Vatikan-Staatsanwalt will hohe Haftstrafen im Finanzprozess

Kardinal Becciu muss um seine Freiheit bangen

Nach zwei Jahren ist in dem großen Finanzprozess im Vatikan ein Ende in Sicht. Im Zentrum steht der angeklagte Kardinal Angelo Becciu. Ihm könnten sieben Jahre Haft blühen. Das Urteil wird voraussichtlich im Dezember gesprochen.

Autor/in:
Von Anita Hirschbeck
Kardinal Giovanni Angelo Becciu / © Romano Siciliani (KNA)
Kardinal Giovanni Angelo Becciu / © Romano Siciliani ( KNA )

Sieben Jahre und drei Monate Haft drohen dem italienischen Kardinal Angelo Becciu. Seit zwei Jahren steht der
heute 75-Jährige im Vatikan vor Gericht. Ihm wird Veruntreuung und Amtsmissbrauch vorgeworfen.

Alessandro Diddi, Professor für Strafprozessrecht an der Universität von Kalabrien, Hauptstrafverfolger im Vatikan, beim Gerichtsprozess zum vatikanischen Finanzskandal im Staatssekretariat am 9. März 2023 im Vatikan. / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)
Alessandro Diddi, Professor für Strafprozessrecht an der Universität von Kalabrien, Hauptstrafverfolger im Vatikan, beim Gerichtsprozess zum vatikanischen Finanzskandal im Staatssekretariat am 9. März 2023 im Vatikan. / © Vatican Media/Romano Siciliani ( KNA )

Der vatikanische Staatsanwalt Alessandro Diddi forderte am Mittwoch des Weiteren eine Geldstrafe von rund 10.000 Euro sowie die Beschlagnahmung von Vermögenswerten in Höhe von 14 Millionen Euro.

Für die neun weiteren Angeklagten forderte er ebenfalls Freiheitsstrafen, auch für den Schweizer Finanzexperten Rene Brülhart. Der frühere Direktor der vatikanischen Finanzinformationsbehörde AIF soll laut Diddis Plädoyer drei Jahre und acht Monate ins Gefängnis.

Hochspekulative Geschäfte

Die Aufmerksamkeit konzentriert sich jedoch auf den Kardinal, was mit seiner hervorgehobenen Stellung im Vatikan zu tun hat. Von Mai 2011 bis Juni 2018 hatte er als sogenannter Substitut die zweithöchste Position in der zentralen Kirchenleitungsbehörde inne, dem Staatssekretariat.

Kardinal Giovanni Angelo Becciu / © Paul Haring/CNS photo (KNA)
Kardinal Giovanni Angelo Becciu / © Paul Haring/CNS photo ( KNA )

In dieser Zeit soll er hochspekulative Geschäfte eingegangen sein und dabei kirchliche Gelder vergeudet haben, die wohltätigen Zwecken zugute hätten kommen können.

Von Immobilien bis Luxusgüter

Die Vorwürfe gegen Becciu lassen sich in drei Hauptstränge gliedern. Zum einen geht es um die Finanzierung einer Londoner Geschäftsimmobilie, die das Staatssekretariat ab 2014 als Anlageobjekt für einen dreistelligen Millionenbetrag erwarb. Später wurde die Immobilie unter hohen Verlusten wieder verkauft. Der Schaden für den Vatikan soll zwischen 139 und 189 Millionen Euro liegen.

Daneben soll es Unregelmäßigkeiten bei Überweisungen in Beccius Heimatbistum auf Sardinien und an die dortige Caritas gegeben haben. Es geht um 225.000 Euro. Hier sollen auch Familienangehörige des Kardinals beteiligt gewesen sein.

Zudem soll Becciu eine Bekannte mit viel Geld versorgt haben. Er brachte sie als vorgebliche geopolitische Expertin mit dem Vatikan in Kontakt. Laut Anklage ließ das Staatssekretariat der Frau 575.000 Euro zukommen, um eine entführte Ordensschwester in Mali zu befreien. Statt für diesen Zweck habe die angebliche Expertin das Geld aber für Luxusgüter und Urlaube ausgegeben.

Becciu schickt Anwälte vor

Becciu hat alle Anschuldigungen wiederholt zurückgewiesen, seine Unschuld beteuert und von Kampagnen gegen seine Person gesprochen. "Ich fühle mich als Mensch und als Priester verunstaltet", teilte er am Dienstag mit. Viele Verhandlungstage hat er persönlich mitverfolgt. Am Mittwoch jedoch fehlte er vor Gericht und ließ sich von seinen Anwälten vertreten.

Die haben im Lauf des Prozesses erklärt, ihr Mandant habe sich an die Vorgaben seiner Vorgesetzten gehalten - also des Kardinalstaatssekretärs und des Papstes; oder aber er sei den Vorschlägen von Untergebenen gefolgt - insbesondere des früheren Verwaltungsleiters im Staatssekretariat Alberto Perlasca. Dieser tritt in dem Prozess als wichtiger Zeuge der Anklage sowie als geschädigte Partei auf.

Finanzskandale im Vatikan

Sollte es zu einer Verurteilung Beccius kommen, wäre das der erste Fall eines von einem Vatikangericht wegen Finanzdelikten schuldig gesprochenen Kardinals. Haftstrafen gegen andere Führungspersonen hat es allerdings schon gegeben.

Petersdom im Vatikan / © ArtMediaFactory (shutterstock)
Petersdom im Vatikan / © ArtMediaFactory ( shutterstock )

Anfang 2021 wurden der ehemalige Chef der Vatikanbank IOR, Angelo Caloia, und dessen Rechtsberater Gabriele Liuzzo wegen Geldwäsche und Unterschlagung zu acht Jahren und elf Monaten verurteilt. Im Berufungsverfahren setzten vatikanische Richter das Strafmaß auf acht Jahre und sechs Monate leicht herab.

Franziskus räumt auf

Dass es im Vatikan überhaupt derartige Prozesse gibt, liegt auch an Papst Franziskus, der das System nach und nach zu mehr Rechtsstaatlichkeit hinführt.

In Sachen Becciu wurde Franziskus 2020 aktiv: Er entließ den Sarden von seinem damaligen Posten als Leiter der Heiligsprechungsbehörde und entzog ihm die mit der Kardinalswürde verbundenen Rechte; dazu zählt etwa die Wahl eines neuen Papstes.

Entscheidung im Dezember

Ob es in dem Fall tatsächlich zur Verurteilung und Verhaftung kommt, wird sich vermutlich im Dezember herausstellen. Der Vorsitzende Richter Giuseppe Pignatone will das Urteil vor Weihnachten sprechen. Was dem Kardinal dann genau blüht, ist ungewiss.

Im Vatikan gibt es jedenfalls einige wenige Haftzellen. Darin saß unter anderem der frühere Kammerdiener von Papst Benedikt XVI., Paolo Gabriele, ein. Im sogenannten "Vatileaks-Fall" hatte er vertrauliche Unterlagen vom päpstlichen Schreibtisch weitergegeben. Das vatikanische Gericht verurteilte ihn deshalb im Oktober 2012 zu 18 Monaten Haft. Benedikt begnadigte ihn nur einige Wochen später.

Vatikanisches Strafrecht

Das vatikanische Strafrecht entspricht in großen Teilen dem alten italienischen Strafrecht von 1889, dem sogenannten Codice Zanardelli. Dieses Gesetzeswerk hatte der Vatikanstaat bei seiner Gründung 1929 übernommen.

Damit ist es nach Aussage von Experten ein vorrangig "inquisitorisches System", in dem der Richter eine prominentere Rolle spielt und sich stark in die Beweisführung einmischen kann. Zudem wird bei Strafprozessen im Vatikanstaat mehr schriftlich und weniger mündlich verhandelt als in anderen Ländern.

Justiz Kirche Kirchenasyl Kirchenrecht Gericht Rechtsprechung / © manfredxy  (shutterstock)
Justiz Kirche Kirchenasyl Kirchenrecht Gericht Rechtsprechung / © manfredxy ( shutterstock )
Quelle:
KNA