sehr kölsch", sagen Besucher, bevor sie nach Hause gehen. "Schade, dass jetzt alles vorbei ist". Aber nur vorübergehend; schließlich ist nach der Nubbelverbrennung vor der Nubbelverbrennung.