Vom Provisorium zur Verfassung eines geeinten Deutschlands

Vor 60 Jahren wird das Grundgesetz verkündet

In der Aula der mit frischem Grün geschmückten Pädagogischen Akademie zu Bonn schlug am 23. Mai 1949 mit der Unterzeichnung und Verkündung des Grundgesetzes die Geburtsstunde der Bundesrepublik Deutschland. Nun beginne "ein neuer Abschnitt in der wechselvollen Geschichte unseres Volkes", verkündete feierlich der vier Monate später zum ersten Bundeskanzler gewählte CDU-Politiker Konrad Adenauer.

Autor/in:
Karl-Heinz Gräfe
 (DR)

Bereits am 8. Mai 1949, vier Jahre nach der Kapitulation Hitler-Deutschlands und der Aufteilung des Landes in eine östliche und drei westliche Besatzungszonen, hatte ein von Adenauer geleiteter Parlamentarischer Rat die Arbeiten am Grundgesetz abgeschlossen und es mit großer Mehrheit angenommen. Die 65 Mitglieder des Rates, Abgesandte der elf Landesparlamente der drei Westzonen, folgten damit dem Befehl ihrer Militärgouverneure, eine Verfassung für einen neuen, der Demokratie und Freiheit verpflichteten westdeutschen Bundesstaat auszuarbeiten.

Doch dem Grundgesetz war nicht von Anfang an volle Zuneigung in die Wiege gelegt. Nur zögernd und auch mit Unbehagen folgten die Verfassungsschreiber den Vorgaben der Besatzungsmacht. Sie fürchteten, die Gründung eines Separatstaates werde für lange Zeit die deutsche Teilung zementieren. Nicht zu Unrecht: Im Oktober 1949 wurde in der sowjetisch besetzten Zone die Deutsche Demokratische Republik als zweiter deutscher Staat samt eigener Verfassung etabliert.

So setzte der Parlamentarische Rat bei seinen Auftraggebern durch, nicht eine "Verfassung", sondern nur ein den provisorischen Charakter betonendes "Grundgesetz" verabschieden zu müssen. Der Rat brachte zudem den Artikel 146 zu Papier, wonach das Grundgesetz nach Vollendung der Einheit an dem Tage seine Gültigkeit verlieren sollte, "an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist".

Doch im Prozess der Wiedervereinigung 1989/90 hatte der Artikel 146 trotz der Verfassungsreformideen der DDR-Bürgerbewegung kaum eine Chance. Ein Entwurf des Runden Tisches mit Präambel und 136 Artikeln wurde sowohl von der SPD- als auch der CDU-Fraktion der neu gewählten Volkskammer ignoriert. Das ostdeutsche Parlament votierte vielmehr im August 1990 für den schnellstmöglichen "Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes" gemäß Artikel 23.

Kurz zuvor hatte schon Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) zum Auftakt der Verhandlungen über den Einigungsvertrag klar gemacht, dass am alten Grundgesetz nicht gerüttelt werde. "Liebe Leute, es handelt sich um einen Beitritt der DDR zur Bundesrepublik, nicht um die umgekehrte Veranstaltung. Wir haben ein gutes Grundgesetz, das sich bewährt hat", belehrte er selbstbewusst seine DDR-Verhandlungspartner: "Jetzt habt ihr einen Anspruch auf Teilnahme."

Nach nun fast 20 Jahren deutscher Einheit ist das einst als Provisorium gedachte Grundgesetz ganz offenkundig zu einer Verfassung für alle Deutschen geworden. So stieß SPD-Chef Franz Müntefering auf wenig Gegenliebe, als er jüngst für die Ausarbeitung einer neuen gesamtdeutschen Verfassung plädierte. Spitzenpolitiker von Union und FDP sprachen sich vehement dagegen aus, und auch Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Die Linke) winkte ab. Für West- wie Ostdeutsche, meinte sie, wäre eine Verfassungsdebatte nach dem Mauerfall besser gewesen, aber: "Wahrscheinlich sähe eine gesamtdeutsche Verfassung gar nicht so viel anders aus als das heutige Grundgesetz."