Sie gilt bis heute als eine streitbare Frau - und in Deutschland hat sie nie einen Lehrstuhl bekommen. Vor 20 Jahren, am 27. April 2003, starb die evangelische Theologin und Lyrikerin Dorothee Sölle. Ihr Denken war geprägt von dem Bewusstsein, "nach Auschwitz" zu leben. Sie engagierte sich in der Friedensbewegung und protestierte gegen die atomare Aufrüstung.
Ihre Politischen Nachtgebete Ende der 60er Jahre in Köln lösten heftige Kontroversen mit den beiden großen Kirchen aus. Sölle wurde am 30. September 1929 in Köln geboren, lebte in Hamburg und erlag im Alter von 73 Jahren einem Herzinfarkt im baden-württembergischen Göppingen.
Zusammenhang zwischen Theologie und Politik
Für Sölle habe Theologie und Politik fest zusammengehört, sagte die Theologin Renate Jost der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). "Sie hat stets zu gegenwartsrelevanten Themen Stellung bezogen und dabei deutlich gemacht, dass Theologie immer politisch und immer interessengeleitet ist", so Jost. "Sölle war in vielerlei Hinsicht ihrer Zeit voraus."
Viele der von ihr bearbeiteten Themen seien bis heute wichtig, sagte Jost weiter. So habe Sölle etwa eine Theologie kritisiert, in der das Leiden verherrlicht werde. Zudem spielten Mystik und Poesie eine bedeutende Rolle für die Theologin. "Auch Fragen ihrer Kreuzestheologie bleiben wichtig und heikel - dass es auch einen bitteren Christus gibt, der in das Leid und den Widerstand hineinführt."
Kein Lehrstuhl für Sölle
In Deutschland erhielt die habilitierte Theologin nie einen Lehrstuhl. 1975 bis 1987 lehrte sie als Gastprofessorin am Union Theological Seminary in New York. Jost erinnert sich im Gespräch mit der KNA an ein Seminar, das sie in den USA bei Sölle belegt hat. "Es ging um das Thema Leiden, das war für mich sehr eindrücklich." Sie selbst und Sölle seien die einzigen Deutschen in der Veranstaltung gewesen. "Und für Dorothee Sölle war das nicht leicht, weil den amerikanischen Studierenden der deutsche Nachkriegshintergrund und die Bedeutung einer Theologie nach Auschwitz nicht vertraut war."
Zornig, fromm und fehlbar
Fulbert Steffensky, ehemaliger Benediktinermönch und Ehemann von Sölle, bezeichnete seine Frau jüngst in der "Herder Korrespondenz" als zornig, fromm und fehlbar. Sie sei eine Moralistin, Psalmistin und Missionarin gewesen, so Steffensky weiter. "Dorothee Sölle hatte Angst vor einer systematisch-glatten Theologie, aus der alle Ungereimtheiten entfernt sind. Sie wollte die Widersprüche retten."
Ihr Lebenswerk nannte Sölle "Mystik und Widerstand". So lautet auch der Titel ihres 1997 erschienenen Buches. In einem ihrer letzten Interviews Anfang April 2003 sagte sie der KNA, lebendige Kirche müsse "ökumenisch, feministisch und mystisch" sein.
Auf dem Katholikentag in Hamburg im Jahr 2000 betonte die evangelische Theologin, die deutschen Katholiken hätten Rom "schon weit hinter sich gelassen". Leer werdende Kirchen seien auch ein Stück Befreiung. Und die Zeichen zeigten an, dass Demokratie in der Kirche und eine neue Theologie für viele Katholiken an der Zeit seien.