Warum der Theologe Taxacher kein Fleisch mehr isst

"Theologie kann Leben ändern"

Rund neunzig Prozent der Menschen in Deutschland essen Fleisch. Es gibt Argumente für eine fleischlose Ernährung, sogar theologische. Warum ein Blick in die Bibel lebensverändernd sein kann, erklärt der Theologe Gregor Taxacher.

Autor/in:
Verena Tröster
Tiersegnung / © Harald Oppitz (KNA)
Tiersegnung / © Harald Oppitz ( KNA )

Himmelklar: Was gibt es Weihnachten bei Ihnen zu essen? Gibt es da eine Tradition, wie bei so vielen Leuten?

Dr. Gregor Taxacher (Tiertheologe, Journalist, Autor und Dozent am Institut für Katholische Theologie der TU Dortmund): Nein, eine feste Tradition gibt es da nicht, und es ist auch noch nicht festgelegt. Da kommen dann einige erwachsene Kinder, und dann muss man einen Querschnitt finden, den alle mögen. 

Da wir zu Hause, meine Frau und ich jedenfalls, seit Jahren kein Fleisch essen, muss das dann etwas sein, das trotzdem festlich wirkt. Ich weiß aber noch nicht, was es wird. 

Himmelklar: Warum essen Sie kein Fleisch mehr?

Dr. Gregor Taxacher - Tiertheologe, Journalist, Autor und Dozent am Institut für Katholische Theologie der TU Dortmund (privat)
Dr. Gregor Taxacher - Tiertheologe, Journalist, Autor und Dozent am Institut für Katholische Theologie der TU Dortmund / ( privat )

Taxacher: Weil ich keine toten Tiere essen möchte. Ich sage manchmal, man sieht, dass Theologie sogar Leben ändern kann. Ich habe etwa vor zehn Jahren begonnen, mich mit Theologie und Tieren zu beschäftigen. Zu dem Zeitpunkt habe ich durchaus noch Fleisch gegessen, aus Umweltgründen, aber möglichst immer weniger. 

Während dieser Beschäftigung mit Theologie und Tieren habe ich irgendwann gemerkt: Das geht nicht. Das ist eine solche kognitive Dissonanz, das ist ein solcher Widerspruch zwischen Praxis und dem, was ich denke, dass ich es dann gelassen habe.

Himmelklar: Was ist der Wendepunkt, an dem Sie "nein" sagen?

Taxacher: Tierethisch begründet sind Tiere, jedenfalls alle, die wir gemeinhin in dieser Weise verwerten, empfindungsfähige Lebewesen, die genauso leben wollen, wie wir das wollen. In einer philosophischen Sprache würde man sagen, sie sind auch Subjekte ihres eigenen Lebens. Und es gibt wenige Gründe, außer Notwehr, um zu begründen, warum empfindungsfähige Lebewesen andere empfindungsfähige Lebewesen einfach töten und essen dürfen. 

Gregor Taxacher

"Für mich ist die Frage nicht 'Warum essen Sie kein Fleisch?', sondern für mich ist die ethisch begründungspflichtige Frage 'Warum tun Sie das?'"

Wir leben heute in einer Zivilisation und Kultur. Ich will nicht über die Frühmenschen urteilen. Ich will auch nicht über irgendwelche Menschen urteilen, die sich in arktischen Regionen nicht anders ernähren konnten oder können. Auch will ich überhaupt nicht über unsere Vorfahren in dem Sinne urteilen, aber wir leben in einer Zivilisation, in der es gut ohne geht. Deshalb gibt es für mich eine Umkehr der Begründungslast. 

Schweine hinter Gittern / © mapman (shutterstock)

Für mich ist die Frage also nicht "Warum essen Sie kein Fleisch?", sondern für mich ist die ethisch-begründungspflichtige Frage "Warum tun Sie das?".

Himmelklar: Auf welcher Stufe stehen Tiere theologisch, wenn man das überhaupt so abbilden kann?

Taxacher: Ja, das mit der Stufe ist gerade ein Teil des Problems. Das hat man in der traditionellen Theologie und Philosophie die "Scala Naturae" genannt, also die Treppe oder die Skala der Natur, und dort hat man hierarchisiert. Da ist Gott dann ganz oben, und dazwischen sind die Engel, und dann kommt der Mensch, und dann kommen die Tiere. 

Das ist aus meiner Sicht und aus der Sicht vieler, die sich heute damit beschäftigen, eine problematische Art, die Welt zu sehen. Wir wissen ja heute evolutionsbiologisch, dass wir selbst Tiere sind. Wir sind daraus entstanden. Insofern teilen wir ganz viel mit ihnen. Das hat aber interessanterweise die Bibel auch schon gewusst, ohne dass sie Darwin kannte. Da gibt es immer die Formel "alles Fleisch". Oder die Formel, die Kolleginnen und ich mal zu einem Buchtitel gemacht haben: "Alles, was atmet". 

Himmelklar: Ein ganz toller Buchtitel, der auch die Verbindung so klar macht.

Taxacher: Ja, und Atem – Ruach im Hebräischen – ist das gemeinsame Kennzeichen beseelter Lebewesen. Das Wort Seele und Geist kommt eigentlich aus diesem Wort für Atem. Und die andere, die leibliche Seite: Die Bibel spricht oft von "alles Fleisch", zum Beispiel bei der Sintflut, als sie kommt und alles Fleisch geht unter, sind damit dann auch Menschen und Tiere gemeint. 

Gemeindemitglieder besuchen in Begleitung ihrer Haustiere am 4. Oktober 2018 eine Heilige Messe anlässlich des Tages des Heiligen Franz von Assisi in Sao Paulo, Brasilien. / © Alf Ribeiro (shutterstock)
Gemeindemitglieder besuchen in Begleitung ihrer Haustiere am 4. Oktober 2018 eine Heilige Messe anlässlich des Tages des Heiligen Franz von Assisi in Sao Paulo, Brasilien. / © Alf Ribeiro ( shutterstock )

Man war sich dieser Gemeinsamkeit, in irgendeiner Form beseelte, empfindungsfähige Lebewesen zu sein, bewusst. In diesem Sinne sind wir, in gewisser Weise, Tiere unter Tieren, mit einer bestimmten Verpflichtung zur Solidarität auf einer ethischen Ebene.

Himmelklar: Wenn Sie sagen, "alles, was atmet" hat Empfindungen. Hat "alles, was atmet" eine Seele? Ist "alles, was atmet" unsterblich?

Taxacher: Das sind sehr schwierige und komplexe Fragen. Die Seele ist aus meiner Sicht keine Substanz. Deshalb sagen ja auch manche Menschen, die eher naturwissenschaftlich und materialistisch veranlagt sind: Seele, was soll das denn sein? Man kann den Menschen ja erforschen noch und nöcher, und wird nirgendwo auf eine stoßen. 

Seele ist also eigentlich ein Kommunikationsbegriff oder ein Beziehungsbegriff. Wie erkennen wir, dass jemand eine Seele hat? Indem wir mit ihr oder ihm kommunizieren, in die Augen blicken und sagen: Da ist jemand, der in irgendeiner Form so ist wie ich. Dieses ganz ursprüngliche, phänomenale Erleben teilen wir und das merken wir auch an Tieren. Jedenfalls bei einigermaßen uns ähnlichen Tieren. 

Das wird natürlich immer schwieriger, phänomenal, je unähnlicher sie uns sind. Aber Tiere, denen wir in die Augen gucken können, Tiere, die in irgendeiner Form Reaktionen zeigen, von denen würden wir intuitiv niemals, so wie das dann der Philosoph Descartes gemacht hat, sagen: Das sind nur Maschinen, die funktionieren nur automatenhaft. 

Eine Katze in der Kirche / © Javier Franco (shutterstock)
Eine Katze in der Kirche / © Javier Franco ( shutterstock )

Das würde niemand von seiner Katze oder von seinem Hund sagen, aber das würde auch niemand von seiner Kuh sagen. Intuitiv erfahren wir das genauso, wie wir intuitiv erfahren, dass unsere Mitmenschen offensichtlich etwas Innen haben, obwohl wir das ja auch nicht beweisen können. 

In gewisser Weise kann man sagen, wir erleben intuitiv das Subjektsein anderer, aber wir glauben es uns auch in gewisser Weise. Wenn Sie sagen, "mir tut was weh", dann können Sie mir das nicht beweisen, deshalb muss ich Ihnen die Empfindungsfähigkeit abnehmen. 

Wenn ein Tier heult und schreit, dann gehe ich intuitiv davon aus, dass es ein Gefühl zum Ausdruck bringt und dass es deshalb dieses Gefühl so hat, wie ich es habe, zumindest in analoger Weise. 

Wenn der Philosoph Descartes sagt, wenn der Hund unter Schmerzen schreit – das haben sie bei frühen Tierversuchen (bei Vivisektionen) gemacht –, dann ist das nur wie das Quietschen einer Maschine, dann brauche ich schon sehr viel Theorieaufwand, um das zu glauben. 

Diese Überzeugung ist künstlich, und sie hat natürlich Zwecke. Ich habe mal Interviews von einem Soziologen gelesen, der Interviews mit Menschen gemacht hat, die in Schlachthöfen arbeiten. Er hat sie gefragt, wie sie das eigentlich un traumatisiert überstehen, falls das überhaupt wirklich funktioniert. Und eine der Antworten dieser Leute war: Sie dürfen zum Beispiel dem Schwein auf keinen Fall in die Augen blicken. Also, Sie dürfen auf keinen Fall aus der Rolle der Versachlichung fallen. 

Das Interview führte Verena Tröster.

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Himmelklar (DR)
Himmelklar / ( DR )
Quelle:
DR

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