Vatikanarchive geben Auskunft über Faschismus und Drittes Reich

Pius XII. und Hitler

Seit Rolf Hochhuths Drama über Pius XII. vor 45 Jahren rätseln Historiker, was es mit dem Schweigen des Stellvertreters Christi zu den Untaten des Dritten Reiches auf sich hat. Nun wurden 100.000 Vatikan-Archivalien über den Faschismus und die erste Hälfte des Dritten Reiches zugänglich - jene Zeit, in der Eugenio Pacelli, der spätere Pius XII., als Kardinal-Staatssekretär im Vatikan die diplomatischen Fäden zog.

Autor/in:
Johannes Schidelko
 (DR)

Manches ist bereits durchgesickert; die Aufarbeitung des ganzen Materials wird Jahrzehnte dauern. Eine erste Bilanz - und dabei ein neues Gesamtbild der Päpste Pius XI. und Pius XII. - hat jetzt der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf unter dem Titel «Papst & Teufel» vorgelegt.

Zum Reichskonkordat von 1933 - für den Vatikan ein Pakt mit dem Teufel - konnte Wolf die These vom angeblichen Tauschgeschäft entkräften, bei dem Pacelli als Strippenzieher fungiert haben soll.

Von einem Junktim zwischen der Zustimmung der Zentrumspartei zum Ermächtigungsgesetz von 1933, zwischen der Rücknahme der Warnung der deutschen Bischöfe vor dem Nationalsozialismus und eben dem Staatsvertrag zwischen Vatikan und Berlin könne keine Rede sein, belegt Wolf. Der Vatikan habe für diesen Vertrag nicht mit Zugeständnissen gezahlt. Diese Schritte gingen - zum Ärger Pacellis - auf das Konto der deutschen Kirche.

Erste Rückschlüsse lässt das nun zugängliche Material auch auf das «Schweigen» von Pius XII. zum Holocaust zu - obwohl die Gesamt-Archive ab 1939 weiter unter Verschluss sind. Seit Hitlers Machtübernahme im Frühjahr 1933 trafen im Vatikan zahlreiche Gesuche ein, Pius XI. möge die Judenverfolgung öffentlich anprangern. Auch Nuntius Cesare Orsenigo berichtete detailliert aus Berlin - und riet entschieden von einer Intervention des Vatikan ab. Der antisemitische Kampf habe inzwischen «gleichsam regierungsamtlichen Charakter angenommen»; eine Intervention des Papstes käme somit einem Protest gegen ein deutsches Staatsgesetz gleich. Sein Votum:
Der Vatikan solle sich aus der «Judenfrage» heraushalten und die Angelegenheit den deutschen Bischöfen überlassen. An diese Linie hielt sich der Heilige Stuhl auch nach dem Erlass der Nürnberger Gesetze und der «Reichskristallnacht».

Allerdings entschloss sich Pius XI. in seinen letzten Pontifikatsjahren doch noch zur Konfrontation mit dem Nationalsozialismus, seiner Rassenideologie und der Judenverfolgung.
1937 verurteilte er in der Enzyklika «Mit brennender Sorge» den Nationalsozialismus. Christen sei es nicht erlaubt, sich am Antisemitismus zu beteiligen; denn «geistlich sind wir Semiten», sagte er vor belgischen Pilgern. Seine Nuntien wies er an, sich um eine Aufnahme jüdischer Emigranten in Amerika und Australien zu bemühen. Pius XI. starb einen Tag vor einer geplanten Generalabrechnung mit dem Faschismus. Auch eine - offenbar an der Kurie und an Pacelli vorbei eingefädelte - Enzyklika zum Rassismus erblickte nicht mehr das Licht der Welt. Sie blieb «verschwunden».

Fast wie ein Krimi liest sich die Auseinandersetzung des Vatikan mit der NS-Ideologie. Denn warum landete Alfred Rosenbergs «Mythus des 20. Jahrhunderts» 1934 ohne viel Federlesens auf dem Index der verbotenen Bücher, nicht aber Hitlers «Mein Kampf»? Über mehrere Jahre stritten vatikanisches Staatssekretariat und Glaubensbehörde, ob man zwischen dem Nationalsozialismus als akzeptabler politischer Partei und als neuheidnischer, christenfeindlicher Ideologie unterscheiden könne. Immer neue Gutachten wurden in Auftrag gegeben.
Letztlich aber versandete 1937 ein Papier zu Kommunismus und Rassismus - und damit auch eine öffentliche Verdammung von «Mein Kampf». Ob Pius XI. allein dafür zuständig war, ob er den Kardinälen des Heiligen Offiziums folgte oder ob Pacelli im Hintergrund stand, darüber gäben die Akten keinen eindeutigen Aufschluss, schreibt Wolf. Pacelli wollte 1937 auf jeden Fall die Konflikte mit den faschistischen Regimen möglichst gering halten.

Dazu passt auch das Gerücht um eine Exkommunikation Hitlers durch den Papst. Offenbar hatte Mussolini dem Vatikan diesen Vorschlag nahegebracht. Von der Einleitung eines solchen Verfahrens finden sich in den Vatikan-Archiven keinerlei Spuren. Ein Kirchenbann kam offenbar für einen Reichskanzler als staatliche Obrigkeit nicht in Frage. Hitler blieb bis zu seinem Tod formal Mitglied der katholischen Kirche.