Vor 150 Jahren wurde der Nuntius Cesare Orsenigo geboren

"Sprachrohr Roms"

Erzbischof Cesare Orsenigo vertrat von 1930 bis 1945 den Vatikan in Berlin. Er war der einzige Diplomat, der sowohl Aufstieg wie auch Fall des "Dritten Reiches" aus nächster Nähe begleitet hat. Lange Zeit übte er diesen Job aus.

Autor/in:
Christiane Laudage
Symbolbild Diplomatie / © SmartPhotoLab (shutterstock)

Der italienische Vatikan-Diplomat und Erzbischof Cesare Orsenigo musste die Interessen der katholischen Kirche in Deutschland vertreten, in einer Zeit, als die Weimarer Republik scheiterte, die Nazis im "Dritten Reich" regierten und dann einen Welt- und Vernichtungskrieg führten - auch gegen die Kirche.

Vor 150 Jahren, am 13. Dezember 1873, wurde Orsenigo geboren.

Als der Nuntius 1930 seine Aufgabe in Berlin übernahm, trat er in große Fußstapfen. Sein Vorgänger Eugenio Pacelli war nach Einschätzung des Potsdamer Historikers Thomas Brechenmacher eine Ausnahmegestalt im diplomatischen Dienst des Vatikans - Orsenigo hingegen Normalmaß.

Pacelli machte als Nuntius Politik, Orsenigo schickte Berichte aus Berlin an das Vatikanische Staatssekretariat und fungierte als Sprachrohr Roms.

Genauer Blick nach Deutschland von Papst Pius XII. 

Und sein Chef, Kardinalstaatssekretär Pacelli, ab 1939 Papst Pius XII., blickte sehr genau nach Deutschland. Er hatte ein besonderes Verhältnis zu dem Land, seit er dort selbst als Diplomat tätig war.

Er hielt Orsenigo nach Angaben des US-Historikers David Kertzer für ein Leichtgewicht, wie es auch Adolf Hitler getan haben soll. Auch unter diesem Aspekt war Orsenigos Aufgabe sicher nicht einfach.

Schwach, überfordert und zu NS-freundlich? In der Regel fällt das Urteil über den Apostolischen Nuntius Orsenigo wenig freundlich aus.

Damit tue man ihm aber Unrecht, sagt der Potsdamer Professor für Neuere Geschichte, Thomas Brechenmacher, der das Schriftgut des Vatikan-Diplomaten für die wissenschaftliche Forschung bearbeitet hat.

Orsenigo als präziser Beobachter

Seine Berichte weisen Orsenigo als einen präzisen Beobachter aus, der - beispielsweise in der Beurteilung der Pogromnacht vom November 1938 - die Vorgänge in ihrem Kern erfasste und der römischen Zentrale übermittelte, so der Historiker.

Gebäude der Apostolischen Nuntiatur in der Rauchstraße in Berlin, ca. 1935. / © Apostolische Nuntiatur (KNA)
Gebäude der Apostolischen Nuntiatur in der Rauchstraße in Berlin, ca. 1935. / © Apostolische Nuntiatur ( KNA )

Orsenigo wollte überhaupt nicht in den Diplomatischen Dienst des Vatikans. Nachdem er mit noch nicht mal 20 Jahren 1892 in Mailand ins Priesterseminar eingetreten war, führte er danach sein Wunschleben als Priester und Nebenbei-Wissenschaftler. 

In der berühmten Mailänder Biblioteca Ambrosiana lernte er deren Präfekten, Achille Ratti, kennen. Als dieser 1922 Papst wurde, hatte das auch für Orsenigos Leben dramatische Folgen.

Quereinsteiger im Diplomatischen Dienst

Denn Pius XI. war der Meinung, ein guter Seelsorger könnte ohne Weiteres auch ein guter Diplomat im Dienst der Kirche sein. Und so holte er seinen Bekannten Orsenigo als Quereinsteiger in den Diplomatischen Dienst.

Ohne Einweisung, geschweige denn Sprachkurse, schickte er ihn in das neue Metier, in die Niederlande, dann nach Ungarn. Und dann kam die größte Herausforderung: Am 25. April 1930 wurde Orsenigo Apostolischer Nuntius in Deutschland.

In seiner Amtszeit schrieb oder telegrafierte Orsenigo, je nach Ereignislage, mitunter mehrmals täglich nach Rom. Brechenmacher warnt allerdings davor, einzelne Berichte herauszunehmen, um sie als Beweisstück für oder gegen den Nuntius zu verwenden.

 Man müsse sie "im Flow" lesen, denn sowohl Orsenigo wie auch Rom hatten nicht sofort ein in Stein gemeißeltes Urteil zu den Nationalsozialisten parat. Im Gegenteil: Wenn man das Material lese, so der Historiker, stoße man auf ebenso klare Einschätzungen wie krasse Fehlurteile. Die Berichte nach Rom wurden oftmals hektisch unter dem Eindruck der aktuellen Lage geschrieben.

Im Vatikanischen Apostolischen Archiv sowie im Archiv des Staatssekretariats werden Orsenigos Berichte aus Berlin und die Briefe Pacellis nach Berlin verwahrt - ein Corpus von wenigstens 4.000 Stücken. Brechenmacher hat für eine Datenbank schon Teile des Materials aufbereitet.

Gespanntes Verhältnis zu Deutschlands Bischöfen

Orsenigos Verhältnis zu den Bischöfen in Deutschland war nicht immer frei von Spannungen. Tatsächlich wurde mehrfach der Ruf laut, ihn doch abzuberufen. Doch weder Pius XI. noch Pius XII. gingen darauf ein, denn die Sorge war groß, dass nach einem möglichen Abzug Orsenigos kein neuer Nuntius mehr akkreditiert werden könnte.

So war der Erzbischof 15 Jahre auf dieser schwierigen Stelle im Diplomatischen Dienst tätig. Von den Bombenangriffen zermürbt, siedelte Orsenigo im Februar 1945 nach Eichstätt um. Dort starb er ein Jahr später.

Kongress zur Rolle von Pius XII. in der NS-Zeit

Neue Dokumente und Archivfunde zur Rolle von Papst Pius XII. während NS-Zeit und Zweitem Weltkrieg sind in dieser Woche Thema einer internationalen Fachtagung an der Päpstlichen Gregoriana-Universität in Rom. Experten und Institutionen diskutieren von Montag bis Mittwoch über Entdeckungen, die sie seit der Öffnung der Vatikan-Archive aus dem Pontifikat des Pacelli-Papstes (1939-1958) im März 2020 ausgewertet haben.

Die Päpstliche Universität Gregoriana in Rom / © Romano Siciliani (KNA)
Die Päpstliche Universität Gregoriana in Rom / © Romano Siciliani ( KNA )
Quelle:
KNA