Vertreter des Judentums üben Kritik an Aiwanger-Verbleib

"Wir Juden sind nicht die Müllabfuhr der Politik"

Hubert Aiwanger bleibt Bayerns stellvertretender Regierungschef. Das hat Ministerpräsident Markus Söder entschieden und seinem Vize geraten, Gespräche mit Juden zu suchen. Das trifft auf scharfe Gegenrede, aber auch auf Zustimmung.

Autor/in:
Christopher Beschnitt
Hubert Aiwanger  / © Peter Kneffel (dpa)
Hubert Aiwanger / © Peter Kneffel ( dpa )

Markus Söders Entscheidung, Hubert Aiwanger im Amt zu halten, hat für kritische Reaktionen auf jüdischer Seite gesorgt.

Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, teilte am Sonntag in München mit, Söders Beschluss sei politisch zu akzeptieren.

Knobloch sieht Bedarf nach Wiederherstellung von Vertrauen

Sie ergänzte in Bezug auf Aiwanger: "Er muss Vertrauen wiederherstellen und deutlich machen, dass seine Aktionen demokratisch und rechtlich gefestigt sind. Die Türen der jüdischen Gemeinschaft waren für ihn immer offen."

Markus Söder (CSU), Ministerpräsident von Bayern, Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, und Dieter Reiter (SPD), Oberbürgermeister der Stadt München / © Sven Hoppe (dpa)
Markus Söder (CSU), Ministerpräsident von Bayern, Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, und Dieter Reiter (SPD), Oberbürgermeister der Stadt München / © Sven Hoppe ( dpa )

Zudem erklärte Knobloch: "Inwieweit es Hubert Aiwanger nun gelingen wird, die Vorwürfe, die noch im Raum stehen, mit Worten und Taten zu entkräften, wird sich dabei zeigen."

Publizist Seligman verneint "Müllabfuhr"-Funktion für deutsche Politik

Der jüdische Publizist Rafael Seligmann kritisierte Söders Rat an Aiwanger, das Gespräch mit jüdischen Gemeinden zu suchen. "Wir Juden sind nicht die Müllabfuhr der deutschen Politik", sagte Seligmann der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

"Man muss anständig gegenüber allen sein, nicht nur gegenüber Juden, das würde zu ehrlicher Reue zuerst dazugehören."

Aiwanger solle aufhören, sich als Opfer einer vermeintlichen Schmutzkampagne darzustellen. Aiwangers Taktik schade dem Ansehen der Politik.

Antisemitismusbeauftragter legt Aiwanger Dachau-Besuch nahe

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, legte Aiwanger einen Besuch der KZ-Gedenkstätte Dachau nahe.

Klein sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: "Es wäre jetzt ein gutes Zeichen, wenn er nicht nur das Gespräch mit den jüdischen Gemeinden, sondern auch mit den Gedenkstätten in Bayern sucht und deren wichtige Arbeit stärkt, etwa durch einen Besuch in Dachau."

Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus / © Carsten Koall (dpa)
Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus / © Carsten Koall ( dpa )

Bayerns Antisemitismusbeauftragter Ludwig Spaenle (CSU) teilte mit, Aiwanger habe sich lange uneinsichtig gezeigt und sei seiner Vorbildfunktion als Staatsminister nicht gerecht geworden.

Söder fordert Beleg ernsthafter Reue von Aiwanger

"Er hat damit Bayern und der Bekämpfung des Antisemitismus Schaden zugefügt." Aiwanger sei nun aufgefordert, mit seinem Handeln dem von ihm herbeigeführten Schaden entgegenzuwirken.

Ministerpräsident Söder hatte zuvor erklärt, seinen wegen der Affäre um ein antisemitisches Flugblatt umstrittenen Stellvertreter Aiwanger im Amt zu belassen.

Er legte dem bayerischen Wirtschaftsminister und Freie-Wähler-Chef zugleich nahe, zur Aufarbeitung und zum Beleg ernsthafter Reue Gespräche mit jüdischen Gemeinde zu suchen.

Söder hat sich mit Knobloch und Schuster abgesprochen

Söder ergänzte, vor seiner Entscheidung habe er mit Charlotte Knobloch und auch mit Josef Schuster gesprochen, dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland.

Söder erklärte, die Flugblatt-Affäre habe die bayerische Regierungskoalition belastet. Gleichwohl gebe es bis heute keinen Beweis, dass Aiwanger das Pamphlet verfasst habe. Er habe sich zudem glaubhaft für anderes Fehlverhalten in der Jugend entschuldigt.

Am 25. August – rund sechs Wochen vor der Landtagswahl in Bayern - hatte die "Süddeutsche Zeitung" berichtet, Aiwanger habe als Schüler ein antisemitisches Flugblatt verfasst.

Bayerns stellvertretender Ministerpräsident Hubert Aiwanger / © Peter Kneffel (dpa)
Bayerns stellvertretender Ministerpräsident Hubert Aiwanger / © Peter Kneffel ( dpa )

Aiwanger bestreitet das; die Verantwortung für das Pamphlet hat sein Bruder Helmut übernommen. Hubert Aiwanger zufolge wurden in seiner Schultasche "ein oder wenige Exemplare" des Blattes gefunden – warum, ist unklar.

Aiwanger moniert Kampagne gegen iihn und seine Partei

Später beschuldigten ehemalige Mitschüler Aiwanger, etwa Hitlergrüße gezeigt und Judenwitze gemacht zu haben. Aiwanger erklärte, er sei niemals ein Judenfeind gewesen.

"Ich kann mich nicht erinnern, jemals einen Hitlergruß gezeigt zu haben. Ich habe keine Hitlerreden vor dem Spiegel einstudiert. Weitere Vorwürfe wie menschenfeindliche Witze kann ich aus meiner Erinnerung weder vollständig dementieren noch bestätigen. Sollte dies geschehen sein, so entschuldige ich mich dafür in aller Form."

Zugleich monierte Aiwanger, es gebe eine Kampagne gegen ihn und seine Partei.

Söder hatte Aiwanger am vergangenen Dienstag 25 Fragen zu dem Komplex übermittelt. Diese wurden am Freitagabend beantwortet. Söder sieht die Debatte nach eigenen Angaben damit nun beendet.

Antisemitismus

Antisemitismus nennt man die offen propagierte Abneigung und Feindschaft gegenüber Juden als Volksgruppe oder als Religionsgemeinschaft. Der Begriff wird seit dem 19. Jahrhundert gebraucht, oft als Synonym für eine allgemeine Judenfeindlichkeit. Im Mittelalter wurden Juden für den Kreuzestod Jesu verantwortlich gemacht und als "Gottesmörder" beschuldigt. Während der Kreuzzüge entlud sich die Feindschaft in mörderischen Ausschreitungen, Vertreibungen und Zwangsbekehrungen.

Teilnehmende einer Demonstration zur Solidarität mit Israel / © Michael Kappeler (dpa)
Teilnehmende einer Demonstration zur Solidarität mit Israel / © Michael Kappeler ( dpa )
Quelle:
KNA