DOMRADIO.DE: Am vergangenen Mittwoch trafen einige Würdenträger den Papst. Und dann kam ein freundlicher Priester mit weißem Sonnenhütchen auf dem Kopf an die Reihe, was Papst Leo XIV. offensichtlich überhaupt nicht gefallen hat. Was ist da passiert?
Ulrich Nersinger (Vatikanexperte und Autor): Das war ein emeritierter italienischer Bischof, und als ich ihn sah, dachte ich schon, was trägt der denn da? Wie kann er sich so dem Papst nähern?
Das war für mich nicht mal eine Verletzung der Etikette, das macht man einfach nicht. Ich hatte direkt den Gedanken, der gute Mann hat keine gute Kinderstube. Und dann war ich gespannt, wie der Papst reagiert. Ich habe mir auch gewünscht, dass er reagiert. Und er hat reagiert, auf seine sehr souveräne, aber freundliche Art, indem er darauf hinwies, das Hutungetüm abzunehmen, weil man so nicht dem Papst gegenübertritt.
DOMRADIO.DE: Was ist denn die gängige Etikette, um einem Papst angemessen gegenüberzutreten?
Nersinger: Das ist eine gute Frage. Wir haben natürlich schon im Laufe der Zeit immer wieder Änderungen gehabt. Die Etikette, die noch vor 30, 40 Jahren üblich war, ist nicht mehr so im Bewusstsein vieler Leute. Zum Beispiel, wenn sich ein Würdenträger, ein Bischof oder ein Kardinal dem Papst näherte, nahm er den Pileolus ab. Das sehen wir heute auch nicht mehr so.
Dann war es natürlich früher immer üblich, dass man den Ringkuss machte. Das macht man jetzt wieder verstärkt, aber das machen nicht alle. Also, da hat sich einiges geändert, aber es gibt so Grundformen, die man doch beibehalten sollte, eben wie, dass man den Pileolus, das Scheitelkäppchen abnimmt, dass man den Ringkuss unter Umständen macht.
Das ist doch etwas, was wir von früher kennen. Also da gibt es eine ganze Reihe von Sachen, die man nicht unbedingt beachten muss, aber macht, wenn man sich eine gute Atmosphäre verschaffen will.
DOMRADIO.DE: Und auf jeden Fall dezente, angemessene Kleidungen tragen. Auch bei den vielen Papst-Audienzen im Laufe der Jahre gab es immer wieder kuriose Begebenheiten. Haben Sie ein Beispiel für uns?
Nersinger: Ja, wir haben eine historische Begebenheit, die sehr interessant ist. Das war die heilige Therese vom Kinde Jesu, die als 15-Jährige schon in den Karmel eintreten wollte. Und das hat man ihr von Frankreich aus verwehrt. Und dann hat sie an einer Wahlfahrt nach Rom unter Leo XIII. teilgenommen. Man hat ihr eingeschärft, den Papst nicht darauf anzusprechen. Daran hat sie sich nicht gehalten.
Sie ist vor dem Papst niedergekniet und hat dann angefangen, den Papst mit ihrer Bitte zu bestürmen. Und sie stand auch nicht mehr auf, sie blieb knien. Bis dann zwei Nobelgardisten, die dort standen, zu ihr hintraten und sie höflich, aber sanft unter die Arme griffen und sie wegtrugen.
DOMRADIO.DE: Ist denn auch einem Papst schon mal etwas Komisches oder Groteskes bei einer Audienz passiert?
Nersinger: Wir hatten in der Zeit, in der es keinen Vatikanstaat gab, nach dem Ende des alten Kirchenstaates, einen Besuch von Kaiser Wilhelm II. 1888 in Rom. Die eigenen Leute aus dem Vatikan hatten Leo XIII. gebeten, den Kaiser nicht auf das Fehlen des Kirchenstaates anzusprechen, aber Leo XIII. konnte sich das nicht verkneifen und sprach den Kaiser darauf an, der ja auch zu Besuch beim italienischen König war.
Kaiser Wilhelm II. hat vor Schreck seinen Helm, seine Pickelhaube fallen lassen. Mit lautem Krach fiel die zu Boden. Das war aber gut. Dadurch wurde die ganze Sache etwas entschärft, alle waren abgelenkt und man konnte wieder mit der Audienz normal fortfahren.
DOMRADIO.DE: Sie selbst haben auch schon viele Audienzen besucht. Ist Ihnen auch schon mal etwas Skurriles passiert?
Nersinger: Ja, ich durfte bei einer Seligsprechung, nach der Feier, dem Heiligen Vater Johannes Paul II. ein kleines Weinfass überreichen als ein Geschenk der Generalpostulation der Augustiner Chorherren. Und das habe ich dann auch getan und habe dem Papst gesagt, dieser Wein kommt vom Kahlenberg und vom Leopoldsberg bei Wien.
Ich habe dann erklärt, das ist der Ort, wo die polnischen Heere 1683 den Ansturm der Osmanen gestoppt haben. Dann hat mich der Papst angeschaut, etwas verschmitzt, hat er gesagt: "Ja, danken wir Gott dafür, sonst stünden wir beide heute nicht hier."
Das Interview führte Hilde Regeniter.