Zehn Jahre Pilgerseelsorge in Santiago de Compostela

"Viele möchten nicht ankommen, sondern weitergehen"

Seit bald zehn Jahren gibt es die deutschsprachige Pilgerseelsorge in Santiago de Compostela. Von Anfang dabei ist Prälat Rudolf Hagmann. Im Interview erzählt er, warum es die Seelsorge gibt und was die ankommenden Pilger bewegt.

Pilgerschuhe am Jakobsweg / © Philippe Glorieux (KNA)
Pilgerschuhe am Jakobsweg / © Philippe Glorieux ( KNA )

DOMRADIO.DE: Man kommt mit Blasen an den Füßen und einem schweren Rucksack auf dem Rücken nach hunderten Kilometern im Pilgerort Santiago de Compostela an. Und dort ist niemand, der auf einen wartet. So ging es noch vor zehn Jahren vielen Pilgern, die auf dem Camino unterwegs waren. Heute gibt es vor Ort eine deutschsprachige Pilgerseelsorge. Sie sind jedes Mal mit dabei. Mit was für einem Gefühl kommen alleinlaufende Pilger in Santiago de Compostela an?

Prälat Rudolf Hagmann (Pilgerseelsorger): Das ist sicherlich ganz unterschiedlich. Manche kommen mit einer großen Erleichterung und Tränen in den Augen an, weil sie es geschafft haben. Manche fürchten sich aber auch vor dieser Ankunft, weil sie plötzlich spüren, dass eine unendlich schöne, weite, freie Zeit zu Ende ist.

Viele erzählen immer wieder, eigentlich möchte ich gar nicht ankommen, sondern weitergehen. Da kommt auch manchmal der etwas unsinnige Spruch "Der Weg ist das Ziel" zum Vorschein. Die Gefühlslage ist ganz unterschiedlich und ganz persönlich.

DOMRADIO.DE: Sie holen die Pilger in dieser besonderen Gefühlslage ab. Was genau brauchen die ankommenden Pilger?

Hagmann: ​Ich glaube, als erstes brauchen sie jemanden, mit dem sie sich in ihrer Muttersprache verständigen und austauschen können. Es können ja nicht alle Spanisch. Ursprünglich gab es das Seelsorgeangebot in Santiago nur auf Spanisch. Jetzt kann man sich an einen Deutschsprechenden wenden, sich in der Muttersprache über seine Erfahrungen austauschen und auf Deutsch die Messe feiern.

Manche möchten auch eine ganz persönliche Last ablegen: Das Sakrament der Beichte und Buße spielt hier eine große Rolle. Ich glaube, es ist ganz entscheidend, dass sich die Pilger in ihrer Sprache ausdrücken können.

DOMRADIO.DE: In den letzten zehn Jahren hat sich Ihr Angebot weit gefächert. Sie stellen sich auch darauf ein, dass der Glaube immer individueller wird – so individuell wie die Intentionen, sich auf den Weg zu begeben. Wie sieht denn das Angebot aus? 

Hagmann: Der Impuls, dass sich Menschen auf den Weg machen, ist, wie Sie sagen ganz, ganz unterschiedlich. Wir bieten die Möglichkeit zum Gespräch und zum Austausch an. Wir laden ein, einen sogenannten spirituellen Rundgang um die Kathedrale zu unternehmen. Wir versuchen einfach, dieses grandiose Bauwerk in seiner Botschaft zu verstehen: Die verschiedenen Figuren und Portale transportieren ja eine Botschaft. Diese für heutige Menschen zu übersetzen, ist ein ganz wichtiges Angebot, das großen Anklang findet.

DOMRADIO.DE: Die Seelsorger sind von Anfang Mai bis Mitte Oktober – in der Pilgerhochphase – im Einsatz. ​Sie selbst sind diesen Weg auch schon gelaufen. Wie ist das für Sie, die Ankommenden in Empfang zu nehmen?

Hagmann: Ich freue mich natürlich wahnsinnig über die vielen Menschen, die kommen. Es geht nicht darum, dass ich ihnen meine Erfahrungen mitgebe, sondern dass ich zuhöre und sie ihre Erfahrungen ausdrücken können. Aber von meiner eigenen Erfahrung und vom eigenen Erleben her, kann ich ihre Erfahrungen ganz gut nachfühlen und vieles gut verstehen. 

Ich kenne das, manchmal die Versuchung zu haben, umzukehren. Das Murren und Klagen über allzu viele enge Räume in den Herbergen usw. Es gibt ganz viel Schönes, aber manchmal auch richtig Schwieriges. Da braucht man Mut, Geduld und Ausdauer, um den Weg fertigzubringen.

DOMRADIO.DE: Das Erzbistum Rottenburg-Stuttgart hat vor elf Jahren die Pilgerseelsorge ins Leben gerufen. Und die Deutsche Bischofskonferenz hat relativ schnell gesagt: Wir machen mit! Die Resonanz ist auch wirklich unglaublich groß. Wie viele Menschen betreuen Sie?

​Hagmann: Wir haben keine genaue Zahlen. Ich denke, dass wir in diesen zehn Jahren tausende Menschen erreicht haben – die morgens zum Gottesdienst kommen, zur Kirchenführung oder zum Austausch oder einfach so das persönliche Gespräch suchen. Ich glaube, dass wir mit unserer Präsenz in der Kathedrale einen ganz wichtigen Dienst machen.

Mittlerweile sind auch andere Sprachgruppen nachgekommen. Es gibt jetzt Angebote auf Englisch und Angebote für französische Sprachgruppen. Man sieht, dass die Pilgerseelsorge eine große Hilfe für die Menschen ist. Es kommen nicht alle zur Pilgerseelsorge, aber doch viele, die froh sind über dieses Angebot.

Ich denke, man kann schon sagen, dass dieser Weg nach Santiago der Weg einer ganz großen Sehnsucht ist – so unterschiedlich die Motive sind. Es sind viele, viele suchende Menschen unterwegs.

Das Interview führte Verena Tröster.


Die Kathedrale von Santiago de Compostela (KNA)
Die Kathedrale von Santiago de Compostela / ( KNA )
Quelle:
DR
Mehr zum Thema