Vatikan streitet nicht nur über deutsche Reformen

Frostige Zeiten

Müller und Pell, aber auch Czerny, Grech und Hollerich – die Stimmen, die vor verfehlten Reformen warnen, kommen nicht nur aus der vermeintlich konservativen Ecke. Liegt der Vatikan mit Deutschland im Clinch, oder auch mit sich selbst?

Autor/in:
Renardo Schlegelmilch
Petersdom im Nebel / © Renardo Schlegelmilch (DR)
Petersdom im Nebel / © Renardo Schlegelmilch ( DR )

Kalt und stürmisch war in den letzten Wochen nicht nur das Wetter in Deutschland, sondern auch die Beziehung zwischen dem Heiligen Stuhl und den Katholiken nördlich der Alpen. Seit dem Tod des emeritierten Papstes Benedikt XVI. am Silvestermorgen geht es ohnehin hoch her rund um den Petersdom, im Fokus steht dabei aber wie so oft Deutschland.

Der deutsche Reformprozess "Synodaler Weg" ist den Kurialen seit langem ein Dorn im Auge – und das ist inzwischen auch kein Geheimnis mehr. Munkelte man vor zwei Jahren noch hinter vorgehaltener Hand der Papst habe Angst Deutschland schaffe eine "zweite evangelische Kirche", so spricht er selbst in diesem Ton inzwischen ganz offen und unverblümt, so wie vergangene Woche in einem neuen Interview mit der Nachrichtenagentur AP: "Hier besteht die Gefahr, dass etwas sehr, sehr Ideologisches einfließt." Synodal sei der Weg der Deutschen nur dem Namen nach, so der Papst.

Römischer Briefwechsel

Die Kardinäle Ladaria, Parolin und Ouellet im Gespräch mit den deutschen Bischöfen / © Romano Siciliani (DR)
Die Kardinäle Ladaria, Parolin und Ouellet im Gespräch mit den deutschen Bischöfen / © Romano Siciliani ( DR )

Aber Franziskus ist nicht der einzige, der diese Sorgen hat. Im November 2022, beim Ad-limina-Besuch der deutschen Bischöfe in Rom, formulierten gleich drei der führenden Kurienkardinäle ihre großen Sorgen bezüglich des Reformprojektes, unter anderem mit der Aufforderung, den "Synodalen Weg" mit einem Moratorium auszusetzen.

Im Jahr 2023 werden diese Stimmen nur noch deutlicher. Ein Brief – angefragt von fünf deutschen Bischöfen – untersagte vergangene Woche der Deutschen Bischofskonferenz klipp und klar das Nachfolgeprojekt zum "Synodalen Weg", den "Synodalen Rat" zu etablieren – und das mit offizieller Absegnung vom Papst persönlich. Der Prozess würde nicht im Einklang mit dem Kirchenrecht stehen, hieß es.

Unterkühlte Stimmung gibt es aber auch auf der Gegenseite in Deutschland. Das Präsidium des "Synodalen Wegs" – Bischofskonferenz und ZdK – machten schnell unabhängig voneinander klar: Einen Stopp des Reformprozesses wird es nicht geben. Man teile die römische Auffassung nicht, dass die Einrichtung eines "Synodalen Rates" gegen das Kirchenrecht verstößt.

Bischofskonferenz wehrt sich

Aber nicht nur die Inhalte aus Rom sorgen für Unmut, sondern auch der Tonfall. So machte Bischof Georg Bätzing als Vorsitzender der Bischofskonferenz vergangene Woche im Interview mit der "Welt" klar, dass er es sehr unangebracht findet, dass Papst Franziskus in Interviews Deutschland kritisiert und nicht im direkten Gespräch. Dem stimmte am Montag der Speyerer Bischof Wiesemann zu.

Aber ist dieser konfrontative Kurs der beste, um einen Ausweg aus dem Reformkonflikt zu finden? Der britische Vatikanexperte Austen Ivereigh sieht im DOMRADIO.DE-Interview den Ausweg im Aufeinander-zu-gehen – von beiden Seiten, also auch von Deutschland aus. "Es braucht von deutscher Seite mehr Respekt für den Standpunkt und auch die Entscheidung des Papstes. Der einzige Weg nach vorne ist innezuhalten, auf die Argumente aus Rom zu hören und in einen echten Dialog zu treten." 

Debatten um die Weltsynode

Das deutsche Reformprojekt ist aber nicht die einzige "Front" im Vatikan. Auch das vatikaneigene Reformprojekt des "synodalen Weltprozesses" sorgt für Reibereien. Im Oktober 2020 wurde der als "größtes Mitbestimmungsprojekt der Menschheitsgeschichte" ins Leben gerufen und sollte alle Katholiken der Welt nach ihrer Meinung zur Reform der Kirche befragen. Der ursprünglich auf zwei Jahre angesetzte Prozess wurde vor kurzem auf ein drittes Jahr verlängert und findet sich im Moment in der kontinentalen Phase.

Nathalie Becquart / © Stefano Carofei/Romano Siciliani (KNA)
Nathalie Becquart / © Stefano Carofei/Romano Siciliani ( KNA )

Die Weltsynode soll laut Synodenbüro alles das verkörpern, was den Kritikern am deutschen Prozess fehlt: Es soll ein geistiger Prozess sein, ein Aufeinander-hören, ohne klare Agenda oder das Ziel das Gegenüber um jeden Preis zu überzeugen. So sagte die vatikanische Untersekretärin des Synodenbüros Nathalie Becquart schon 2021 gegenüber DOMRADIO.DE man dürfe nicht den Fehler machen und die Synode als Parlament betrachten. Es sei ein spiritueller Prozess, der "die Vereinigung der menschlichen und spirituellen Dimensionen der Kirche" zum Ziel haben müsse.

Wie genau dieses hohe Ideal der Synodalität aber in der Praxis umgesetzt werden soll, darüber scheint es aber auch im Vatikan Konflikte und Unstimmigkeiten zu geben. So hört man aus der konservativen Ecke, etwa vom deutschen Kurienkardinal Müller oder dem jüngst verstorbenen ehemaligen Finanzchef George Pell, gegen die Weltsynode die gleichen Kommentare und Befürchtungen, die sonst gegenüber Deutschlands "Synodalem Weg" geäußert wurden. Der Prozess würde die Autorität der Bischöfe untergraben und im Konflikt mit dem Kirchenrecht stehen, um nur zwei Beispiele anzuführen.

Brandbrief an die Bischöfe

Papst Franziskus begrüßt Jean-Claude Hollerich (l), neben ihnen steht Kardinal Mario Grech, Generalsekretär der Bischofssynode / © Vatican Media/Romano Siciliani/ (KNA)
Papst Franziskus begrüßt Jean-Claude Hollerich (l), neben ihnen steht Kardinal Mario Grech, Generalsekretär der Bischofssynode / © Vatican Media/Romano Siciliani/ ( KNA )

Dass dieser Konflikt aber tiefere Gräben zieht und nicht nur aus der üblichen rechten Ecke des Vatikans kommt, zeigt ein Schreiben, das diesen Montagmorgen überraschend von den Organisatoren der Synode – den Kardinälen Grech und Hollerich, beide nicht als Konservative bekannt – in alle Welt geschickt wurde. Manche sprechen von einem "Brandbrief". Die Bistümer und Bischofskonferenzen mögen sich hüten, nicht mit vorgefertigten Reformzielen und Agenden in den Prozess zu gehen, das widerspreche der Grundidee von Synodalität. Die Organisatoren kritisieren also an ihrem eigenen Prozess das gleiche, was sonst den Reformern in Deutschland vorgeworfen wird.

Versöhnlichere Töne schlägt dann doch der kanadische Kurienkardinal Michael Czerny an, der bei der letzten Vatikansynode 2019 als Sondersekretär fungierte. Gegenüber der "Herder Korrespondenz" sagte er in müsse mit Blick auf den Synodalen Weg "ein harmonisches Verhältnis zu den synodalen Prozessen weltweit entwickeln." Auf dem Papier scheint das ja auch gar nicht so schwierig, da die Herausforderungen und Probleme vor der die deutsche Kirche steht, die gleichen sind, die den Vatikan zur Weltsynode erwarten.

Der Grundkonflikt zwischen Reformern und Konservativen im Vatikan wie in der Weltkirche wird aber nicht so leicht aufzulösen sein, wie der Vatikanjournalist Marco Politi im DOMRADIO.DE-Interview bewertet: "Das Problem ist, dass es keine breite Reformbasis in der Kirche gibt. Es gibt Elemente, es Bischöfe, Theologen, Episkopate wie die Bischöfe in Deutschland, die dafür sind. Aber auch dort stehen nicht alle stramm hinter dem Reformprojekt."

Weltsynode 2021-2024

Mit der Weltsynode hat Papst Franziskus in der katholischen Kirche etwas Neues geschaffen. Erstmals werden bei einer Synode Nicht-Bischöfe und Nicht-Priester im großen Umfang ein Stimmrecht haben, darunter auch Frauen.

Inhaltlich soll es vor allem um neue Wege der Mitwirkung der kirchlichen Basis bei wichtigen Entscheidungen in der katholischen Kirche gehen. Obwohl erstmals auch nicht geweihte Männer und Frauen ein Stimmrecht haben, handelt es sich kirchenrechtlich um eine Bischofssynode.

Eröffnung der Weltsynode im Oktober 2021 / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)
Eröffnung der Weltsynode im Oktober 2021 / © Vatican Media/Romano Siciliani ( KNA )
Quelle:
DR