Provinzial Kreutzwald: 800 Jahre Dominikaner in Deutschland

"Unser Leben muss überzeugen"

Seit 800 Jahren wirken die Dominikaner in Deutschland. Über die wechselvolle Geschichte und die Herausforderungen des Ordens heute spricht Pater Peter Kreutzwald, Provinzial der Dominikanerprovinz Teutonia.

Dominikaner in der Kirche  / © Thomas Müller (KNA)
Dominikaner in der Kirche / © Thomas Müller ( KNA )

KNA: Werden die Dominikaner ihren runden Geburtstag trotz Corona feiern?

Pater Peter Kreutzwald (Provinzial der Dominikanerprovinz Teutonia): Seit 800 Jahren gibt es Dominikaner in Köln und damit wahrscheinlich auch Dominikaner in der Ordensprovinz Teutonia, die im heutigen Verständnis Deutschland ohne Bayern und Baden-Württemberg umfasst. Somit feiert unsere Provinz ebenfalls in diesem Jahr runden Geburtstag. Ihren Namen hat sie seit damals behalten: Weil das Verwaltungsgebiet identisch war, haben die Dominikaner mit "Teutonia" pragmatisch die Bezeichnung des damaligen Königreichs übernommen.

Vor fünf Jahren, 2016, haben wir den 800. Gründungstag des gesamten Dominikanerordens groß gefeiert. Deshalb wollten wir unser Provinzjubiläum in diesem Jahr eher auf kleiner Flamme begehen. Aber wegen Corona ist diese nun noch ein bisschen kleiner als geplant: Einige Veranstaltungen zum Jubiläum sind leider ausgefallen, und eine Vorlesungsreihe zur Anfangsphase 1221 findet coronabedingt nur online statt. Daher freuen wir uns, am Pfingstmontag in St. Andreas in Köln einen öffentlichen Festgottesdienst zu feiern. Wir planen weitere Veranstaltungen, wissen natürlich nicht, ob sie stattfinden können.

Darüber hinaus nehmen wir unser Jubiläum zum Anlass, in die Zukunft zu blicken für weitere feierliche Anlässe: Gerade denken wir mit der süddeutsch-österreichischen Dominikanerprovinz engagiert über eine Fusion nach.

KNA: Blicken wir kurz zurück - 800 Jahre sind eine lange Zeit. Was sind die wichtigsten Veränderungen, die der Orden hierzulande durchlaufen hat?

Kreutzwald: Darüber könnte man Bände schreiben, und manche
Dominikaner tun das wahrscheinlich gerade (lacht)... Aber ernsthaft: Der Anfang unserer Brüder 1221 in Köln löste eine Entwicklung im kulturellen und wissenschaftlichen Bereich aus, die wir bis heute spüren. 1248 richteten die Dominikaner in Köln ein Generalstudium ein, einer der ersten Professoren war Albertus Magnus, und Thomas von Aquin wurde sein Schüler. Beiden ist es zu verdanken, dass Aristoteles und sein Denken im christlichen Europa wiederentdeckt wurden. Das Generalstudium der Dominikaner wurde darüber hinaus eine Keimzelle der Kölner Universität.

Was war noch einschneidend? Natürlich die Reformation, die im 16. Jahrhundert hier in Deutschland startete. Mit der Säkularisation im Laufe des 19. Jahrhunderts mussten wir wie alle Orden unsere Klöster und Konvente aufgeben und durften viele Jahre nicht öffentlich tätig sein. Nach dem Ende des sogenannten Kulturkampfes haben wir ab 1895 wieder angefangen, in der Provinz Teutonia neue Konvente zu gründen und auch in Köln wieder aktiv zu werden. Der Nationalsozialismus war auch für Dominikaner unserer Provinz ein Einschnitt, der Narben hinterlassen hat. Ich will nicht behaupten, dass sich Brüder damals durchweg beispielhaft und aufrecht hervorgetan haben. Dennoch gibt es Dominikaner wie Pater Aurelius Arkenau, der posthum zum Gerechten unter den Völkern ernannt wurde. Auch Pater Odilo Braun, Pater Laurentius Siemer und Pater Titus Horten waren im Widerstand gegen das NS-Regime aktiv und wurden dafür inhaftiert.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Dominikanerkloster in Walberberg mit seiner Ordenshochschule eine kritische Stimme in gesellschaftspolitischen Debatten der jungen Bundesrepublik. Ich merke gerade, dass mir zu jedem der genannten Punkte weitere Argumente und Geschichten einfallen. Es ist eine Herausforderung, 800 Jahre in wenigen Sätzen zusammenzufassen.

KNA: Früher spielte bei den Dominikanern die Bildung eine große Rolle. Wie wichtig sind Bildung und Predigt heute für den Orden?

Kreutzwald: Ob Ordensmensch oder nicht: Bevor man den Mund öffnet und sich äußert, sollte man nachdenken und bereit sein, abweichende Argumente nachzuvollziehen. Unserer Erfahrung nach kann man das erlernen... (lacht) Sich im Herzen und Hirn weiterzuentwickeln, zu gestalten, zu bilden, und zwar lebenslang, das war von Beginn an Anspruch unserer Gemeinschaft und ist es auch weiterhin.

Für uns gehören die Kraft des Glaubens und der Vernunft zur DNA des Ordens. Genauso wie unser Ziel, gut zu predigen, damit wir Menschen den wohlwollenden Gott nahebringen. Der offizielle Name der
Dominikaner lautet ja auch Predigerorden. Predigt macht unseren Kern aus, und zwar in allen Formen der Begegnung mit Menschen. Der Heilige Dominikus hat einmal gesagt, die wichtigste Predigt ist der Konvent, also das gemeinsame Leben der Brüder - das muss überzeugen. Und wenn man sich zudem noch nachvollziehbar mitteilen kann, ist das natürlich hilfreich. Dafür muss man aber auch gebildet sein, also bereit sein dazuzulernen und sich auseinanderzusetzen.

KNA: Sehr bekannt war Ihre Hochschule in Walberberg, die in den frühen 70ger Jahren aufgegeben wurde. Wie sieht es heute in Sachen Bildung aus?

Kreutzwald: Wir haben nach der Schließung der Hochschule provinzweit autarke Institute neu gegründet - eines für Predigtlehre, eines für Geschichtsforschung, sowie ein Institut mit sozialethischem und fundamentaltheologischem Schwerpunkt. Auch wird die umfangreiche Bibliothek nun in Köln weitergeführt. Ein weiterer Schritt ist, dass wir uns seit einigen Jahren stark bei der Entwicklung des Campus für Theologie und Spiritualität in Berlin engagieren - ein Zusammenschluss verschiedener Ordensgemeinschaften und geistlicher Bewegungen wie der Schönstatt-Bewegung, der Alexianer und dem Deutschen Orden mit seinen Werken.

Dabei ergänzen sich die teilnehmenden Orden. Denn die einen sind finanziell besser ausgestattet, die anderen verfügen über mehr Manpower, was Forschung und Lehre angeht. Auch in den Zielen ergänzen wir uns: Die einen möchten den ordenseigenen «Spirit» in Aus- und Fortbildungen an ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Krankenhäusern und Altenheimen weitergeben, die anderen haben Interesse an ordenstheologischer Forschung und Lehre. Im April wurde der Trägerverein gegründet. Ursprünglich wollten wir auch andere Orden, die in Deutschland Hochschulen unterhalten, mit ins Boot holen, wie die Pallottiner, die Steyler oder die Jesuiten. Das ist uns leider bisher noch nicht gelungen.

KNA: Neben der Bildung - wo liegen weitere Schwerpunkte des dominikanischen Dienstes?

Kreutzwald: Ungefähr ein Drittel der Brüder unserer Provinz ist wissenschaftlich tätig, forscht, lehrt und publiziert. Ein weiteres Drittel begleitet Menschen in speziellen Lebenssituationen, beispielsweise in der Gefängnis-, Hochschul- und Krankenhausseelsorge. Und ein weiteres Drittel arbeitet als Pfarrer in urbanen Gemeinden, etwa in Köln, Berlin und Hamburg.

KNA: Was würde ohne die Dominikaner in der heutigen Ordenslandschaft fehlen?

Kreutzwald: Wenn ich auf die 800 Jahre zurückschaue, erkenne ich, dass ohne uns Dominikaner sicherlich eine profunde wissenschaftliche Stimme fehlte. Zum Beispiel wirken die Beiträge des Thomas von Aquin in der Theologie bis heute nach. Die Dominikaner haben die "Summa", die Gesamtausgabe ihres Ordensbruders vom Lateinischen ins Deutsche übersetzt und kommentiert. Diese "Thomas-Ausgabe" nimmt in der Philosophie, in der Dogmatik und Sozialethik weiterhin eine profilierte Position ein, denn Thomas hat sich mit tief menschlichen Fragen auseinandergesetzt, die zeitlos sind.

Heute engagieren wir uns, um in der direkten Begegnung mit Menschen Zeugnisse für unseren Glauben abzulegen - in Worten, Noten, Versen und Taten, analog und digital. Bei allem bin ich überzeugt: Man sollte sich nicht überbewerten und nicht zu wichtig nehmen (lacht).

KNA: Woran erkennt man einen Dominikaner außer am schwarz-weißen Habit? Gibt es ein Alleinstellungsmerkmal, das Sie von anderen Orden unterscheidet?

Kreutzwald: Die Dominikaner gehören zu den Bettelorden, welche - zum Beispiel anders als zurückgezogen lebende Benediktiner - in die Städte mitten unter die Menschen gegangen sind, in wissenschaftlichen Zentren. Wir Dominikaner wollen - ähnlich wie Jesuiten - Glauben und Vernunft miteinander verbinden. Im Unterschied zu ihnen pflegen wir ein intensives Gemeinschaftsleben.

KNA: Mit welchen Gefühlen blicken sie in die Zukunft?

Kreutzwald: In der Provinz Teutonia sind wir knapp 100 Brüder, davon einige in der Ausbildung. Zurzeit orientieren sich zwei Anwärter im Postulat, ein Bruder im Noviziat und zehn Brüder leben im Studentat. Verglichen mit manchen Orden dürfen wir uns also über Ordensnachwuchs freuen. Absolut gesehen schrumpfen wir aber; mehr Brüder sterben als neue dazukommen.

KNA: Sie haben eingangs die mögliche Fusion der Provinzen angesprochen. Würde sie der Zukunftssicherung dienen?

Kreutzwald: Wir haben in beiden Provinzen gerade einen gemeinsamen Prozess zur Orientierung begonnen, zur Fokussierung unseres zukünftigen Profils: Wo werden wir gebraucht? Wie wollen wir in Zukunft für Menschen da sein? Welche Schwerpunkte wollen wir dabei setzen? Und wo wollen wir etwas sein lassen? Corona kommt uns natürlich auch dabei in die Quere. Ein Austausch per Zoom ist für alle Brüder nicht dasselbe wie eine persönliche Begegnung. Aber wir werden unseren dominikanischen Weg in die Zukunft gemeinsam finden.

Das Interview führte Angelika Prauß.

 

Pater Peter Kreutzwald / © HH (Erzbistum Hamburg)
Quelle:
KNA