Warum aus dem Fluss ein Rinnsal wurde

Das Ende des Jordan

Manche trauen sich tatsächlich: Die Füße im Uferschlamm des Jordan schüttet ein Priester einigen Pilgern etwas von dem braunen Wasser über den Kopf - der Tradition nach wurde hier Jesus von Johannes getauft. Allerdings war der Jordan damals ein stolzer Fluss. Heute quält sich ein stinkendes Rinnsal die 200 Kilometer vom See Genezareth bis zum Toten Meer.

Autor/in:
Gabi Fröhlich
 (DR)

"Der Jordan ist nur noch der Mythos eines Flusses", schimpft der deutsche Wasserexperte Clemens Messerschmid, der seit 13 Jahren in den Palästinensergebieten arbeitet. "Man muss schon viel Glauben mitbringen, um sich in diese Brühe zu begeben." Da Israel seit 1964 den See Genezareth für sein Trinkwassersystem anzapft, wurde der Jordanabfluss aus dem See gesperrt. Gespeist wird das gewundene Flussbett vor allem von Abwasserrohren und salzigen Quellen, die um den See herumgeleitet werden.

Auch die Umweltorganisation "Friends of the Earth" (Freunde der
Erde) schlägt Alarm. In einem Bericht heißt es: Wenn die Anrainerstaaten Israel, Syrien und Jordanien dem Jordan nicht wenigstens einen Teil seiner Zuflüsse wiedergeben, werde bis Ende 2011 kein Tropfen Wasser mehr am unteren Flusslauf zu finden sein. Auch das Tote Meer, das aus dem Jordan gespeist wird, hängt an diesem Tropf: Derzeit sinkt der Wasserspiegel um mehr als einen Meter pro Jahr.

Israel trägt die Hauptverantwortung
Umweltaktivisten stellen dabei klar: Israel trage die Hauptverantwortung an der Entwicklung. Bis zu 500 Millionen Kubikmeter pumpt die israelische Wassergesellschaft jährlich aus dem See Genezareth. In riesigen Rohren wird es die Küste entlang zu den großen Städten geleitet, bis in die Wüste Negev. Wenn allerdings der Winterregen karg ausfällt - wie in den vergangenen fünf Jahren - sinkt der Wasserspiegel unter die alarmierende "rote Linie". Messerschmid nennt das "Lotteriewirtschaft": "Man pumpt umso kräftiger und setzt wie im Kasino darauf, dass im nächsten Winter mehr Wasser fällt."

Um die "Wasserkrise" zu bewältigen, lässt die Regierung riesige Entsalzungsanlagen am Mittelmeer bauen. "Ökologischer Wahnsinn", meint Messerschmid; "für jede dieser Anlagen muss ein eigenes Kraftwerk in Betrieb genommen werden". Es werde alles getan, um den überhöhten Bedarf zu decken - statt "das einzig Richtige zu tun: Vernünftig mit den Reserven umzugehen und dadurch enorme Menge einzusparen."

Laut amnesty international verbraucht ein Israeli im Schnitt an die 300 Liter Wasser pro Tag, während einem Palästinenser nur 70 Liter, in armen Regionen lediglich 20 Liter pro Person und Tag zur Verfügung stehen. Ähnliche Zahlen nennt die Weltbank in ihrem jüngsten Lagebericht. Wobei laut Messerschmid 60 Prozent des israelischen Wasserverbrauchs in die Landwirtschaft fließen, während palästinensische Dörfer überteuertes Wasser aus Tanklastern zukaufen müssen.

Keine Hoffnung auf einen Ausweg
Tatsächlich fällt in vielen Regionen des Westjordanlandes jedes Jahr im Sommer die Wasserzufuhr aus. Für jegliche Aktion im Wassersektor müssen die Palästinenser eine Erlaubnis der israelischen Militärverwaltung einholen: Leitungsreparaturen, Graben einer Zisterne, Bohren eines Brunnens. Da Brunnenbohrungen so gut wie gar nicht genehmigt werden, bleibt auch die Nutzung des aus den Bergen im Westjordanland gespeisten großen Grundwasserspeichers zu 80 Prozent in israelischer Hand.

Dramatisch zugespitzt ist die Lage im Gazastreifen: Durch die extrem hohe Bevölkerungsdichte in dem abgeriegelten Küstengebiet ist der Grundwasserspeicher dort völlig überpumpt. Ergebnis: Salziges Meerwasser und hypersalines Wasser aus den israelischen Becken im Osten sickert nach. Es ist vielfach ungenießbar, verursacht Durchfall und Infektionskrankheiten. "Ohne Aufhebung der Blockade", so Messerschmid, "gibt es für die Menschen in Gaza keine Hoffnung auf einen Ausweg aus der Notlage".