Volksentscheid beendet nicht Debatte über Fach Religion

"Kein Signal für andere Bundesländer"

Die Latte lag zu hoch. Mindestens 612.000 Stimmen hätte die Initiative "Pro Reli" beim Volksentscheid am Sonntag erhalten müssen, damit der Religionsunterricht in Berlin vom freiwilligen Zusatzangebot zur gleichberechtigten Alternative des staatlichen Ethikpflichtfachs wird. Nun wurden es rund 336.000, und es reichte nicht einmal zur relativen Mehrheit. Die Kirchen räumen die Niederlage ein, werten die entstandenen Diskussionen jedoch als Erfolg.

Autor/in:
Gregor Krumpholz
 (DR)

Nach dem vorläufigen amtlichen Ergebnis votierten 51,3 Prozent der Teilnehmer mit «Nein», und aus der Sicht von «Pro Reli» nur 48,5 Prozent mit «Ja». Nach dem unerwartet guten Ergebnis des Volksbegehrens, das dem Plebiszit vorausging, hofften viele auf ein deutlich besseres Resultat. Rund 267.000 Berliner hatten schon beim Volksbegehren unterschrieben und dadurch den Volksentscheid durchgesetzt, fast 100.000 mehr als erforderlich.

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche (EKD), Bischof Wolfgang Huber, räumten die Abstimmungsniederlage unumwunden ein. Zugleich werteten sie die Monate lange Kampagne über den Status des Ethik- und Religionsunterricht dennoch als großen Erfolg.
Niemals zuvor seien Glaube und Religion so ausdrücklich präsent gewesen in den Straßen und Debatten der Stadt, zog Zollitsch Resume. Auch würdigte er das Miteinander von Christen, Juden und Muslimen bei «Pro Reli».

Als Signal über die Hauptstadt hinaus will der Freiburger Erzbischof das Ergebnis des Volksentscheids aber nicht verstanden wissen. Auf andere Bundesländer sei es nicht übertragbar, weil der Religionsunterricht dort in der Regel ein ordentliches Unterrichtsfach ist. Der Humanistische Verband (HVD) kommt - erwartungsgemäß - zu einem anderen Schluss. Er misst dem Votum bundesweite Bedeutung bei und appelliert an die anderen Bundesländer, sich dem Berliner Modell «zu öffnen».

Dazu dürfte es jedoch nicht so schnell kommen, da der Religionsunterricht außer in Berlin, Brandenburg und Bremen, für die eine Ausnahmeregelung gilt, grundgesetzlich als ordentliches Fach festgeschrieben. Den Gegnern dieser Regelung dürfte das Berliner Resultat nun dennoch Auftrieb geben, und damit einer Debatte um den konfessionellen Unterricht.

Bundesweit aufmerksam verfolgt werden dürfte auch, ob Berlin nach dem teilweise erbitterten Streit um «Pro Reli» zu Kompromissen beim Werteunterricht findet. Zumindest die Berliner SPD ließ bereits am Wahlabend Gesprächsbereitschaft erkennen. Kooperationen durch regelmäßige gemeinsame Unterrichtsstunden von Ethik und Religion gibt es bereits. Wie die Praxis zeigt, sind die Schulen zumindest derzeit in vielen Fällen auf die Mitarbeit von Religionslehrern angewiesen, damit ein Ethikunterricht überhaupt stattfinden kann.

Nachdem dessen Status nun durch Volkes Stimme geklärt ist, dürften seine auch von den Befürwortern eingeräumten konzeptionellen Schwächen wieder stärker zur Debatte stehen. Auch die faktische Verdrängung des Religionsunterrichts durch die Ethik-Konkurrenz ab Klasse 7 bleibt bestehen.

Das Ergebnis des Volksentscheids ist auch ein Gradmesser für die Mobilisierungsfähigkeit der Kirchen. Immerhin jeder siebte Berliner bekundete im Wahllokal seine Verbundenheit und ist in der rot-roten Koalition künftig in Rechnung zu stellen. Gleiches gilt für die Tatsache, dass sich ihr die Westbezirke der Stadt wie schon beim Plebiszit über den Flughafen Tempelhof entgegenstellten und mehrheitlich «Pro Reli» wählten. So ist der Volksentscheid auch ein Warnsignal, die andauernde innere Spaltung der Stadt 20 Jahre nach dem Fall der Mauer ernst zu nehmen.