Vor 200 Jahren wurde Leo XIII. geboren

Papst der heißen Eisen

Bei seiner Wahl hatte man eigentlich nur einen Mann des Übergangs gesucht. Doch dieser Übergang hatte es in sich: Leo XIII. starb 1903 nach mehr als 25 Jahren im Amt. Der "soziale Papst" begann einen Kurs der Öffnung gegenüber der modernen Welt und durchbrach die "Festungsmentalität" der Kirche.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
 (DR)

Vor 200 Jahren, am 2. März 1810, wurde Leo XIII. als Vincenzo Gioacchino Pecci geboren. Seine Amtszeit folgte auf das 32-jährige Pontifikat Pius IX., der mit kurialer Zentralisierung und Unfehlbarkeitsdogma die Nationalen aller Länder erzürnt hatte. Nun sollte Gioacchino Pecci, den das Konklave im dritten Wahlgang zum neuen Papst bestimmt hatte, die Wogen glätten. Dabei war das neue Kirchenoberhaupt schon fast 68 Jahre alt und gesundheitlich angeschlagen.

Leo XIII. begann einen Kurs der Öffnung gegenüber der modernen Welt und durchbrach die "Festungsmentalität" der Kirche, die durch die Umwälzungen der Französischen Revolution und durch den Verlust des Kirchenstaates an die italienische Republik jahrzehntelang traumatisiert gewesen war. Als erstes Ziel formulierte er die Aussöhnung von Kirche und Kultur. Mit seiner bahnbrechenden Enzyklika "Rerum novarum" setzte er 1891 neue Maßstäbe in der kirchlichen Sozialverkündigung. Die Öffnung der vatikanischen Bibliothek und des Geheimarchivs für Forscher aller Konfessionen brachten ihm Ansehen als Förderer der Wissenschaft. Auch Leos ökumenische Initiativen waren für die Zeit beispielhaft.

"Hang zum Politisieren und Diplomatisieren"
Vor allem aber galt Leo XIII. den Zeitgenossen wie Historikern aller Couleur als "politischer Papst". Selbst katholische Kirchenhistoriker bescheinigen ihm einen "Hang zum Politisieren und Diplomatisieren". So handelte Leo ein Ende des verbissen geführten preußischen Kulturkampfs aus und strebte einen innerkirchlich heftig umstrittenen Ausgleich mit der französischen Republik an. Von Anfang an, so der Historiker Oskar Köhler, war Leo XIII. "darauf bedacht, sich mit den jeweiligen politischen Situationen bis an die Grenzen des Tolerablen zu arrangieren". Der antiklerikale Politiker Leon Gambetta nannte ihn gar einen "geweihten Opportunisten".

In den letzten Jahren dieses außergewöhnlichen Pontifikats gewannen allerdings mit den sogenannten Antimodernisten betont konservative Gruppierungen Einfluss auf das Kirchenoberhaupt. Manche Dinge wurden bereits am gebrechlichen Papst vorbei von der Kurie erledigt.

Bei der Bewertung aller sozialen und politischen Äußerungen Leos muss man sich die teils sehr tiefen Gegensätze innerhalb der national geprägten Katholizismen vor Augen führen, zwischen denen der Papst urteilen und behutsam agieren musste. Auch die politischen Rahmenbedingungen erstreckten sich von laizistischen Republiken bis hin zu konservativ-restaurativen Monarchien. Jedes ideologische Zugeständnis etwa an die antiklerikale französische Republik musste den katholischen Royalisten als unglaubliche Zumutung erscheinen. Zudem durfte er nirgends unvorsichtig revolutionäre Bestrebungen ermutigen.

Die Enzyklika "Graves de communi"
In seinem 23. Dienstjahr packte der 90-jährige Papst mit der Enzyklika "Graves de communi" 1901 noch einmal ein "heißes Eisen" an: die Demokratie. Die Gründung einer katholischen Partei wie dem deutschen "Zentrum" wollte Leo angesichts der politischen Lage in Frankreich wie in Italien unbedingt verhindern. Demokratie sei zeitbedingt, so argumentierte er, und vom theologischen Standpunkt aus weder besser noch schlechter legitimiert als andere Staatsformen; die Entscheidung darüber sei somit eine rein politische und keine Glaubensfrage.

In seiner Bilanz der bisherigen Arbeit der sogenannten democratie chretienne lobt er zwar den Mut der Männer, die sich der Umsetzung seiner katholischen Soziallehre in den Alltag widmeten. Zugleich warnt Leo XIII. davor, den Begriff, der doch lediglich das "mildtätige christliche Handeln für das Volk" bezeichnen könne, "in das Politische zu verdrehen". Die Kirche sei für alle Stände da und habe bei aller Verpflichtung auf das Gemeinwohl auch die unteren nicht zu bevorzugen.

Für die "christlichen Demokraten" musste die Spätzeit des Pontifikats eine herbe Enttäuschung sein. Sie waren all die Jahre begeistert gewesen von den Leistungen und Weisungen des "sozialen Papstes" und seinem Kurs der Versöhnung von Kirche und Moderne. Das späte Politikverbot des "politischen Papstes", dem - zumindest zeitweilig - eine Verbesserung der Beziehungen zu diversen europäischen Staaten gelungen war, hatte eine nachhaltige "sozialpolitische Blickverengung" der Katholiken auf Sitte und Moral zur Folge.