Vor 30 Jahren wurde Ministerpräsident Jitzchak Rabin ermordet

Schuss ins Herz der Demokratie

Seine Annäherung an die Palästinenser bezahlte Israels damaliger Ministerpräsident, Jitzchak Rabin, mit dem Leben. Ein Nationalreligiöser sah darin Verrat. Von der damaligen Friedensvision ist Israel weiter entfernt als je zuvor.

Autor/in:
Andrea Krogmann und Burkhard Jürgens
Israels damaliger Ministerpräsident, Jitzchak Rabin, im Februar 1994 in Jerusalem. / © Jim Hollander/dpa (dpa)
Israels damaliger Ministerpräsident, Jitzchak Rabin, im Februar 1994 in Jerusalem. / © Jim Hollander/dpa ( dpa )

Am 4. November 1995 fielen am Rande einer Friedensdemonstration in Tel Aviv Schüsse. Zwei Kugeln trafen den damaligen Ministerpräsidenten und Friedensnobelpreisträger Jitzchak Rabin. "Der Weg des Friedens ist dem Weg des Krieges vorzuziehen", hatte Rabin noch wenige Minuten zuvor von der Bühne aus gesagt. Für den nationalreligiösen Studenten Jigal Amir waren Rabins Worte und Taten Verrat.

Der Mord tötete nicht nur den Mann, der als erster gewählter Vertreter Israels Palästinenserführer Jassir Arafat die Hand geschüttelt hatte; er traf auch das Herz der Demokratie.

13.09.1993, USA, Washington: Jitzchak Rabin (links), damaliger Ministerpräsident von Israel, und Jassir Arafat (rechts), damaliger Vorsitzender der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO, geben sich im Beisein von Bill Clinton die Hand. Es ist ein Bild, das wie kein anderes die großen Hoffnungen auf einen Frieden zwischen Israel und den Palästinensern symbolisiert. / © Avi Ohayon/Israeli Government Pr/EPA/dpa (dpa)
13.09.1993, USA, Washington: Jitzchak Rabin (links), damaliger Ministerpräsident von Israel, und Jassir Arafat (rechts), damaliger Vorsitzender der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO, geben sich im Beisein von Bill Clinton die Hand. Es ist ein Bild, das wie kein anderes die großen Hoffnungen auf einen Frieden zwischen Israel und den Palästinensern symbolisiert. / © Avi Ohayon/Israeli Government Pr/EPA/dpa ( dpa )


Jitzchak Rabin, geboren 1922 in Jerusalem, wuchs mit links-zionistischen Ideen auf. 1941 trat er der neugegründeten paramilitärischen Eliteeinheit Palmach bei. Sie ging bei der Gründung des Staates 1948 in die israelischen Streitkräfte über, deren siebter Stabschef Rabin im Dezember 1963 werden sollte. In seine Zeit fiel der Sechs-Tage-Krieg 1967, der zur Annexion Jerusalems und des Westjordanlandes führte.


Seine Karriere führte Rabin über die Posten des Botschafters in Washington und des Arbeitsministers im Juni 1974 ins höchste Regierungsamt - als erster Ministerpräsident Israels, der im Land geboren war. In seiner Amtszeit unterzeichnete er ein Interimsabkommen mit Ägypten, auf dessen Grundlage sein Nachfolger Menachem Begin 1979 den Friedensvertrag mit dem Nachbarstaat besiegelte.

Friedensnobelpreis und kriegerische Attribute

Zwischenzeitlich aus Regierung und Parteivorsitz ausgeschieden, wurde Rabin 1984 Verteidigungsminister, 1992 noch einmal Ministerpräsident. In seiner zweiten Amtszeit arbeitete er energisch am Nahostfrieden, was sich unter anderem im jordanisch-israelischen Friedensabkommen von 1994 niederschlug. Die ersten direkten Gespräche zwischen Israelis und Palästinenserführung führten zu den Oslo-Abkommen.

Der Plan sah vor, nach einer Übergangszeit palästinensischer Selbstverwaltung im Westjordanland und im Gazastreifen einen dauerhaften Status auszuhandeln. Das Engagement brachte Rabin 1994 den Friedensnobelpreis ein - zusammen mit seinem Außenminister Schimon Peres und Palästinenserführer Jassir Arafat. Keine 14 Monate später war er tot.

"Ich war 27 Jahre lang Soldat. Ich habe gekämpft, solange es keine Chance auf Frieden gab. Ich glaube, dass es jetzt eine Chance für Frieden gibt, eine große Chance", beschrieb Rabin selbst seine Rolle in seiner letzten großen Rede. Als er starb, zollten ihm seine Partner im Friedensprozess mit militärischen Attributen Bewunderung: König Hussein von Jordanien nannte ihn "Soldat des Friedens"; Ägyptens Präsident Hosni Mubarak rühmte ihn als "gefallenen Helden des Friedens". Rabin wusste, dass seine Idee Feinde hatte. Er scheiterte ebenso wie sein Projekt.

Hass ist wieder politische Waffe

Schon damals sahen in Israel viele die Tat Amirs als Symptom einer tieferen Entwicklung. Jahre später analysierte Reuven Rivlin, Staatspräsident von 2014 bis 2021, der Mord habe den Glauben an das jüdische Gemeinwesen erschüttert; er sprach auch von "krimineller Anstiftung" des Täters zu einem "Anschlag auf die israelische Demokratie". Amir hatte vor dem Attentat Rat bei einem führenden Rabbiner der Siedlerbewegung gesucht.

Menschen demonstrieren vor der Knesset gegen die Regierung des israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu und fordern die Freilassung der Geiseln, die im Gazastreifen von der palästinensischen Hamas festgehalten werden.  / © Leo Correa/AP (dpa)
Menschen demonstrieren vor der Knesset gegen die Regierung des israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu und fordern die Freilassung der Geiseln, die im Gazastreifen von der palästinensischen Hamas festgehalten werden. / © Leo Correa/AP ( dpa )

Die politischen Verhältnisse im Land haben sich seit 1995 verschoben. Was nach dem Oslo-Abkommen nur der Ausgangspunkt für einen Friedensprozess sein sollte, wurde zum Status quo zementiert. Und selbst diesen unterläuft der amtierende Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, seinerzeit scharfer Gegner Rabins. Seine rechtsextreme Regierung fördert den Siedlungsbau in nie gekanntem Ausmaß; die Vision eines Palästinenserstaates hat sie ungeschminkt für tot erklärt.

An diesem Samstag soll im Zentrum Tel Avivs an der Stelle, wo Rabin ermordet wurde, eine Gedenkveranstaltung stattfinden. Seit fünf Jahren gab es keine derartige Kundgebung. Es sei eine Zeit, in der Hass wieder zur politischen Waffe geworden sei, erklärten die Organisatoren. Israel müsse auf die Straße gehen und dürfe über Meinungsgegensätze nicht die Einheit vergessen. Sprechen werden Politiker wie Oppositionsführer Jair Lapid, der frühere Generalstabschef Gadi Eizenkot und die mehrfache Ministerin Tzipi Livni. Ob auch ein Vertreter der Regierung teilnimmt, ist offen.
 

Quelle:
KNA