Zentralrat der Muslime zum Tag der deutschen Einheit

"Unsere Heimat ist unsere Demokratie"

Am deutschen Nationalfeiertag wird nicht nur die deutsche Einheit gefeiert, bundesweit öffnen auch Moscheen ihre Türen. Darin liegt eine große Chance, meint Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland.

Besucher stehen am Tag der offenen Moschee in der Ditib Zentralmoschee in Köln / © Henning Kaiser (dpa)
Besucher stehen am Tag der offenen Moschee in der Ditib Zentralmoschee in Köln / © Henning Kaiser ( dpa )

DOMRADIO.DE: Der Tag der deutschen Einheit ist nicht nur deutscher Nationalfeiertag, sondern seit über 20 Jahren auch Tag der offenen Moschee. In diesem Jahr heißt das: "Menschen machen Heimat/en". Heimat - was ist das in Ihren Augen?

Aiman Mazyek (Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland): Bei Heimat denke ich an meine Familie. Ich denke an die Zeit der Kindheit, der Jugend, des Studiums und der Schule. Ich denke an Geborgenheit, ein Gefühl der Sicherheit, ein Gefühl der Vertrautheit und auch an die Sprache – nicht nur an Deutsch, meine Muttersprache, sondern auch an den Dialekt in Aachen, denn da komme ich her. All das ist etwas, das das heimatliche Gefühle bei mir insgesamt ausmacht.

DOMRADIO.DE: Kann man denn auch mehr als eine Heimat haben?

Mazyek: Sicherlich kann man Herkunft und auch Bezugsquellen oder -orte haben. Dann von Heimaten zu sprechen, ist durchaus angemessen für mich. Ich persönlich verbinde mit Heimat eine Region und eine bestimmte Zeit. Ich habe zum Beispiel einen Teil meiner Kindheit, sechs Jahre etwa, im Bergischen Land verbracht. Und wenn man mich fragt, ist Heimat nur Aachen, dann würde ich sagen, Remscheid gehört mit dazu.

DOMRADIO.DE: Nun ist das Wort Heimat auch zu einer Art Kampfbegriff geworden, der nur allzu oft zur Abgrenzung von religiösen und ethischen Minderheiten benutzt wird. Was kann man dem entgegensetzen?

Mazyek: Wir leben in der Tat in gesellschaftlich sehr aufgeheizten Zeiten. Der Begriff "Heimat" wird zur Abgrenzung und Ausgrenzung missbraucht, er wird instrumentalisiert von Nationalisten, von Extremisten. Er kann falsch eingesetzt werden. Der Tag der Deutschen Einheit ist aber ein Tag, an dem wir uns demütig und dankbar daran erinnern, dass wir auf bestimmten Ebenen einen Zusammenhalt und eine Solidarität geschaffen haben, die wir natürlich ausbauen müssen.

Es gibt Interessen, die eine Spaltung wollen. Und diese Form von Heimat im Sinne der Abgrenzung lehnen wir ab. Heimat ist für uns ein Ort des Zusammenhalts, des friedvollen Zusammenstehens in unserem Heimatland. Das wollen wir auch heute zum Ausdruck bringen.

DOMRADIO.DE: Erst vor einigen Wochen haben Sie ja mehr Polizeischutz für Moscheen in Deutschland gefordert. Die Gefahrensituation für muslimische Einrichtungen habe sich grundlegend verändert, haben Sie damals gesagt. Ist das nicht ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft, dass Gotteshäuser unter Polizeischutz gestellt werden müssen? Wie konnte es so weit kommen?

Mazyek: Es gibt durchaus eine weltweite Entwicklung, die Globalisierung und die Akzeptanz von Vielfalt und einer bunten Gesellschaft von einer bestimmten Minderheit nicht zu akzeptieren. Das ist eine Gefahr, die sich zunehmend selbstbewusster ausdrückt. Das heißt, die Anzahl verbaler Hassbotschaften und sprachlicher Entgleisungen ist gestiegen und die Gewalt von Sprache mündet am Ende immer in physische Gewalt. Genau das erleben wir bei Übergriffen auf Muslime und Juden, Andersdenkende und Andersaussehende.

Die Tatsache, dass wir mehr Sicherheit und Schutz fordern, heißt nicht verallgemeinernd, dass in unserem Land mehr Unfrieden herrscht. Die absolute Mehrheit der Gesellschaft ist solidarisch. Aber wir müssen dafür auch mehr auf die Straße gehen, wir müssen uns noch mehr dazu bekennen, wir müssen noch offensiver und selbstbewusster diese Position formulieren und nicht sagen, ach, das wird schon. Wir brauchen einfach eine viel stärkere Sichtbarmachung dieser Solidarität. Und ich finde, es gibt keinen besseren Tag dafür als den Tag der Deutschen Einheit.

DOMRADIO.DE: Nun ist ja aber auch der Tag der offenen Moschee. Seit 22 Jahren gibt es ihn. Warum ist dieser Tag damals wie heute so wichtig?

Mazyek: Wir Muslime müssen mehr Schwarz-Rot-Gold mit Leben füllen. Ich vermisse da auch den Einsatz von uns deutschen Muslimen, die hier integriert sind. Die müssen aus ihrem Schneckenhaus rauskommen und sichtbarer darstellen, dass Sie Teil dieses Landes sind. Und dafür gibt es am Tag der Deutschen Einheit und am Tag der offenen Moschee eine Chance.

Das Wichtige ist, dass wir sagen, unsere Heimat im geistigen Sinne ist unsere Demokratie. Alles Nationalistische und Völkische zerstört unsere Heimat. Eine Heimat ohne Demokratie ist für uns nicht vorstellbar. Und eine Demokratie ohne Demokraten erst recht nicht. Dazu bekennen wir uns. Das ist nicht irgendetwas Theoretisches, sondern etwas sehr Handfestes. Das zum Ausdruck zu bringen, wünsche ich mir viel stärker von den muslimischen Deutschen. 

Das Interview führte Moritz Dege.


Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime / © Alexander Heinl (dpa)
Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime / © Alexander Heinl ( dpa )
Quelle:
DR