Vor 20 Jahren starb TV-Moderator Hans-Joachim Kulenkampff

Charmeur – Chauvi – Scherzbold gegen deutsche Traumata

Er war ein Straßenfeger des bundesrepublikanischen Unterhaltungsfernsehens. Wenn "Kuli" kam, saß die Familie vor der Glotze. Kaum einer ahnte, dass hier eigene Traumata weggewitzelt wurden. Und ein Altnazi assistierte.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Der Showmaster und Schauspieler Hans-Joachim Kulenkampff in der Quiz-Sendung "Einer wird gewinnen" / © Wolfgang Weihs (dpa)
Der Showmaster und Schauspieler Hans-Joachim Kulenkampff in der Quiz-Sendung "Einer wird gewinnen" / © Wolfgang Weihs ( dpa )

Was war der Mann charmant! Natürlich, ein bisschen machte er sich auch lustig über seine einfältigen Gäste, und vor allem über die jungen Damen. Aber bitte: Das waren doch die 50er, 60er Jahre – und bei diesem Lächeln und diesem Augenaufschlag... Vor 20 Jahren, am 14. August 1998, starb Hans-Joachim Kulenkampff, einer der ganz großen Stars des frühen bundesrepublikanischen Unterhaltungsfernsehens. Ein Charmeur, ein Chauvi - aber auch ein Traumatisierter der deutschen Katastrophe.

Geboren wurde Kulenkampff im April 1921 in eine uralte Familie des Bremer Bürgeradels, die sich bis ins 15. Jahrhundert zurückverfolgen lässt. Vielfach familiär musisch vorbelastet, musste der junge Theaterstudent mit gerade mal gut 20 Jahren an die Ostfront.

Kleine, harmlose Scherze

Natürlich, ja, er sprach kaum darüber; die Sache war immerhin bekannt. Aber erst die jüngst ausgestrahlte, frappierende ARD-Doku "Kulenkampffs Schuhe" von Regina Schilling hat wohl die wirklichen Dimensionen dessen erfasst, was sich vor den Augen der ahnungslosen Zuschauer abspielte: Unterhaltungsfernsehen, um an "das andere" nicht denken zu müssen.

Immer wieder machte Kulenkampff in seinen Sendungen vor der halben Bundesrepublik verkappte Witze über den Krieg; kleine, harmlose Scherze oder Gesten – während er im Privaten die einsetzende Konfrontation der Deutschen durch Kriegsfilme nicht aushalten konnte. Er floh buchstäblich aus dem Raum, wenn er ansehen sollte, was er selbst durchlitten hatte.

Kriegsleiden

Die immensen Verluste im Russland-Feldzug. "Jeden Morgen neben mir einige Kameraden tot und steifgefroren." Er selbst schnitt sich mit dem Taschenmesser eigenhändig vier erfrorene Zehen ab. In der Samstagabendsendung der Adenauer-Ära: immer gute Laune. Wodka? – "Der einzige Grund, dass ich nicht bereue, in Russland gewesen zu sein."

1944, nach zwei Jahren, in denen er für kriegsuntauglich erklärt worden war, musste Kulenkampff wieder an die Front. Jetzt nach Hannover; das letzte Aufgebot. In seinen Erinnerungen beschreibt er, wie dort mehrere junge Frauen von Bombentreffern zerfetzt wurden: "eine furchtbare Sauerei – wo ich doch Mädchen so gerne hatte".

Eine feste Größe

Nach der Kriegsgefangenschaft ging er zum Theater nach Frankfurt, machte schnell Rundfunk-, Fernseh- und sogar Filmkarriere; blieb auch immer dem Theater treu. Ja, das Fernsehen war eher der gute bezahlte Nebenjob für das schlecht bezahlte Theater. Wegen seiner Jugend war Kulenkampff nicht von der Entnazifizierung betroffen. Seine Sendeformate freilich wurden nur teilweise Erfolge. Er selbst, der gebildete Charmeur und Possenreißer, war immer einer. "Der Kuli" war eine Marke, eine feste Größe.

Es waren andere Zeiten...

Sein größter Erfolg blieb "Einer wird gewinnen", kurz EWG. Eurovisionshymne, international aufgestellt. Menschen aus anderen europäischen Ländern wurden hier eingeladen und vorgestellt; lässig, smart, ironisch, mittelrespektvoll. Es waren andere Zeiten... Kaum einer wusste oder ahnte – auch Kulenkampff nicht –, wer hier im Hintergrund agierte.

Produzent der Sendung – übrigens auch für Heinz Schenks "Blauen Bock" und Bernhard Grzimeks "Ein Platz für Tiere" – war Martin Jente, der auch als ewiger Butler selbst vor die Kamera trat, um Kulenkampff nach einem knappen Dialog rituell Frack, Hut und Schirm zum Abgang zu reichen. Hat der sensible Showmaster eine Ahnung gehabt, dass Jente seit 1933 SS-Mitglied war, später SS-Hauptscharführer und Adjutant im Führerhauptquartier? All seine Insignien, die Telegramme des Führers, fand man nach seinem Tod in seiner Wohnung.

"Gute Nacht!"

Für die Bundesbürger blieb Hans-Joachim Kulenkampff noch für eine andere Sendung unvergesslich: "Nachtgedanken" (1985-1990). Ein Gute-Nacht-Format, nach dem die Nationalhymne gefiedelt wurde. Danach: Sendeschluss. Heute undenkbar. Kulenkampff, im Ohrensessel, las klassische Auszüge aus Literatur und Philosophie. Dann setzte er wissend-weise seine Brille ab, linste schelmisch in die Kamera und wünschte eine "Gute Nacht!". Deutsche Fernsehgeschichte.

Vor 20 Jahren, am 14. August 1998, holte ihn in seiner österreichischen Wahlheimat Seeham der Bauchspeicheldrüsenkrebs.


Quelle:
KNA