Vor 20 Jahren beschließt die Volkskammer den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik

Entscheidung zur Einheit

Es war ein historisches Datum in der deutschen Nachkriegsgeschichte: In der Nacht zum 23. August 1990, nach vier Jahrzehnten deutscher Teilung, beschloss die Volkskammer in Ost-Berlin den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland zum 3. Oktober 1990.

Autor/in:
Karl-Heinz Gräfe
 (DR)

Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) sprach in Bonn von dem "entscheidenden Schritt zur Einheit Deutschlands". Die ostdeutschen Parlamentarier hätten in eindrucksvoller Weise den Auftrag erfüllt, den ihnen die DDR-Bürger bei der freien Volkskammerwahl am 18. März 1990 erteilt hätten. So sei "der heutige Tag ein Tag der Freude für alle Deutschen". Auch Oskar Lafontaine, damals Kanzlerkandidat der SPD, begrüßte im Namen seiner Partei den Beitrittsbeschluss. Für die Menschen in der DDR stelle er die Grundlage dar, ihr Leben in Freiheit zu verwirklichen - wenngleich mit sozialen Härten zu rechnen sei.

Die DDR war zu diesem Zeitpunkt bereits durch die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion mit der Bundesrepublik verbunden. Die Verhandlungen über den Einigungsvertrag standen vor dem Abschluss, und an der Neubildung der fünf ostdeutschen Länder wurde zügig gearbeitet. Für den 12. September schließlich war die Unterzeichnung des Zwei-plus-Vier-Vertrages anberaumt, mit dem Deutschland von den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges seine volle Souveränität zurückerhalten sollte.

Kaum Übereinstimmung
Doch in der Frage des Beitrittstermins herrschte an jenem Abend des 22. August, zu Beginn der von Ministerpräsident Lothar de Maizière (CDU) beantragten Sondersitzung, kaum Übereinstimmung. Einig waren sich die meisten Abgeordneten hauptsächlich darin, dass es keinen 41. Jahrestag der DDR - am 7. Oktober 1990 - mehr geben sollte. Die CDU hatte ursprünglich den 14. Oktober, den Tag der Landtagswahlen der neuen Bundesländer, vorgeschlagen. Die SPD plädierte dafür, am 13. September beizutreten - einen Tag nach der Unterzeichnung des Zwei-plus-Vier-Vertrages. PDS und Bündnis 90 votierten für den 2. Dezember, während die rechtskonservative DSU auf einen "sofortigen Beitritt" beharrte. De Maizière verlangte nun: "Heute muss Klarheit über den Termin geschaffen werden."

Die Atmosphäre war aufgeheizt und chaotisch, in und zwischen den Fraktionen gab es hektische Aktivitäten, erinnert sich der damalige Volkskammervizepräsident Reinhard Höppner (SPD), der die Sitzung jener Nacht leitete und angetreten war, "diese Sitzung nicht zu schließen, bevor wir nicht einen Beitrittstermin beschlossen haben". So wurde bis in die tiefe Nacht verhandelt und dann um 2.57 Uhr mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit entschieden: Wir treten dem Geltungsbereich des Grundgesetzes mit Wirkung vom 3. Oktober, null Uhr, bei!

Falsch formuliert
De Maizière zeigte sich zufrieden. Er erinnert sich heute als erfahrener Jurist mit Schmunzeln daran, dass der historische Beschluss im Getriebe der Nacht falsch formuliert worden war: Man hatte über den Satz "Die Volkskammer erklärt den Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes" abgestimmt. Es hätte aber - wie PDS-Fraktionschef Gregor Gysi herausfand - heißen müssen: Die Volkskammer erklärt den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes. "Denn so", sprach Gysi zu de Maizière, "wäre ja nur die Volkskammer beigetreten, nicht das Volk der DDR."

Parlamentsvizepräsident Höppner reagierte pragmatisch und ließ das Protokoll korrigieren. "Wenn man jetzt die Protokolle liest", so sagte Höppner, "steht dort ordentlich, dass der Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes beschlossen worden ist!" So dann auch rechtsgültig unterschrieben von Volkskammerpräsidentin Sabine Bergmann-Pohl (CDU).