Vor 1.000 Jahren wurde Hugo der Große von Cluny geboren

Konzernchef des Mittelalters

Sie wechseln ein paar Mal den Chefsessel, haben ihre Titelgeschichte im Manager-Magazin und verschwinden mit Millionenabfindungen in den Golf-Ruhestand. Die Ackermanns und Bezos' kommen und gehen - Hugo von Cluny blieb 60 Jahre.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Abtei von Cluny / © Svetlana Bondareva (shutterstock)

60 Jahre an der Spitze eines Weltkonzerns, an der Spitze von mehreren hundert Filialen und rund 20.000 Mitarbeitern? Eine undenkbare Performance im Zeitalter des Shareholder Value. Als der Cashflow noch auf die Ewigkeit ausgelegt war, da gab es so einen: Hugo I., der Große, Abt von Cluny in Burgund. Er regierte von 1049 bis 1109.

Geboren vor 1.000 Jahren, am 13. Mai 1024, in ein burgundisches Grafengeschlecht, trat er mit 15 Jahren gegen den Willen des Vaters als Novize in Cluny ein. Kometenhaft stieg er in der Kloster-Hierarchie auf und wurde schon bald mit hochrangigen politischen Vermittlungen betraut. Beim Tod von Abt Odilo an Neujahr 1049 befand sich Hugo gerade bei Kaiser Heinrich III. in Deutschland - und wurde in Abwesenheit zum neuen Oberhaupt der Cluniazenser gewählt.

Mächtige Kloster-Imperien

Ironie der Kirchengeschichte: Die großen religiösen Reformorden des Mittelalters unterlagen einem paradoxen Zyklus. Gegründet von glühenden Asketen, die das radikale Armutsideal des benediktinischen Mönchtums erneuern wollten, zogen sie mit ihrer Strahlkraft Tausende in ganz Europa an. Erst Tausende junger Männer, die ein anderes Leben suchten - dann Tausende frommer Stiftungen, mit denen der Adel der Zeit sein ewiges Seelenheil zu befördern wünschte. Aus radikal armen Bewegungen wurden so mitunter sehr schnell reiche und mächtige Kloster-Imperien, die sich über ganz Europa erstreckten.

Das vielleicht bekannteste von ihnen war Cluny. Gegründet im Jahr 910 mit dem Ziel, das Benediktinertum wieder in reiner Form zu leben, übergab der adlige Stifter die Mönchsgemeinschaft von Cluny direkt dem Schutz der Päpste - die damals freilich noch keineswegs reich und unangefochten waren. Mit diesem Schritt verzichtete er nicht nur auf eigene politische Einflussnahme; er eröffnete dem Kloster auch für die Zeit ganz ungewöhnliche Gestaltungsmöglichkeiten.

Das südliche Seitenschiff der Klosterkirche der Abtei von Cluny / © Alexander Brüggemann (KNA)
Das südliche Seitenschiff der Klosterkirche der Abtei von Cluny / © Alexander Brüggemann ( KNA )

Die nutzten die Mönche offenbar in so überzeugender Weise, dass immer mehr Adlige ihnen die Quasi-Regentschaft über ihre an mangelnder Disziplin kränkelnden Eigenklöster übertrug. Unter der Ägide von nur fünf Äbten in 200 Jahren entstand so aus dem Herzen des Benediktinerordens eine eigenständige, streng hierarchisch organisierte Ordensgemeinschaft: die Cluniazenser.

Großes Gotteshaus entstand

In den sechs Jahrzehnten unter Abt Hugo gelangte der Klosterverband zu seiner höchsten Blüte - und überschritt wohl in der Rückschau zugleich eine kritische Größe. Unter Abt Hugo wurden die Regeln von Cluny aufgezeichnet, die "consuetudines". Und auf sein Geheiß und unter seiner Ägide entstand mit dem Neubau der Klosterkirche das über Jahrhunderte größte Gotteshaus der Christenheit.

"Cluny III" war mit 187 Metern Länge mehr als die Hälfte größer als die frühchristliche Basilika Sankt Peter in Rom. Erst deren Neubau im 16. Jahrhundert überflügelte wiederum den romanischen Ordensbau in Burgund, der mit seinen fünf gewaltigen Schiffen und seiner Gewölbehöhe von mehr als 30 Metern über Generationen Gradmesser und Vorbild im Kirchenbau war.

Kaum Überlieferungen

Der Mann Hugo, im Amt ohne Zweifel ein Gigant, bleibt in der historischen Überlieferung merkwürdig blass: Kaum Schrifttum, kaum Zitate oder persönliche Begebenheiten aus seinem langen Leben sind erhalten geblieben. Acht Päpste hat Hugo der Große überlebt, mit Königen verhandelt, mit Heinrich IV. gar einen Kaiser getauft und ihm Pate gestanden. Obwohl rastlos in einem eminent politischen Amt tätig, verstand er es, in den großen Konflikten der Zeit zu vermitteln, statt selbst Partei zu sein.

Das gilt auch und vor allem für den Investiturstreit zwischen Papst Gregor VII. und Hugos Patenkind Kaiser Heinrich IV., für den er 1077 gleichwohl ein gutes Wort einlegte. Die wohl bekannteste Darstellung des Abtes von Cluny aus der Vatikanischen Bibliothek zeigt ihn mit Heinrich in Canossa bei Mathilde, der Markgräfin von Tuszien. Auch die Unterstützung Clunys für den Kreuzzug ins Heilige Land fällt sehr bescheiden aus - auch und gerade angesichts der Tatsache, dass der Kreuzzugs-Papst Urban II. ein Cluniazenser war.

Frömmigkeit im Vormarsch

Mangelnde Frömmigkeit kann dem Orden niemand vorwerfen: Mehr noch als seine Vorgänger stellte Abt Hugo das Opus Dei, den Gottesdienst, ganz in den Mittelpunkt des monastischen Lebens. Fast rund um die Uhr hatten die Mönche liturgische Zeiten einzuhalten, im Winter allein täglich bis zu 215 Psalmen zu beten, für unterschiedlichste Personen und Zwecke. Von jeglicher Handarbeit waren sie befreit. Das und die immer größere Prachtentfaltung in der Liturgie sollte schon bald Angriffsfläche bieten für die Konkurrenz neuer, aufstrebender Orden, etwa der Zisterzienser.

Deren prägende Gestalt, der heilige Bernhard von Clairvaux (um 1090-1153), sparte nicht mit Polemik gegen den Reichtum, den Prunk der Klöster und das kommode und entbehrungsarme Leben der Cluniazenser. Mit einem erneuerten, radikalen Armutsideal eroberten die Zisterzienser den Kontinent. Denn im Zuge einer neuen Bußfertigkeit suchten viele Menschen zu Beginn des 12. Jahrhunderts im Kloster eher das "richtige" Mönchtum denn materielle Sicherheit.

Das global agierende Unternehmen Cluny wurde zu komplex und kompliziert, um von einem einzigen Chef in der Schaltzentrale gesteuert zu werden. Neben der Verselbstständigung einzelner Klöster brachten die aufkommende Geld- statt Naturalwirtschaft und die drückenden Kosten für die riesigen Repräsentationsbauten das große Schiff Cluny allmählich ins Schlingern. Am Ende von Hugos Regentschaft, seinem Tod im April 1109, hatte der Orden seinen geistlichen Zenit bereits überschritten. Der große Abt selbst wurde im Januar 1120 heiliggesprochen, keine elf Jahre nach seinem Tod.

Quelle:
KNA