Vatikanexperte schaut auf Johannes Paul I. zurück

Wäre alles anders gekommen?

Vor 45 Jahren starb der "lächelnde Papst" nach nur 33 Tagen im Amt. Zuvor hatte er die Gläubigen mit seiner Freundlichkeit beeindruckt. Hätte er die Kirche weniger streng geführt? Der Vatikan-Journalist Marco Politi gibt die Antwort.

Papst Johannes Paul I.  / © Paolo Galosi/Romano Siciliani (KNA)
Papst Johannes Paul I. / © Paolo Galosi/Romano Siciliani ( KNA )

DOMRADIO.DE: Johannes Paul I. war nur 33 Tage im Amt und starb vor genau 45 Jahren am 28. September 1978. Trotzdem ist er als lächelnder Papst oder Papst des Lächelns unvergessen. Warum ist er noch so präsent?

Vatikanjournalist Marco Politi (KNA)
Vatikanjournalist Marco Politi / ( KNA )

Marco Politi (Buchautor und Vatikanexperte): Das Pontifikat von Johannes Paul I. war eine Wende. Man wollte schon vor dem Konklave, bei dem er gewählt wurde, keinen Diplomaten-Papst mehr, keinen Herrscher mehr. Man wollte einen Seelsorger. Diese freundliche und spontane Natur von Papst Luciani war gerade das, was das glaubende Volk wollte.

Es gab natürlich auch andere ausgezeichnete Kardinäle, die man wählen konnte, Kardinal Bacio, Kardinal Pignedoli, Kardinal Benelli. Vor seiner Wahl gab es noch ein starkes Duell zwischen dem konservativen Kardinal Siri von Genua und Kardinal Benelli von Florenz. Aber die Masse der Gläubigen wollte keinen politischen Papst, sondern einen Seelsorger. Das haben auch die Kardinäle im Konklave verstanden.

Marco Politi

"Als er in seiner kurzen Amtszeit davon gesprochen hat, dass Gott nicht nur Vater, sondern auch Mutter ist, war das für die Gläubigen sehr beeindruckend."

Das Lächeln des Luciani war eine Garantie für diese Seelsorgeart. Als er in seiner kurzen Amtszeit davon gesprochen hat, dass Gott nicht nur Vater, sondern auch Mutter ist, war das für die Gläubigen sehr beeindruckend.

DOMRADIO.DE: Er hat einen Doppelnamen gewählt, Johannes Paul. Er verzichtete auf manche päpstliche Würde. Er sprach nicht von "wir", sondern von "ich". War er eine Art Papst Franziskus der 70er Jahre?

Politi: Ja, ganz bestimmt. Interessant ist zum Beispiel, dass er am Abend seiner Wahl, als er den Segen "Urbi et orbi" erteilen musste, ein paar Worte zu der Menge auf dem Petersplatz sagen wollte.

Der Zeremonienmeister sagte ihm, das sei nicht möglich. Das tue man nicht. Luciani war eine schüchterne Persönlichkeit und hat es deswegen auch nicht getan. Johannes Paul II. hat es aber getan.

Marco Politi

"Luciani war eine Art Bahn, ein Weg, eine Straße, die zu einer anderen Autobahn führte. Die neue Autobahn, also die Wende war die Wahl von Johannes Paul II."

Giulio Andreotti, ehemaliger Premierminister von Italien und Außenminister der christdemokratischen Partei kannte die Vatikanwelt sozusagen am besten. Er sagte, Luciani war eine Art Bahn, ein Weg, eine Straße, die zu einer anderen Autobahn führte. Die neue Autobahn, also die Wende,  war die Wahl von Johannes Paul II. Er war kein italienischer Papst mehr und auch eher ein Papst, der, obwohl er ein politischer Kopf war, ein sehr menschlicher Papst war, wenigstens im Ausdruck.

Oft sieht man nur die eher "harte" Seite von der Lehre aus. Von Papst Wojtyla weiß man, dass er nicht damit einverstanden war, dass Frauen Priester werden sollten. Er wollte Geschiedenen nicht die Kommunion geben. Aber er hatte auch eine sehr starke menschliche und spontane Art. Das war ein Vermächtnis der Wende, von der Wahl Johannes Paul I.

DOMRADIO.DE: Keiner hat damit gerechnet, dass er nach 33 Tagen im Amt stirbt. Sein Tod sorgte für Spekulationen. Wird heute noch darüber diskutiert, ob sein Tod natürlich oder herbeigeführt war?

Politi: Ja, im Unterbewusstsein bleibt das natürlich. Diese ganzen Konspirationstheorien waren nicht wahr. Es waren tatsächlich nur Theorien, denn Luciani war sehr gebrechlich. Er hatte Probleme mit den Lungen, er hatte Probleme mit dem Kreislauf, mit dem Blutdruck.

Ich erinnere mich, ein Freund von ihm sah ihn kurz nach seiner Wahl und sagte: Glückwunsch, Heiligkeit! Da hat Luciani seine Soutane etwas nach oben gezogen und seine Beine gezeigt, die waren ganz geschwollen. Daraufhin hat er gesagt: Was heißt hier Glückwunsch? Du weißt, wie es mir geht.

Es war ein natürlicher Tod. Es war wahrscheinlich entweder ein Infarkt oder ein Blutgerinnsel an der Lunge. Aber der Vatikan hat die ganze Affäre sehr schlecht geleitet. Der Papst wurde von einer Schwester tot aufgefunden. Von der Schwester, die ihm jeden Morgen die Kaffeetasse vor sein Zimmer stellte.

Es war unerhört für diese, ich sage mal, "alten Generäle" des Vatikans, dass eine Frau den Papst im Pyjama findet. Daher hat man erzählt, dass der Papst ein schönes Buch gelesen hatte: "Imitatio Christi". Das war aber nicht wahr. Er war gerade dabei, eine Predigt zu schreiben. Man hat auch keine Autopsie gemacht.

Deswegen fing es an, dass mit den Konspirationstheorien diese Gerüchte umhergingen. Er hätte Probleme mit der Kurie gehabt, Probleme mit der Vatikanbank, mit Monsignore Marcinkus. Aber er war ganz bestimmt allein.

Marco Politi

"Er war nicht bereitet für ein so großes Amt."

Er war nicht bereitet für ein so großes Amt. Ich glaube, ein Satiriker und Zeichner von der französischen Tageszeitung Le Monde, damals sehr berühmt, hat ein Bild gezeichnet, das der Wahrheit entspricht. Man sah Papst Luciani am Boden, erdrückt von der Peterskuppel und der Papstkrone.

DOMRADIO.DE: Begeben wir uns in das Reich der Spekulation. Wie hätte sich die katholische Kirche entwickelt, wenn Johannes Paul I., doch zehn Jahre im Amt gewesen wäre? Was hätte er vielleicht anders gemacht?

Politi: Luciani hätte ganz bestimmt einen menschlichen Stil in den Vatikan gebracht. Er war ein barmherziger Mensch, ein barmherziger Priester, den Menschen nahe, auch den Menschen mit ihren Schwierigkeiten im Leben.

Aber andererseits hatte er auch eine sehr konservative Seite. Als man in Italien über das Scheidungsgesetz diskutierte, war Luciani ganz entschieden gegen das Scheidungsgesetz. Er ist auch mit den katholischen Studenten von Venedig sehr hart gewesen, die gegen dieses Gesetz keine Propaganda machen wollten. Er löste damals die Gruppe der katholischen Studenten in Venedig auf.

Marco Politi

"Andererseits hatte er auch eine sehr konservative Seite."

Er war auch gegen die Möglichkeit, wie es aber dann gekommen ist, dass die christdemokratische Partei ein Bündnis mit den Sozialisten machte. Man darf nicht vergessen, Luciani kam aus einer Welt, in der er schon mit zehn Jahren in einem sogenannten kleinen Seminar war. Das war eine Schule im Seminarstil für Jungen im Alter zwischen elf und dreizehn Jahren. Da gibt es ein schockierendes Foto. Man sieht diesen kleinen Jungen mit sehr kurz geschorenen Haaren in einer schwarzen Soutane. Da ist ein Tisch mit einem großen Buch und einem großen Kreuz drauf.

In diesem Sinne war er von der Lehre auch konservativ geprägt. Aber wie gesagt, er hat mit seiner kurzen Amtszeit die Türen für den charismatischen Stil von Johannes Paul II. aufgemacht. Nach dem Pontifikat der vielen Krisen von Ratzinger ist die letzte gute Tat von Luciani, die Tatsache, dass man wieder zu einem Seelsorger-Papst gekommen ist und Franziskus gewählt hat.

Das Interview führte Mathias Peter.

Quelle:
DR