Warum ein Pfarrer und seine Familie dem Osten den Rücken zukehren

"Man muss die 'Heilige Kuh' schlachten"

Vor fast acht Jahren kam Reiner Andreas Neuschäfer nach Thüringen. Er freute sich auf seine Arbeit als evangelischer Pfarrer und kirchlicher Schulbeauftragter. Nun hat er aufgegeben und ist mit seiner Familie nach Nordrhein-Westfalen zurückgekehrt. Der Grund: anhaltende Fremdenfeindlichkeit gegenüber seinen fünf Kindern und seiner indischstämmigen Frau. Im domradio spricht er über die negativen Erfahrungen.

 (DR)

domradio: Was genau ist Ihnen und Ihrer Familie in Rudolstadt passiert?

Pfarrer Reiner Andreas Neuschäfer: Wir haben immer wieder erlebt, dass meine Frau "angemacht" wurde. Zuerst verbal und dann ist sie in der Fußgängerzone angespuckt worden. Das waren keine erkennbar rechte Menschen - sondern Menschen wie Sie und ich. Auch meine Kinder haben sich immer wieder anhören müssen: "Deine Hautfarbe ist falsch" oder "Du kommst nicht aus Deutschland". Diese Dinge haben wir immer wieder erlebt und es ist nicht eingeschritten worden.

domradio: Der Bürgermeister des Ortes, Jörg Reichel, wird in einer Zeitung mit den Worten zitiert: "Hier herrscht keine Ausländerfeindlichkeit". Damit straft er Sie eigentlich der Lüge, oder?

Pfarrer Reiner Andreas Neuschäfer: Die erste Reaktion ist immer, dass man sagt "So etwas gibt es hier nicht". Andererseits, sagt er selbst auch, dass es das hier nicht mehr und nicht weniger gibt als woanders. Damit sagt er gleichzeitig, dass es das auch in Rudolstadt gibt. Wir wollen nicht stigmatisieren, sondern nur deutlich machen, dass es das hier auch gibt. Wobei wir nicht Rassismus im Sinne des Neonazitums meinen, sondern eine Angst davor, dass andere Menschen anders sind und auch anders aussehen.

domradio: Sie haben sieben Jahre in Rudolstadt gelebt. Da sind Sie bestimmt nicht nur auf Ablehnung gestoßen. Wie haben denn Freunde und Bekannte darauf reagiert, dass Sie solchen Anfeindungen ausgesetzt waren?

Pfarrer Reiner Andreas Neuschäfer: Ohnmacht und Fassungslosigkeit war in der Regel die Reaktion. Einige sagten uns, das würde uns im Westen genauso passieren wie im Osten.

domradio: Sie möchten jetzt nach Nordrhein-Westfalen ziehen. Glauben Sie denn auch, dass Ihnen das hier genauso passieren kann?

Pfarrer Reiner Andreas Neuschäfer: Nein. Meine Frau hat über zwanzig Jahre im Westen gelebt und nie derartige Anfeindungen erlebt. Meine Familie lebt jetzt seit fünf Monaten hier und wir haben nicht mal annähernd etwas mit Rudolstadt Vergleichbares hier erlebt. Meine Frau und meine Kinder sind wie befreit. Das ist wie ein neues Leben.

domradio: Was muss Ihrer Meinung nach passieren, damit Menschen anderer Herkunft auch in Ostdeutschland in Frieden leben können?

Pfarrer Reiner Andreas Neuschäfer: Man müsste erstmal "die Heilige Kuh des Ostens" schlachten, um es mal so auszudrücken. Man muss erstmal zugeben, dass die DDR durch ihren Kollektivismus, Materialismus und auch ihre Monokultur Spuren hinterlassen hat. Das muss erstmal wieder ordentlich zur Sprache kommen können. Man hat ja lange Zeit über den Nationalsozialismus in Deutschland nicht reden können - und dann kam die 68er-Bewegung. So etwas bräuchten wir eigentlich auch im Bezug auf die DDR - die letztendlich auch eine Diktatur war. Nur darf darüber nicht offen geredet werden.

domradio: Ist das ein gesellschaftlicher Prozess oder kann das auch von der Politik vorgegeben werden?

Pfarrer Reiner Andreas Neuschäfer: Natürlich kann das vorgegeben werden, wenn eben Dinge wie der Fall in Mügeln nicht immer automatisch auf "Rechts" geschoben werden, sondern das man sich bewusst wird, dass es die Fremdenfeindlichkeit gibt - und dann brauchen wir eine ordentliche Diagnose. Als wir den Fall meines Sohnes bei der Polizei angezeigt haben, wurde das auch direkt in die Kategorie Rechtsextremismus geschoben.

domradio: Wie geht es denn jetzt für Sie weiter?

Pfarrer Reiner Andreas Neuschäfer: Ich hatte schon im letzten Jahr Gespräche mit der Kirchenleitung, die sehr wohlwollend war und mich unterstützt. Sie zeigen mir an, wenn irgendwo Stellen frei werden. Nur heißt das natürlich nicht, dass jemand, der von außen kommt und solche Dinge erlebt hat, direkt genommen wird. Darum geht es mir auch nicht. Wir wollen nur wieder Frieden leben können. Dass diese Entscheidung richtig war, merken wir daran, dass die Kinder und meine Frau in den letzten fünf Monaten wie ausgewechselt sind.