Reisen durch Corona-Europa - Pioniergefühle und Skurrilitäten

Viel Beinfreiheit, wenig Sicherheitsabstand, kaum Kontrollen

Korrespondenten schreiben in der Corona-Krise an die Zentrale: Persönliches und Politisches, Trauriges und Tröstliches von den Mitarbeitern der Katholischen Nachrichten-Agentur. Diesmal: eine E-Mail aus Pamplona.

Flugzeug in der Luft / © Denis Belitsky (shutterstock)

Wie fühlt es sich an, wenn Routineabläufe zu Pioniertaten mutieren, wenn das sonst so Normale zum Aufbruch ins Ungewisse gerät? Die Probe aufs  Exempel zu Corona-Zeiten: in 14 Stunden von Pamplona nach Frankfurt.

Gesetzeshüter versperren am Busbahnhof in Pamplona den Weg. Ich male mir aus, wie sie Nachweise fürs Unterwegssein verlangen, leidige Diskussionen anzetteln. Heute verteilen sie freundlich kostenlos Schutzmasken. Die Polizei, dein Freund und Helfer? Das ist ein neues Gefühl. In den zehrenden Wochen der Ausgangssperre hatten sie landesweit hunderttausendfach Bußgelder verhängt.

24 Euro für 450 Kilometer

Des Tages einziger Überlandbus rauscht früh am Morgen nach Madrid, 450 Kilometer. Auf sieben Passagiere entfallen zwei Fahrer. Ein ökonomisches Desaster für den Betreiber. Das Ticket hat 24 Euro gekostet. Warum der Bus überhaupt fährt? Keine Ahnung. Eigentlich ist der normale Binnenverkehr über Spaniens Provinzgrenzen hinweg bis 22. Juni untersagt. Unterwegs kontrolliert niemand.

Die Weiten der Rioja und Kastiliens liegen trist und farbdurchtränkt gleichzeitig da. Trist, weil der spärliche Autobahnverkehr verrät, dass etwas nicht stimmt. Doch der Ginster blüht, der Mohn. Einige Bauern sind auf den Feldern, Winzer in ihren Rebgärten. Die neue Wirklichkeit des Reisens empfinde ich - bis auf die Maskenpflicht an Bord - als angenehm: viel Beinfreiheit, rasches Fortkommen. Das setzt sich in Madrid in der spärlichst besetzten Metro zum Airport fort.

Ein Flughafen fast ohne Menschen

Die Geisterstimmung auf einem der größten Flughäfen Europas ist gespenstischer als erwartet. Jetzt, am frühen Nachmittag, führt das oberste linke Eck eines Monitor-Dutzends, das sonst mit Abflügen der nächsten Stunden komplett gefüllt ist, die Flüge bis Tagesende auf: nach Frankfurt (meiner), Teheran, London, Mexiko, zweimal Mallorca. Das ist alles.

Am Sicherheitscheck herrscht Stau. Es ist nur einer geöffnet. Dahinter erwarten mich die altbekannten Hallen und Gangfluchten, diesmal in sagenhafter Leere. Leben und Passagierrollbänder stehen still. Die Geschäfte sind zu, die Lichter aus Spargründen gedämpft. Unbehelligt streife ich überall im Terminal umher. Da ich dies für erlebte, unwiederbringliche Geschichte halte, fotografiere ich, was das Zeug hält. Mein roter Rollkoffer gibt einen kontrastreichen Vordergrund ab. Die reiche Bildbeute überstelle ich gleich meiner Frau, bevor jemand auftaucht und meine Kameras konfisziert. Man weiß ja nie in diesen (w)irren Zeiten. Doch niemand kommt.

"Wir sind heute ausgebucht"

Am Gate zum Flug nach Frankfurt warten erstaunlich viele Leute. Beim Boarding achten Polizisten zu Beginn penibel auf die Sicherheitsabstände. Was folgt, gehört zur Kategorie "Alles egal". Gedränge am Zugang, Gedränge im Gang. Dann die Durchsage einer Stewardess: "Wir sind heute ausgebucht. Falls die Staufächer voll sind, verstauen Sie Ihr Gepäck bitte unter dem Vordersitz." 

Ist das eine akustische Täuschung? "Ausgebucht" in Corona-Zeiten? Da hatte man gemutmaßt, die Lufthansa setze einen Megajet ein, damit sich die Menge verteilt - und jetzt das, ein landläufiger Airbus A-320. Der Abstand zum Sitznachbarn schrumpft auf Zentimeter; wer erobert die Armlehne? Ein Reisegefühl wie immer. Das beruhigt und befremdet zugleich.

Ungewohnt sind die Schübe an Desinfektionsmittelgerüchen, die durch das Belüftungssystem zirkulieren. So etwas setzt sich bei mir gleich auf die Bronchien und führt zu Husten. Doch wer wagt es, sich auch nur zu räuspern? In der Luft verteilen die Stewardessen weder Tomatensaft noch Kaffee, dafür Wasserflaschen und Snacks. Nun fällt vielerorts die Maskenpflicht. Freier Flug für freie Viren ...

Die letzten Überraschungen

In Frankfurt führt der Weg zur automatisierten Passkontrolle. Ein Scan des Ausweisdokuments - schon bin ich ein freier Mann. Niemand nimmt mich in Augenschein, misst die Körpertemperatur oder fragt nach dem Woher und Wohin. Die finale Überraschung: Der Zug rollt sekundengenau in den Flughafenbahnhof. Musste erst Corona kommen, damit die Deutsche Bahn endlich mal pünktlich ist?

Von Andreas Drouve


Quelle:
KNA
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