Ein jüdischer Schulstreit in Israel endet im Massenprotest

"Kein Gesetz steht über dem Gebot Gottes"

Ein wogendes Meer von schwarzen Hüten: Hunderttausend ultraorthodoxe Juden gingen in Jerusalem auf die Straße. Kommentatoren sprachen vom "dramatischsten Staats-Religions-Konflikt" in der israelischen Geschichte - ausgelöst durch einen Schulstreit in einem verschlafenen Nest namens Emmanuel, einer abgelegenen israelischen Siedlung im Westjordanland.

Autor/in:
Gabi Fröhlich
 (DR)

Dort hatten einige streng religiöse jüdische Eltern aus Osteuropa sich geweigert, ihre Kinder gemeinsam mit denen von arabischstämmigen jüdischen Familien unterrichten zu lassen. In einer Mädchenschule der Siedlung ließen sie eine Trennwand einziehen und führten einen getrennten Unterricht ein. Als Grund nannten sie mangelnden religiösen Eifer der orientalisch geprägten Juden. Das Oberste Gericht in Israel sprach von Rassismus und forderte ein Ende der Trennung. Als die Eltern sich weigerten, ordneten die Richter eine zweiwöchige Haft an.

Der Weg ins Gefängnis wurde am Donnerstag (17.06.2010) zum Triumphzug. Einige Familienväter wurden von tanzenden Demonstranten auf den Schultern getragen. Sie sind die Helden des Tages; und weiter der festen Überzeugung, die Strafe anzutreten, weil sie das Gebot Gottes über jedes andere Gesetz stellen.

Oberster Gerichtshof: "Rassismus"
Drei Jahre lang durchzog eine Trennmauer das Schulgelände: Auf der einen Seite büffelten Mädchen, die überwiegend aschkenasischen Familien angehören, also aus Osteuropa stammen und deren Eltern es mit den religiösen Geboten sehr ernst nehmen. Auf der anderen Seite fand der Unterricht für jene Schülerinnen statt, deren Familien in den Augen der aschkenasischen Juden nicht fromm genug sind, nämlich sephardische oder mizrachische Familien mit südlich-orientalischem Hintergrund.

"Rassismus" sei das, befand der oberste Gerichtshof, nachdem es eine juristische Klage aus der sephardischen Elternschaft gab. Die Trennung erfolge offensichtlich aufgrund von Vorurteilen gegenüber der orientalischen Herkunft der Kinder. Da die Schule staatlich finanziert werde, sei die Trennung nicht erlaubt. Die Angeklagten jedoch weisen die Vorwürfe weit von sich: Zum einen gebe es unter den streng Gottesfürchtigen auch Kinder aus sephardischen Familien. Zum anderen seien die Anforderungen an einen "aschkenasischen" Unterricht rein religiös: züchtige Kleidung, Gebete in traditioneller aschkenasischer Form, strenge Beobachtung der Gebote und dergleichen mehr.

Die Richter blieben bei ihrer Meinung und ließen die Trennwand in der Schule einreißen. Daraufhin nahmen die aschkenasischen Eltern ihre Töchter von der Schule und unterrichteten sie privat. Vergangenen Montag forderte das Gericht die aschkenasischen Eltern ultimativ dazu auf, ihre Töchter wieder in den gemeinsamen Unterricht mit den sephardischen Mädchen zu schicken. Für den Fall der Weigerung drohte es den Eltern zwei Wochen Haft an.

Grelles Licht auf Konflikt
Der Fall wirft ein grelles Licht auf den Konflikt zwischen religiösem Judentum und überwiegend säkular geprägtem Staat in Israel. Staatspräsident Shimon Peres, der in der Affäre um Vermittlung gebeten wurde, zeigte zwar Verständnis für die Anliegen der Religiösen, bestand jedoch darauf, dass es in Israel "nur ein Gesetz" gebe. Die Demonstranten ihrerseits skandierten: "Kein Gesetz steht über der Thora", während sie die unbeugsamen Eltern zu Zehntausenden zum Haftantritt begleiteten.

Vertreter des liberaleren Judentums stellten sich hinter das Gerichtsurteil. Aber auch den Führern der sephardischen Gemeinschaft kann eine Eskalation des Streits nicht recht sein. Keine der jüdischen Gruppen wünscht sich zu viel staatliche Einmischung in ihre religiösen Angelegenheiten. So kritisierte der geistliche Führer der Shas-Partei, Rabbi Ovadia Yosef, dass die sephardischen Eltern vor Gericht gezogen waren: Der Streit hätte anders gelöst werden müssen. Insofern ist es durchaus möglich, dass es in der Mädchenschule von Emmanuel irgendwann doch noch zum Kompromiss kommt.