DOMRADIO.DE: Ist das jetzt ein absolutes Novum, dass eine Frau im Vatikanstaat regiert?
Ulrich Nersinger (Vatikanexperte und Buchautor): Das könnte man glauben. Stimmt aber nicht. Wenn wir mal mehr als 500 Jahre in die Geschichte zurückgehen, werden wir sehen, dass es zur Zeit von Papst Alexander VI., dem Borgia-Papst, so etwas schon einmal gab. Wenn der Papst für längere Zeit die Stadt verlassen hat, hat er die Regierungsgeschäfte des Kirchenstaates seiner Tochter Lucrezia anvertraut.
Das hat damals ein riesiges Empörungsgeschrei und Verleumdungskampagnen von Kardinälen, Prälaten und römischen Adelsfamilien gegeben. Aber zum Trotz dieser Anklagen hat Lucrezia Borgia das sehr gut gemacht. Für die jetzige Zeit ist das vielleicht ein Novum. Aber wenn man geschichtlich zurückgeht, nicht.

DOMRADIO.DE: Wofür wird denn Schwester Raffaela Petrini als "Gouverneurin" zuständig sein?
Nersinger: Für die Regierungsgeschäfte des Vatikanstaates, der ja nun auch beträchtliche Aufgaben hat. Als "Gouverneurin" unterhält man beispielsweise ein Verzeichnis der Staatsbürger, erteilt Aufenthaltsgenehmigungen Es gibt ein Verzeichnis der vatikanischen Kraftfahrzeuge, ein eigenes Schifffahrtsregister, in dem aber momentan keine Schiffe vermeldet sind.
Aber das Gouvernatorat trägt zum Beispiel auch die Verantwortung für die Instandhaltung der Gebäude im päpstlichen Staat. Die Gärten, die Straßen, auch auf den exterritorialen Gebieten. Es gibt ein Warenamt, das sich um die Versorgung des Vatikans kümmert. Das Post- und Telegrafenamt, die staatseigene Druckerei, die Verlagsbuchhandlung, die Vatikanischen Museen und die Sternwarte stehen in der Verantwortung des Governatorates. Man sieht, es gibt dort einiges zu tun.
DOMRADIO.DE: Dass Papst Franziskus eine Frau in das Amt berufen hat, gefällt nicht jedem im Vatikan. Manche sagen jetzt sogar, das verstößt gegen das Gesetz. Was ist da dran?
Nersinger: Das würde ich etwas differenzierter sehen. Natürlich gibt es Gesetze und Gesetzesbestimmungen, die das nicht vorsehen. Da muss man noch abklären, wie man das etwas sauberer regeln kann. Zum Beispiel trägt die Schwester ja jetzt nicht den Titel "Gouverneurin", sondern Präsidentin des Vatikanstaates, was sie ja auch ist, aber normalerweise ist der Präsident des Vatikanstaates auch der Präsident der Päpstlichen Kommission für den Vatikanstaat – und das ist üblicherweise ein Kardinal. Im Grunde spricht also nichts dagegen, dass eine Frau diese Agenden führt. Aber man sollte die Gesetze etwas klarer definieren und diese Unreinheiten bereinigen.
DOMRADIO.DE: Schwester Raffaella Petrini ist eine hochgebildete Frau. Sie hat an verschiedenen Unis in den USA studiert, an der Päpstlichen Universität in Rom hat sie in Sozialwissenschaften promoviert. Sie hat sich sowohl in der wissenschaftlichen Lehre als auch in der Verwaltung einen Namen gemacht. Was bringt sie menschlich mit, um den Aufgaben gewachsen zu sein?
Nersinger: Sie wird als sehr effizient und äußerst fähig eingeschätzt, als sehr freundlich, aber auch als knallhart. Den letztgenannten Charakterzug wird sie auch dringend benötigen, wenn sie beabsichtigt, das Governatorat und den Vatikanstaat, ich sage mal, auf Vorder-"mann" zu bringen.

DOMRADIO.DE: Was für ein Verhältnis haben Papst Franziskus und Schwester Raffaella?
Nersinger: Er hätte sie nicht ernannt, wenn er kein gutes Verhältnis zu ihr hätte. Er muss für sich erkannt haben, dass sie eine sehr fähige Frau ist.
DOMRADIO.DE: Sie ist jetzt die zweite Frau in einer Führungsposition im Vatikan, die Papst Franziskus in kurzer Zeit ernannt hat. Er hat einmal gesagt, dass er die vatikanische Gesetzgebung den Erfordernissen unserer Zeit anpassen will. Was ist in seiner Amtszeit für Frauen und vielleicht noch möglich?
Nersinger: Relativ viel. Im Grunde alles, was nicht die Weihe erfordert. Sie ist die Hauptvoraussetzung für gewisse Ämter und Verantwortlichkeiten im Vatikan. Aber jedes Amt, das keine Weihe benötigt, kann auch von einer Frau getragen werden.
DOMRADIO.DE: Ungewöhnlich erscheint, wie Papst Franziskus diese Personalie verkündet hat – in einer Show im italienischen Fernsehen. Was hat ihn dazu bewogen?
Nersinger: Das ist eigentlich nicht der übliche Weg. Normalerweise würde das über das vatikanische Presseamt verkündet werden, Vatican News, Radio Vatikan oder der Osservatore Romano wären auch denkbar, aber nicht über eine Show im Fernsehen. Das ist sehr ungewöhnlich. Aber vielleicht wollte er das so gestalten, er ist ja sehr impulsiv und spontan. Das ist in Rom aber auch auf viel Kritik gestoßen. Dort hat man auch gesagt, dass man solche Sachen nicht über eine Fernsehshow veröffentlicht.
Das Interview führte Hilde Regeniter.