Vor 50 Jahren erschien "Die Blechtrommel" von Günter Grass

"Ein wilder Einzelgänger"

Vor 50 Jahren erschien "Die Blechtrommel" von Günter Grass. Der gelernte Bildhauer, der bislang einen wenig beachteten Gedichtband und zwei Bühnenstücke veröffentlicht hatte, war danach ein gemachter Mann - und die Reizfigur im deutschen Literaturbetrieb.

Autor/in:
Peter Kohl
 (DR)

"In wenigen Stunden, sozusagen über Nacht, war Günter zu einem bekannten Autor geworden." So erinnerte sich Hans Werner Richter an jenen Abend im Herbst 1958 im Gasthaus "Adler" in Großholzleute im Allgäu, der den literarischen Durchbruch für Günter Grass markierte. Die Lesung aus seinem noch unfertigen Roman "Die Blechtrommel" vor den Schriftsteller-Kollegen der "Gruppe 47" hinterließ einen so starken Eindruck, dass Richter, der Spiritus Rector des losen, aber einflussreichen literarischen Zirkels, sogleich bestürmt wurde, den Preis der Gruppe zu vergeben, den zuletzt drei Jahre zuvor Martin Walser erhalten hatte. Durch eine spontane Sammlung vor Ort kam die stattliche Summe von 5.000 DM zusammen.

Der damals 31-jährige Grass, der gerade Vater von Zwillingen geworden war, konnte das Geld gut gebrauchen. Von Paris, seinem damaligen Wohnort, war er in die württembergische Provinz getrampt, bald sollte der gebürtige Danziger seinen Lebensmittelpunkt nach Berlin verlegen. Mit dem Erscheinen der "Blechtrommel" am 24. September 1959 war der gelernte Bildhauer, der bislang einen wenig beachteten Gedichtband und zwei Bühnenstücke veröffentlicht hatte, ein gemachter Mann und die Reizfigur im deutschen Literaturbetrieb. Nach der aufsehenerregenden Lesung bekundeten mehrere Verlage ihr Interesse. Grass, der bei den Verhandlungen Geschick bewies, entschied sich für den Luchterhand-Verlag. Lange Zeit blieb er sein Hausverlag.

Harsche Reaktionen
Die Reaktionen auf das Erscheinen des Romans waren überwältigend - überwältigend negativ von Seiten der konservativen und christlichen Presse. "Wir warnen in aller Form davor, dieses Machwerk zu empfehlen oder Menschen mit unverdorbenem Geschmack in die Hand zu geben", warnte ein Dr. Müller-Eckhard in der "Kölnischen Rundschau". Andere Rezensenten sprachen von "Pornografie" und "Blasphemie". Solche Reaktionen dürften den Autor kaum überrascht haben.

Mit dem Blechtrommler Oskar Matzerath, der sich dem Groß- und damit auch dem Erwachsenwerden verweigert und schließlich in einer Heilanstalt landet, hatte er eine Figur erschaffen, die sich in absoluter Narrenfreiheit über alle damals gängigen Tabus hinwegsetzt, seien sie sexueller, ästhetischer, religiöser oder politischer Natur. Ein ewiges Kind, in dessen Perspektive sich, ins Groteske verzerrt, aber zugleich deutlich erkennbar, die jüngste deutsche Geschichte in all ihrer Gewalttätigkeit und Perversion widerspiegelt.

In der Adenauer-Ära ging Grass damit vielen viel zu weit. Der Bremer Senat verweigerte ihm den Literaturpreis der Hansestadt, den ihm eine unabhängige Jury bereits zugesprochen hatte. Der rechtslastige Publizist Kurt Ziesel erhielt 1969 nach langem Rechtsstreit letztinstanzlich das Recht, Grass als "Verfasser übelster pornografischer Ferkeleien" und als "Verfasser übelster Verunglimpfungen der katholischen Kirche" zu bezeichnen. Der Blasphemie-Vorwurf bezieht sich vor allem auf eine Szene, in der Oskar in der Danziger Herz-Jesu-Kirche der Holzfigur des Jesusknaben seine Trommel umhängt, um ein "Wunderchen" zu erleben, das natürlich ausbleibt, woraufhin er die Figur beschimpft und malträtiert.

"Dieser Mann ist ein Störenfried"
Entscheidender wurde letztlich der starke Zuspruch für Grass. Als größter und wortmächtigster Fürsprecher erwies sich Hans Magnus Enzensberger, der urteilte: "Dieser Mann ist ein Störenfried, ein Hai im Sardinentümpel, ein wilder Einzelgänger in unserer domestizierten Literatur". Aber auch die Negativreaktionen waren Wasser auf die Mühlen eines ungeheuren literarischen Erfolgs, der in geringerem Maß auch den folgenden Werken von Grass beschieden war, so dem Roman "Hundejahre" oder der Novelle "Katz und Maus", die mit der "Blechtrommel" die "Danziger Trilogie" bildeten.

1979 wurde die "Blechtrommel"-Verfilmung von Volker Schlöndorf ein großer Publikumserfolg und gewann sogar den Oscar. 1999 erhielt Günter Grass den lange erwarteten Literaturnobelpreis, wobei es ihn geschmerzt haben mag, dass auch die höchste Auszeichnung in der literarischen Welt explizit seinem damals schon vierzig Jahre zurückliegenden Romandebüt galt. "Die Blechtrommel" wurde in 24 Sprachen übersetzt, die Gesamtauflage beträgt weit über 3 Millionen.