Vor 20 Jahren begann das Ende der Bonner Botschaftsherrlichkeit

Fahnenstangen-Blues

Der aufmerksame Besucher stößt beim Bummel durch die Bundesstadt Bonn immer noch auf Hinterlassenschaften alter Botschaftsherrlichkeit - auch wenn sich am Montag der Beschluss des Bundestages zum 20. Mal jährt, Parlament und Regierung nach Berlin zu verlegen.

Autor/in:
Joachim Heinz
 (DR)

Die "Diplomatenrennbahn" im ehemaligen Bonner Regierungsviertel ist längst wieder zu einem simplen Stück Straße geworden. Und die hell uniformierten Motorradeskorten, die wichtige Politiker ins Zentrum der Macht am Rhein begleiteten, kennt heute kaum ein Kind. "Weiße Mäuse" gibt es nur noch im Fabrikverkauf eines bekannten Bonner Süßwarenunternehmens.  



Die Entscheidung vom 20. Juni 1991 hatte auch Folgen für die diplomatischen Vertretungen von rund 150 Ländern und ihre schätzungsweise 10.000 Mitarbeiter, die zu diesem Zeitpunkt in Bonn und vor allem dem südlichen Vorort Bad Godesberg akkreditiert waren. Es galt, eine neue und zugleich repräsentative Bleibe in Berlin zu finden. Keine leichte Aufgabe, vor allem für finanzschwache Staaten etwa aus Afrika. Da überrascht es nicht, dass mit dem Kongo erst im vergangenen Jahr der letzte Staat seine Kanzlei schloss.



Ein Zettel am Eingang des erdfarbenen Zweckbaus im Stadtteil Mehlem weist den verspäteten Gast darauf hin, dass wegen des Umzugs nach Berlin die Botschaft "für bestimmte Zeit" geschlossen bleibe. In der Einfahrt stapeln sich Pakete mit blassgelber Dämmwolle. Das an einer belebten Kreuzung "in verkehrsgünstiger Lage" stehende Haus wird renoviert und einer neuen Bestimmung zugeführt. Ein gnädiges Schicksal, das freilich (noch) nicht allen ehemaligen Residenzen zuteilwird.



Verhandlungen mit Thailand

Bisweilen nämlich stehen potenzielle Investoren vor ungeahnten Hürden, wie der Journalist Michael Wenzel am Beispiel der thailändischen Botschaft zu berichten weiß. "Stellen Sie sich vor, Sie wollten das Haus kaufen und müssten mit der Botschaft in Berlin und den zuständigen Ministerien in Thailand verhandeln. Zwischendurch zieht der König von Thailand immer neue Immobiliengutachten aus der Tasche - da müssen Sie einen langen Atem haben!" Wenzel bietet seit einigen Jahren Rundgänge zu den früheren Amtssitzen an. Sein dazu gehörender "diplomatischer Reiseführer" hat sich in Bonner Buchhandlungen zum Verkaufsschlager entwickelt.



Schließlich wurde hinter hohen Mauern und ehrwürdigen Fassaden Geschichte geschrieben. Am weitläufigen Gelände der ehemaligen Nuntiatur in Plittersdorf weist eine Plakette auf den Besuch von Papst Johannes Paul II. im November 1980 hin. Wenige Fußminuten weiter informiert eine schlichte Infotafel über den Standort der israelischen Botschaft. Der festungsartige, mit Kameras und Natodraht bewehrte Betonklotz ist längst geschleift und heute ein mehr oder weniger ansehnliches Bürogebäude.



Schäbige Schmuckstücke

Überhaupt, die Architektur. Nicht immer fügten sich die Neubauten - den Anfang machten die Niederländer im Jahre 1964 - harmonisch ins Stadtbild ein. Südafrika etwa hinterließ Bonn ein schäbiges "Schmuckstück" aus Spiegelglas und Aluminium, das Anwohner nach Jahren des Wartens für unverkäuflich halten. Selbst ein Abriss sei zu teuer, erfährt man von zwei Passantinnen: "Is" ja alles giftig."



Immer noch gibt es deswegen dem Papier nach exterritoriale Gebiete in der Stadt am Rhein. Angefangen von der iranischen Repräsentanz, in deren Keller der Schimmel wüten soll, über ein angeblich noch genutztes "Gästehaus" der Elfenbeinküste, in dessen Vorgarten das Unkraut sprießt, bis hin zu Konsulaten wie von Russland, Kuba oder Algerien, die sich in den ehemaligen Residenzen niedergelassen haben.



Für internationales Flair sorgen zusätzlich die inzwischen 19 in Bonn ansässigen UN-Einrichtungen. Statt Diplomaten bevölkern aber nun eher Mitarbeiter großer Telekommunikationsunternehmen die Stadt.  Immerhin: Der vielzitierte Strukturwandel - er scheint geglückt. Lokalpatrioten wie Wenzel beschleicht trotzdem hin und wieder Wehmut. "Vermutlich gibt es keinen Ort der Größe Bad Godesbergs auf der Welt mit so vielen Fahnenstangen ohne Fahnen."