Verteidigungsministerium denkt nicht an Hindukusch-Rückzug

Exit-Strategie für Afghanistan

Zum ersten Mal ist sie auf der politischen Bühne Berlins stärker ins Gespräch gekommen: Die Ausstiegsstrategie für Afghanistan. Doch das Verteidigungsministerium will von einem Rückzug der Bundeswehr vom Hindukusch erst einmal nichts wissen.

 (DR)

Aus Kreisen des Ministeriums hieß es kategorisch: "Es gibt keine Pläne für einen Abzug aus Afghanistan". Auf der parlamentarischen Ebene ist jedoch von einem "aufkommenden Umdenken" beim Afghanistaneinsatz zu hören. Es wird erwartet, das dieses Thema auf dem NATO-Treffen in Bukarest, das am Mittwoch beginnt, zu heißen Diskussionen führen wird.

Der amerikanische Präsident George W. Bush hat die Verbündeten der US-Streitkräfte schon vor Bukarest vor einem zu frühen Aufgeben in Afghanistan gewarnt: Seine größte Sorge sei, dass die Leute sagen: "Wir sind Afghanistan irgendwie müde, deswegen werden wir wohl abziehen".

In Berlin hatte der Parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Christian Schmidt (CSU), zu Ostern die "Katze aus dem Sack" gelassen. Er sagte unverhohlen: "Man muss immer auch an den Ausstieg denken". In etwa fünf Jahren müsse der Zeitplan für einen stufenweisen Rückzug absehbar sein. Nach ddp-Informationen wurde Schmidt von höchster Ministeriumsstelle umgehend "zurückgepfiffen". Doch der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold pflichtete Schmidt bei. Er forderte, Afghanistan mehr Eigenverantwortung zu übertragen und die ISAF-Mission stufenweise zu reduzieren.

Deutsche sind gegen den Hindukusch-Einsatz
Die Berliner Politiker stehen nach ihren eigenen Aussagen unter dem Druck der deutschen Öffentlichkeit. Die Mehrheit der Deutschen ist nach jüngsten Umfragen gegen den Einsatz von deutschen Soldaten am Hindukusch. Die Bundeswehr hat am Mittwoch den zehnten Angriff der Taliban auf deutsche Soldaten seit Herbst 2006 erlebt. Insgesamt ist die Zahl der seit Jahresbeginn 2008 in Afghanistan getöteten ausländischen Soldaten auf 33 gestiegen.

Die Staats- und Regierungschefs der 26 NATO-Staaten stehen bei ihrer Konferenz in Bukarest vor einer erschreckenden Bilanz. Die Gewalt in Afghanistan hat einen neuen Höhepunkt erreicht. Nach Angaben der UNO kamen im vergangenen Jahr mehr als 8000 Menschen in Afghanistan ums Leben. Das waren mehr als in jedem anderen Jahr seit der US-Invasion 2001. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon teilte mit, dass es 2007 jeden Monat durchschnittlich 566 Zwischenfälle gegeben habe, nach 425 pro Monat 2006. Die Zahl der Selbstmordanschläge sei von 123 im Jahr 2006 auf 160 im letzten Jahr gestiegen.

"Der Wiederaufbau wird länger dauern, als wir erwartet haben"
Sieben Jahre nach ihrem Sturz kontrollieren die Taliban nach Mitteilung amerikanischer Geheimdienste wieder rund zehn Prozent des afghanischen Territoriums. Die Regierung von Präsident Hamid Karsai habe lediglich 30 Prozent des Landes unter ihrer Kontrolle. In den anderen Gebieten gehen die ISAF-Kräfte gegen die Taliban vor. Es gibt stets "wechselnde Fronten". Mal haben die Alliierten einen Landabschnitt im Besitz, danach haben die Taliban wieder die Oberhand.

Karsai hat die alliierten Truppen beim Militäreinsatz in seinem Land um Geduld gebeten. "Wir brauchen noch Zeit. Der Wiederaufbau wird länger dauern, als wir erwartet haben", sagte Karsai. Er schätzte den Zeitraum auf "wenigstens zehn Jahre". Die westlichen Politiker und Militärs sehen den "Angelpunkt" für die Lösung des "Problems Afghanistan" in der Übernahme der Eigenverantwortung. Die afghanische Armee und die Polizei müssten "rascher aufwachsen als zunächst geplant", damit sie die Verantwortung über ihr Land übernehmen können. So hat der afghanische Außenminister Rangin Dadfa Spanta jetzt mehr Hilfe bei der Ausbildung und Ausrüstung von Polizei und Armee seines Landes gefordert. Das sei "wichtiger als ausländische Soldaten, die hierher kommen", erklärte Spanta.

Von ddp-Korrespondent Friedrich Kuhn