Vor 20 Jahren öffnete der Papst das Archiv der Glaubenskongregation

Mehr Licht im Dunkel der Kirchengeschichte

Folianten und Reprokameras, Computer und ein roter Holzkasten. Wie aus dem buchhalterischen Erbe der Römischen Inquisition eine Quelle moderner Geschichtsforschung wurde. Zu Besuch im Archiv der Glaubenskongregation.

Autor/in:
Roland Juchem
Aktenlager / © Sebastian Kahnert (dpa)
Aktenlager / © Sebastian Kahnert ( dpa )

Draußen vor der Tür, im Innenhof des ehrwürdigen "Heiligen Offiziums", stehen leere Kartons neuer Computer. Drinnen stapeln sich staubige Zeitungen neben fotografischen Reproduktionstischen: das Archiv der Päpstlichen Glaubenskongregation. Wurde früher zeitweise geleugnet, dass es derlei überhaupt gibt, reicht heute der Hinweis beim Pförtner, man habe einen Termin, um den Weg gewiesen zu bekommen.

Dass Journalisten und andere Besucher hier so einfach hereinkommen, haben sie zwei Männern zu verdanken, deren Porträts im Archiv zu sehen sind: Papst Johannes Paul II. und Kardinal Joseph Ratzinger, sein späterer Amtsnachfolger. Am 22. Januar 1998 ordnete der Papst aus Polen offiziell die Öffnung des Archivs der einst gefürchteten Römischen Inquisition an. Dafür eingesetzt hatte sich auch der damalige Präfekt der Kongregation, Kardinal Ratzinger. Ein erster Anstoß kam jedoch aus Kalifornien: Von dort schrieb der aus Turin stammende Mittelalterhistoriker Carlo Ginzburg 1979 einen Brief an Johannes Paul II. und bat ihn, die Archive der Inquisition zu öffnen.

Was lange währt ..?

Im Vatikan dauert bekanntlich alles etwas länger. So erhielten erst ab 1991 einzelne ausgesuchte Historiker Zugang zum Archiv. Damals kam Alejandro Cifres aus Valencia an die Glaubenskongregation, zunächst als Theologe für Lehrfragen. In die Archivarbeit wuchs er nach und nach hinein. "Das hat lange gedauert", erzählt er. "Wir waren gar nicht darauf vorbereitet, hier standesgemäße wissenschaftliche Arbeit zu ermöglichen."

Heute sorgt ein neunköpfiger Stab dafür, dass Wissenschaftler aus aller Welt im historischen Archiv forschen können. Es besteht aus knapp 4.900 Archivbänden der Inquisition, 380 Bänden der 1966 abgeschafften Kongregation für die verbotenen Bücher sowie 255 Bänden des Inquisitionsarchivs Siena.

Manche Dokumente fehlen

Der historische Schatz lagert in klimatisierten Kellerräumen des viergeschossigen Gebäudes - brandgeschützt und videoüberwacht. Ein großer Teil des Archivs ging verloren, als Napoleon es nach der Eroberung Roms nach Paris schaffen ließ - den späteren Rückweg traten nicht mehr alle Dokumente an. Vor allem die Akten alter Inquisitionsprozesse fehlen. "Die hielt man damals für uninteressant, ihr historischer Wert wurde nicht erkannt", sagt Cifres. Wobei prominente Fälle wie Galileo Galilei oder Giordano Bruno noch vorhanden sind. Aber über sie war das meiste schon bekannt, bevor das Archiv geöffnet wurde.

Vieles von dem, was noch vorhanden ist, betrifft theologische Debatten. Etwa die Frage, ob 300 Bleimedaillons echt sind, auf denen der Apostel Jakobus in arabischer Sprache (!) biblische Texte festgehalten habe. Aufgefunden im 16. Jahrhundert im einst maurischen Granada sorgten sie für eine lange Debatte, erzählt Cifres. Rund 100 Jahre dauerte es, bis die Medaillons nach Rom kamen. Dort entschied Papst Innozenz XI. (1676-1689): Sie sind falsch und müssen vernichtet werden. Eine päpstliche Bulle hält das fest.

Gut 100 Anträge pro Jahr

Vor etlichen Jahren stieß Cifres bei einem Rundgang durchs Archiv auf eine 40 Zentimeter breite Holzkiste, bespannt mit rotem Samt und verziert mit einem Davidstern. Cifres öffnete sie und traute seinen Augen kaum: Darin lagen alle 300 größeren und kleineren Medaillons. Die Kiste, einige Medaillons, Zeichnungen der Inschriften und die damalige Bulle des Papstes sind heute in einer Vitrine in einem Bibliothekssaal zu sehen, der nach Papst Benedikt XVI. benannt ist. Über der Wendeltreppe, die zum Obergeschoss des gut fünf Meter hohen Raumes führt, prangen sein Name und sein Foto.

Die allermeisten der gut 100 Anträge pro Jahr kommen aus Italien, gefolgt von Anfragen aus anderen europäischen Staaten und den USA. In jüngster Zeit fragen aber auch Forscher aus China, der Türkei oder Kenia an. Die Untersuchungen drehen sich um einzelne Autoren und historische Persönlichkeiten, um Positionen der Kirche zu Naturwissenschaft, Astrologie und Mystizismus, um theologische Kontroversen, sowie um die Beziehungen des Heiligen Stuhls zu einzelnen Staaten und den politischen Systemen des 20. Jahrhunderts.

Papst Franziskus entscheidet über weitere Dokumente

Ein Langzeitprojekt des Münsteraner Kirchenhistorikers Hubert Wolf befasst sich mit der Erschließung und Digitalisierung des Index der verbotenen Bücher. Öffentlich zugänglich sind bisher die Archive der Glaubenskongregation bis zum Jahr 1939, dem Ende der Amtszeit von Pius XI. (1922-1939). Ob und wann die Unterlagen aus der Zeit Pius XII. (1939-1958) geöffnet werden - und dann in allen vatikanischen Archiven gemeinsam -, liegt allein in der Hand des aktuellen Papstes.

"Wegen des langen Pontifikates und der Kriegsjahre, sind das sehr viele Dokumente", deutet Cifres an, dass das wohl dauern könnte.

Zwischen Tradition und Moderne

Das Image der Römischen Inquisition habe sich über die Jahrzehnte von einem "absoluten Tabu" zu einer nüchterneren Sicht gewandelt, resümiert Cifres. Wie sehr, deutet ein Plakat an, das in einem Büroraum hängt: "Kirchliche Archive und Neue Evangelisierung" lautete das Thema eines Kongresses vor einiger Zeit. Das Erbe der Inquisition und neue Mission in säkularisierten Gesellschaften? Wer so auf Tradition setzt wie die katholische Kirche, muss sich dem stellen.

Das war es, was Johannes Paul II. und Joseph Ratzinger im Sinn hatten, als sie vor 20 Jahren die Archive offiziell für eröffnet erklärten.


Quelle:
KNA