DOMRADIO.DE: Der heutige St.-Paulus-Dom ist der dritte an gleicher Stelle und hatte schon zwei Vorgängerbauten zu Anfang des 9. und Ende des 11. Jahrhunderts. Allen Zerstörungen und baulichen Veränderungen zum Trotz ist der spätromanische Dom im Kern noch immer ein "Kind" des 13. Jahrhunderts?
Hans-Bernd Köppen (Dompropst am St.-Paulus-Dom Münster): Vor 800 Jahren wurde am Fest der Heiligen Maria Magdalena sein Grundstein durch den damaligen Bischof gelegt, und das ist uns eine Feier wert.
Ein früherer Vorgängerbau stand etwas anders als der heutige Dom. Das hing mit der Ausrichtung des damaligen Monasteriums zusammen und hat auch Spuren hinterlassen, die wir entdeckt haben, als wir damals anlässlich des Umbaus der Bischofsgruft Ausgrabungen vorgenommen haben. Also: Das heutige Gelände wurde vor 800 Jahren so angelegt.
DOMRADIO.DE: Bereits im 8. Jahrhundert ließ Karl der Große dort ein Kloster anlegen: Diesem Monasterium, das Sie erwähnten, verdankt Ihre Stadt ihren Namen?
Köppen: Das ist so anzunehmen. Es gibt immer wieder neue Forschungsergebnisse, aber dass "Münster" eine Ableitung von "Monasterium" ist, halte ich für das Schlüssigste.
DOMRADIO.DE: Gibt es einen Ort im Dom, der für Sie persönlich eine besondere Bedeutung hat – vielleicht einen, den die meisten Besucher gar nicht wahrnehmen?
Köppen: Das hängt auch ein bisschen von der Stimmung ab. Wir haben natürlich einen sehr schönen Kapitelsaal, wo man sich aufhalten kann. Wenn man Ruhe haben und einen besinnlichen Ort finden will, ist sicherlich auch der Friedhof im Innenhof, so makaber das klingen mag, ein sehr schöner Ort, wo man sich aufhalten kann.
Und im Dom selber, finde ich, ist unser Westwerk etwas Wunderbares, wo man sich in Ruhe hinsetzen kann, weil das ein kleinerer Raum in dem großen Raum ist.
DOMRADIO.DE: Der heutige Dom trägt wie seine beiden Vorgängerbauten das Patrozinium des "Völkerapostels" Paulus, als einzige Kathedrale in Deutschland übrigens. Wie kam es zu der Namensgebung?
Köppen: Das geht auf Liudger zurück, den ersten Bischof von Münster, und es ist sogar nicht nur Deutschland, sondern außer der St. Paul’s Cathedral gibt es nördlich der Alpen kein weiteres Dompatrozinium für den heiligen Paulus.
Man vermutet, dass Liudger diesen Namen gewählt hat, weil er sich selber in der missionarischen Tradition des Paulus verstanden hat: Er wollte hinausgehen in die Welt, um das Evangelium zu verkünden, und das hat er auch sehr nachhaltig getan.
DOMRADIO.DE: Wie wird das 800-jährige Jubiläum begangen?
Köppen: An diesem Samstag (28. Juni) feiern wir den Auftakt mit einem Konzert im Dom und es wird noch einmal das PAX-Oratorium aufgeführt: Es wurde eigens für den Katholikentag 2018 in Münster geschrieben und wir haben immer nach einer geeigneten Gelegenheit gesucht, es wieder in Deutschland aufzuführen. Zuletzt wurde es in Mexiko, am Wallfahrtsort der Heiligen Jungfrau von Guadalupe, von unserer Dommusik aufgeführt und es greift natürlich auch ein hochaktuelles Thema, nämlich den Frieden, auf.
Ein weiteres Highlight ist, dass wir am kommenden Donnerstag in der Messe erstmals seit 2014 wieder den Reliquien- und Domschatz enthüllen und auf dem dafür 1622 geschaffenen Paulusaltar präsentieren werden. Das sind 55 Objekte, sakrale Kunstwerke und liturgische Gegenstände, die in die Heilsgeschichte hineingehen und die man sich in Ruhe ansehen oder auch erklären lassen sollte. Diese Ausstellung wird bis Sonntag zur Vesper zu sehen sein. Das sind nur vier Tage, das wollten wir bewusst begrenzen.
Ein weiterer Höhepunkt des Domjubiläums ist die große Prozession am 6. Juli, die einem Brauch aus dem Jahr 1382 folgt. Erwartet wird zu dem Umzug durch die Altstadt mit anschließendem Gottesdienst auch Erzbischof Dr. Nikola Eterović, der Apostolische Nuntius in Deutschland.
DOMRADIO.DE: Ein Bauwerk über acht Jahrhunderte zu erhalten, ist eine gewaltige Aufgabe – was waren oder sind die größten Herausforderungen in der Erhaltung des Doms, sowohl baulich als auch ideell?
Köppen: Ich denke, das muss ich Kölnern nicht erklären, dass man einen Dom immer wieder pflegen muss. Er ist durch die Grundsanierung vor gut zehn Jahren im Moment in einem sehr guten Zustand.
Aber es gibt natürlich Einzelteile, Kunstwerke und Figuren, die gepflegt werden müssen. Dann muss mal wieder dieses und jenes Portal aufgearbeitet werden. Eigentlich tut man gut daran, ihn kontinuierlich instand zu halten. Dann erspart man sich die großen Schäden. Und so handhaben wir das auch: Es wird permanent immer etwas renoviert.
DOMRADIO.DE: Um viele historische Bauten ranken sich Legenden und geheimnisvolle Geschichten: auch beim Münsteraner Dom?
Köppen: Legenden in dem Sinne nicht, aber es gab Streit nach dem Zweiten Weltkrieg. Da ging es um die Gestaltung des Westwerks, wo heute der Altar steht. Der damalige Bischof Michael Keller hatte veranlasst, dass dort eine neue, moderne Rosette mit kreisförmig angeordneten Rundfenstern eingebaut wird, und davon waren die Münsteraner damals nicht begeistert, sie haben sie dann spöttisch "Seelenbrause" und "Keller-Fenster" genannt. Aber das hat sich mittlerweile gelegt.
Ansonsten ist, glaube ich, das äußerlich Markanteste, dass unser Dom so ruhig und tief auf diesem Domplatz liegt. Das hat etwas westfälisch Gelassenes. Er ist nicht aufgeregt, er geht nicht furchtbar hoch in den Himmel und er ist auch nicht sehr verspielt, auf eine sehr schöne und nüchterne Art. Und ich glaube, das strahlt einfach auch von diesem Dom in die Stadt aus.
DOMRADIO.DE: Wir befinden uns in einer Säkularisierung, immer weniger Menschen gehen in die Kirche, besuchen Gottesdienste oder beten. Inwiefern öffnet sich der Münsteraner Dom auch für andere Zwecke, Konzerte oder Lichtinstallationen beispielsweise?
Köppen: Das machen wir schon lange, und ich halte es für einen Teil unserer Verkündigung des Evangeliums. Wir haben natürlich den Dom als Ort des Gebetes und das ist uns auch ganz wichtig. Wir hatten immer schon geistliche Konzerte und Oratorien im Dom.
Und in der Tat haben wir jetzt im Herbst etwas ganz Neues: Dann wird "Luminescence" hier aufgeführt, eine Klang- und Lichtshow zur Geschichte des Domes. Sie ist bekannt aus den großen Kathedralen in Frankreich, und wir freuen uns sehr, dass dies ab dem 4. September bis Januar bei uns im Dom zu sehen sein wird.
Ein weiteres Beispiel: Seit zehn Jahren gibt es bei uns die "Domgedanken": Da greifen wir gesellschaftspolitische Themen in Vorträgen auf, die beispielsweise von Politikerinnen und Politikern gehalten wurden. Bei uns geht es nicht immer geistlich im engeren Kontext zu, sondern es ist uns wichtig, auch politische Fragen zu stellen, denn das Evangelium ist nicht neutral gegenüber unserer Gesellschaft.
DOMRADIO.DE: Offiziell eröffnet wird das Jubiläum am Donnerstag (3. Juli) mit einem Gottesdienst, dem Sie vorstehen. Was wird zu diesem 800-jährigen Jubiläum Ihre Botschaft an die Menschen – nicht nur die Gläubigen, sondern alle Münsteraner und darüber hinaus – sein?
Köppen: Es ist uns sehr wichtig, dass die Feier nicht nur für die Münsteraner, sondern für das ganze Bistum und darüber hinaus ist. Das Jubiläum steht unter dem Leitwort: "Denn einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist: Jesus Christus": Es ist uns ein Anliegen gewesen, dass wir nicht Steine alleine feiern, sondern verbunden mit diesen Steinen wird eine 800-jährige Glaubensgeschichte gefeiert, die bis heute andauert. Und dazu möchten wir die Menschen in unserer Zeit ermutigen: Ein solcher Baustein an der Kirche und der Verkündigung Jesu Christi in unserer Zeit zu sein.
Das Interview führte Ina Rottscheidt.
Info: Das Programm des Jubiläums finden Sie im Netz auf einer Themenseite des Bistums Münster.