Vor 120 Jahren fand der erste "Martinsritt" statt - Lesen und hören Sie mehr zur Martinsgeschichte

Mehr als ein Kinderbrauch

 (DR)

Am 11.11. war es wieder soweit: Das Rheinland feierte ausgelassen und im Regen den Beginn der "Fünften Jahreszeit", den Karneval, Millionen Kinder in ganz Deutschland freuten sich über den Martinstag. Die Lichter- und Laternenumzüge sind aber keineswegs ein "uralter Kinderbrauch", sondern ein Relikt alter, spätherbstlicher Feuer- und Lichtbräuche. Doch während heute in erster Linie jüngere Kinder in Begleitung ihrer Eltern singend durch die Straßen ziehen und dabei bunte Papierlaternen und Lampions schwenken, waren es früher zumeist Erwachsene. Nach Einbruch der Dunkelheit brachen sie mit Laternen oder Fackeln zu einem Gang durch die Straßen und Felder auf.

Erinnerung an Bischof Martin von Tours
Begründet wurden diese Gänge damit, dass alle Wiesen und Äcker, die der Schein des Lichtes traf, im kommenden Jahr besonders fruchtbar werden sollten. Bereits im 16. und 17. Jahrhundert sollen Jugendliche in Westfalen und Holland mit Martinsfackeln durch die Straßen gezogen sein und Martinslieder gesungen haben. Die Sänger wurden damals für ihr "frommes Bemühen" mit Obst, Nüssen und Backwerk belohnt.

Der Martinstag erinnert an den im Jahr 397 gestorbenen heiligen Einsiedler und späteren Bischof Martin von Tours, der der Überlieferung zufolge Kranke geheilt und Dämonen ausgetrieben haben soll.

"Martinsritt" erstmals 1886
Ein "Martinsritt", bei dem "St. Martin" gefolgt von einer singenden Kinderschar mit Laternen durch die Straßen reitet, soll erstmals 1886 in Düsseldorf stattgefunden haben. Die dabei gesungenen Lieder erfreuen sich bis heute großer Beliebtheit: "Martin ist ein guter Mann, zündet ihm die Lichter an" oder "Sankt Martin ritt durch Schnee und Wind".

Das zum Klassiker gewordene Lied "Laterne, Laterne, Sonne, Mond und Sterne" soll im Übrigen bereits seit 1740 in Norddeutschland gesungen worden sein. Auch das nicht minder bekannte "Ich geh mit meiner Laterne und meine Laterne mit mir" dürfte dort beheimatet gewesen sein. Ungeachtet aller geschichtlichen Bezüge soll es aus Sicht der Kinder jedoch ganz einfach "aufregend und schön" sein, im Dunkeln mit bunten Laternen mitten auf den Straßen zu gehen.

Zu Sankt Martin geht es den Gänsen an den Kragen
Ob mit Maronen gefüllt oder mit Klößen und Rotkohl: Am 11. November, dem Gedenktag des heiligen Martin, geht es auch den Gänsen an den Kragen. Nach einer Legende soll der spätere Heilige von schnatternden Gänsen verraten worden sein, als er sich - auf der Flucht vor der Ernennung zum Bischof von Tours - in einem Gänsestall versteckte. Quasi "als Strafe" landen sie seit Jahrhunderten zum Martinstag als Gänsebraten auf dem Tisch.

Biologisch gehört die Gans zu den Wasservögeln. Küchentechnisch - und das ist mit Blick auf Sankt Martin besonders wichtig - zum Fettgeflügel. Ihre Eier legen Gänse vor allem zwischen Anfang Februar und Ende Juni. Abhängig von der Mastmethode erreichen die Tiere ihr Schlachtgewicht von rund fünf Kilo nach 9 bis 32 Wochen. Gänse für den deutschen Markt werden vorwiegend als Gefrierware aus osteuropäischen Ländern wie Polen oder Ungarn importiert. Ganze 14 Prozent oder 4.000 Tonnen stammen von heimischen Produzenten - ein deutliches Minus gegenüber den Vorjahren. Das hat laut Zentraler Markt- und Preisberichtstelle in Bonn auch mit der Vogelgrippe und dem zeitweisen Verbot der Freilandhaltung zu tun. Gerade kleinere Landwirte und Tierhalter seien deshalb aus der Mast ausgestiegen. Laut Statistik sind nur 803.000 Küken geschlüpft, 16 Prozent weniger als im Vorjahr.

Rund 29.000 Tonnen Gänsefleisch pro Jahr verzehren die Deutschen
- oder rund 400 Gramm pro Person, haben die Marktbeobachter in Bonn ausgerechnet. "Spielraum für eine deutliche Ausweitung des Verbrauchs" sehen sie nicht. "Gänsefleisch bleibt ein typisches Saisonprodukt", heißt es. Die Gans schmeckt den Bundesbürgern wohl nur zwischen Sankt Martin und Weihnachten.

"Lieber schmoren als braten"
Die Art der Zubereitung des Geflügels sei ganz entscheidend, mahnt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE). "Lieber schmoren als braten", raten die Ernährungsexperten. Generell liefere das Fleisch wichtige Nährstoffe wie Eisen, Kalium, Magnesium, Zink und B-Vitamine. Bei der Gans sei aber auch der hohe Fettgehalt von bis zu 30 Prozent zu beachten. So enthalte frisches Gänsefleisch mit Haut 338 Kalorien je 100 Gramm im Vergleich zu 225 Kalorien bei Enten- und 216 Kalorien bei Putenfleisch und nur 166 Kalorien beim Brathähnchen. Die DGE empfiehlt daher fettarme Beilagen wie Gemüse, Kartoffeln oder Klöße zur Gans. Außerdem sollte bei der Zubereitung kein zusätzliches Fett verwendet und die Haut eingeritzt und auf ein Bratrost gelegt werden.

Aber Gänse sind nicht nur ein kulinarischer Hochgenuss. Kuschelig warm wird es unter mit Flaumfedern gefüllten Kissen und Decken. Zudem dienten früher Federkiele zum Schreiben mit Tinte. Eine mythische Bedeutung kam den Vögeln in allen alten Kulturen zu. Nach der ägyptischen Mythologie legt eine Gans das Weltenei, aus dem dann die Sonne, Amon Re, schlüpft. Im hinduistischen Weltbild ist die Gans Hamsa das Reittier Brahmas, neben Shiva und Vishnu einer der drei Hindu-Hauptgötter. Auch bei den Indianern hat die Gans ihren Platz: Im indianischen Horoskop entspricht das Sternzeichen der Schneegans den Daten des Steinbocks. Diese Menschen sind harmonieliebend, stehen auf die Farbe Weiß, sind eng mit Traditionen und Riten verbunden und fürchten oft, die Kontrolle zu verlieren. Vielleicht beim üppigen Gänseschmaus an Martini.

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