Kirchliche Kritik an Israel stößt auf Kritik von Israel

Vertreibung oder Verleumdung

Der Vorwurf ist hart: Von einer gezielten Vertreibung von Christen durch zionistische Extremisten ist die Rede. Israelische Politiker sind indigniert. Bei näherem Hinsehen herrscht auch unter den Kirchen keine Einigkeit.

Autor/in:
Andrea Krogmann
Israelische Flagge / © Sebi Berens (KNA)
Israelische Flagge / © Sebi Berens ( KNA )

Zwischen den Kirchen im Heiligen Land und dem Staat Israel knirscht es wieder einmal. In einer gemeinsamen Stellungnahme beklagten die Jerusalemer Kirchenführer Versuche einer systematischen Vertreibung von Christen und schilderten deren Gemeinschaft im Heiligen Land als in der Existenz bedroht. Die Veröffentlichung des Papiers wenige Tage vor Weihnachten, als die ganze Welt auf die Region schaute, sicherte ihm ein entsprechendes Echo.

Die Vorwürfe wiegen schwer: Christen seien Ziel von Einschüchterungsversuchen und Übergriffen radikaler Randgruppen, ihre religiösen Stätten würden regelmäßig verwüstet, strategisch wichtiger christlicher Grundbesitz durch Hinterlist und Einschüchterung weggekauft. Lokalen Politikern und Behörden wird Versagen vorgeworfen, wenn es darum geht, das israelische Bekenntnis zum Schutz und Erhalt der einheimischen Christen umzusetzen.

Streit um Steuerpflicht

Erinnerungen an Februar 2018 werden wach. Damals hatten die griechisch-orthodoxe und die armenische Kirche zusammen mit der Franziskanerkustodie im Streit um die kirchliche Steuerpflicht das Vorgehen der Stadt als "systematische und offensive Kampagne" Israels gegen die Kirchen und die Christen verurteilt und aus Protest die Grabeskirche für drei Tage geschlossen.

Die Stellungnahme trägt den Namen aller Patriarchen und Kirchenführer Jerusalems, und ihre Veröffentlichung in Kirchenkreisen blieb unwidersprochen. Das Lateinische Patriarchat von Jerusalem und andere Kirchen publizierten das Dokument bisher allerdings nicht. Wortführer ist der griechisch-orthodoxe Patriarch Theophilos III., der in der Vergangenheit immer wieder wegen angeblicher Verkäufe von Kirchenland im israelischen Westteil Jerusalems in die Kritik seiner Gläubigen geriet.

Warnende Worte

Theophilos III. war es, der die Vertreibungsvorwürfe zuletzt bei beinahe jeder Gelegenheit vorbrachte: Beim traditionellen Austausch von Weihnachtsgrüßen mit den Franziskanern und lateinischen Christen, aber auch vor dem jordanischen Königshaus anlässlich des traditionellen Weihnachtsempfangs warnte der Patriarch, die christliche Präsenz in der Heiligen Stadt sei zur Zielscheibe extremistischer zionistischer Gruppen geworden.

Auf seine Initiative geht auch eine etwa zeitgleich lancierte ökumenische Online-Kampagne zurück, die unter dem Titel "Heiligland-Christen schützen" mit noch schärferen Worten vor einem Ende der christlichen Gemeinschaften noch binnen einer Generation warnt und zum Kampf für deren Erhalt aufruft.Wie die gemeinsame Stellungnahme weist sie auf deren gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beitrag hin, etwa durch Schulen, Krankenhäuser und humanitäre Programme. In Tourismus, Wirtschaftstätigkeit und Philanthropie sind sie für Israel bares Geld wert. Auf umgerechnet 2,6 Milliarden Euro beziffert die Kampagne das Einkommen Israels rein im Tourismussektor christlicher Provenienz.

Kämpferisch kamen die Worte an, nicht nur an den entsprechenden israelischen Stellen. Von unbegründeten, realitätsverzerrenden Anschuldigungen sprach der Sprecher des israelischen Außenministeriums, Lior Haiat, und verwies auf Religions- und Kultusfreiheit, die Christen im Land genössen. "Besonders ärgerlich" in den Augen Haiats: Die Notlage vieler christlicher Gemeinschaften, die in anderen Ländern des Nahen Ostens unter Diskriminierung und Verfolgung leiden, blieb neben der Kritik an Israel unerwähnt.

Vorwurf einer Verleumdungskampagne

Von einer "Verleumdungskampagne gegen Israel" sprach Yisca Harani, Trägerin des Mount Zion Award, eines unter anderem von der Benediktinerabtei Dormitio in Jerusalem verliehenen Preises für interreligiösen Dialog. Die jüdische Israelin berät die Ministerien für Öffentliche Sicherheit, für Religionen und für Tourismus in Fragen des Christentums – und sie engagiert sich in zahlreichen Dialogprojekten von Juden und arabischen Christen im Land.

Als "Anwältin der Christen an vorderster Front" sei sie wütend "über die Doppelzüngigkeit und die zynische politische Ausnutzung, die jedes Jahr zum perfekten Zeitpunkt in den Medien stattfindet", schreibt sie in einem Facebook-Beitrag. Extremisten aus jüdischen Reihen zu kritisieren, ohne gleichzeitig die Unterstützung der Christen durch die Zivilgesellschaft und den Staat zu erwähnen, sei "mit dem Anspruch des Strebens nach Wahrheit und Gerechtigkeit unvereinbar".

Christen sollen nicht unter eine Käseglocke

Anfragen im Lateinischen Patriarchat und im griechisch-orthodoxen Patriarchat zum Hintergrund der jüngsten Vorwürfe blieben unbeantwortet. Einen Hinweis auf die Haltung des Lateinischen Patriarchen, Erzbischof Pierbattista Pizzaballa, mag jedoch dessen Neujahrspredigt geben.

"Manchmal höre ich Leute sagen, dass wir Christen 'Schutz' wollen, das heißt, wir wollen vor den vielen Schwierigkeiten und Anfeindungen geschützt werden, unseren eigenen Raum haben, der uns gewidmet ist. Ich kann diese Einstellung nicht teilen", sagte er. Die Schaffung einer christlichen Schutzzone in der Jerusalemer Altstadt war eine der Forderungen der gemeinsamen Stellungnahme. Nach Pizzaballas Vorstellung sollen Christen indessen nicht unter einer Käseglocke existieren, sondern "integraler, konstruktiver Teil des zivilen Lebens" sein.

Sicherer Hafen für Christen

Ähnliche Töne schlugen israelische Politiker an. Ministerpräsident Naftali Bennett, Außenminister und alternierender Ministerpräsident Jair Lapid sowie Verteidigungsminister Benny Gantz nutzten ihre jeweiligen Weihnachtsgrüße, um Israel als einzig sicheren Hafen für Christen in der Region zu präsentieren. Auch das gemeinsame Erbe und der Beitrag von Israels Christen im Kampf gegen Covid-19, aber auch für Israels Sicherheit und den weltweiten Frieden fanden dankende Erwähnung.

Von Christen als "Geschenk für das Volk des Staates Israel" sprach der israelische Präsident Isaac Herzog beim traditionellen Neujahrsempfang für die Kirchenführer. Bei diesem Anlass klang dann auch Patriarch Theophilos III. schon wieder viel versöhnlicher. Im Namen der Kirchen dankte er Herzog für sein Engagement "für die Integrität des multikulturellen, multiethnischen und multireligiösen Charakters unserer Region und für Ihre Verteidigung der Rechte all derer, die das Heilige Land unsere Heimat nennen".


Theophilos III. / © Harald Oppitz (KNA)
Theophilos III. / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
KNA
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