Um die Ratzinger-Habilitation gibt es Diskussionen

In einem anderen Licht

Das "Drama" um Joseph Ratzingers Habilitation soll sich ziemlich anders abgespielt haben als von ihm erinnert und in Biografien beschrieben. Das legen erstmals veröffentlichte Dokumente nahe. Wer muss jetzt was korrigieren?

Autor/in:
Christoph Renzikowski
Karl Lehmann (l.), Bischof von Mainz, und Kardinal Joseph Ratzinger im Jahr 1987 (KNA)
Karl Lehmann (l.), Bischof von Mainz, und Kardinal Joseph Ratzinger im Jahr 1987 / ( KNA )

Richard Heinzmann ist ein in Ehren ergrauter Mann. Im vergangenen Herbst beging der Ehrenpräsident der Eugen-Biser-Stiftung seinen 90. Geburtstag.

25 Jahre lehrte er als Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. 1993 begrub er seinen Vorgänger als Leiter des Martin-Grabmann-Instituts zur Erforschung der Mittelalterlichen Theologie und Philosophie, Michael Schmaus.

Veröffentlichung der Zeitschrift "Publik-Forum"

Aber für diesen galt es nun noch einen allerletzten Dienst zu tun. Denn Joseph Ratzinger und seine Anhänger, so sieht es Heinzmann, hätten seinem Lehrer Schmaus übel mitgespielt und dessen Ruf über Jahre hinweg beschädigt.

Karl Lehmann (l.), Bischof von Mainz, und Kardinal Joseph Ratzinger im Jahr 1987 (KNA)
Karl Lehmann (l.), Bischof von Mainz, und Kardinal Joseph Ratzinger im Jahr 1987 / ( KNA )

Vergangene Woche ermöglichte ihm die Zeitschrift "Publik-Forum" dazu eine Veröffentlichung. Heinzmann präsentierte die beiden Gutachten, die Schmaus als Zweitkorrektor von Ratzingers Habilitation 1955 und 1956 verfasste und die bei ihm als Durchschlag seit Langem in der Schublade lagen. Hinter der Bezahlschranke lassen sich die Dokumente auf der Internetseite der Zeitschrift im Wortlaut nachlesen, nebst einer von Heinzmann verfassten Lesehilfe.

Die beiden Gutachten führen zurück zum Beginn von Ratzingers akademischer Karriere. Im Herbst 1952 wird der 25-Jährige als Dozent ans Freisinger Priesterseminar berufen, dann geht es blitzschnell: Sommer 1953 Promotion mit einer Preisarbeit, summa cum laude, nur ein Jahr später Lehrstuhlvertretung in Dogmatik. "Schon die ersten Vorlesungen werden zu einem Genuß", notiert die Seminarchronik. A star is born.

Es geht um Ratzingers Doktorarbeit

Doch der Stern am Theologenhimmel droht schon wieder zu verglühen, bevor er so richtig aufgegangen ist. Es beginnt, was Ratzinger in seinen 1977 erschienenen Memoiren als "Drama" bezeichnet. Auf Anregung seines Doktorvaters Gottlieb Söhngen verfasst Ratzinger eine Habilitationsschrift über den mittelalterlichen Franziskanergelehrten Bonaventura. Der erste Anlauf 1955 geht daneben, weil Söhngens Kontrahent in München "schwere Bedenken" anmeldet: Michael Schmaus.

Erst eine stark verkürzte und veränderte Version der Arbeit findet einige Monate später auch dessen Zustimmung.

2006 veröffentlichte das Archiv des Erzbistums München und Freising einen Schriftenband zu Ratzingers Münchner Zeit. Da war er gerade zum Papst gewählt worden, der Heimatbesuch in Bayern stand vor der Tür.

Symbolbild: Dokumente auf einem Schreibtisch / © JARIRIYAWAT (shutterstock)
Symbolbild: Dokumente auf einem Schreibtisch / © JARIRIYAWAT ( shutterstock )

In dem voluminösen Band schreibt Thomas Forstner, wie schwierig die Quellenlage insbesondere zu Ratzingers Freisinger Zeit und seinen frühen Münchner Jahren sei. "Hier ist die Forschung weitgehend auf das von Joseph Ratzinger selbst Veröffentlichte beschränkt." Dies ist nun nicht mehr der Fall.

Ein Blick auf das erste, weitaus längere und kritischere Gutachten: Schmaus würdigt Ratzinger knapp "als Denker von ursprünglicher Kraft", attestiert ihm eine "glänzende Formulierungsfähigkeit", um dann ausführlich auf Mängel zu sprechen zu kommen: überhebliche Abwertung anderer Forscher, Voreingenommenheit, Lücken in der verwendeten Literatur, Zitationsfehler.

Vorbehalt von Schmaus gegen Ratzingers Methode

"Sehr unangenehm fällt auf, dass R. glaubt, zu allen Problemen, die in seiner Arbeit auch nur von Ferne in Sicht kommen, und zwar sowohl zu historischen wie zu systematischen, ein Urteil abgeben, Anregungen und Ratschläge erteilen zu müssen. (...) Solche gehäuften Anweisungen nimmt man aus dem Munde eines greisen Geheimrates mit nachsichtigem und verstehenden Lächeln entgegen. Im Munde eines jungen Gelehrten sind sie kaum erträglich, mag der Autor noch so begabt sein."

Der gravierendste Vorbehalt von Schmaus aber richtet sich gegen Ratzingers Methode. Dieser stelle erst Thesen auf und suche sich dann die passenden Belege dazu. "Jene Stellen hingegen, die seinen Hauptthesen abträglich sind, werden von ihm entweder übergangen oder für nebensächlich erklärt." Das so erzielte Ergebnis sei einseitig und könne daher der Fakultät nicht zur Annahme empfohlen werden.

"Geistreiche Fahrlässigkeit", lautet das Urteil des Zweitgutachters.

1997 veröffentlichte Joseph Ratzinger seine Lebenserinnerungen. Da war Schmaus schon vier Jahre tot und konnte nicht mehr reagieren.

Ratzinger zeichnete den Zweitkorrektor als einen, an dem seine wissenschaftliche Laufbahn um ein Haar gescheitert wäre. Als Motiv dafür vermutete er weniger wissenschaftlich begründete Einwände, sondern persönliche Animositäten. Schmaus habe "vielleicht auch von Freising ärgerliche Gerüchte über die Modernität meiner Theologie" gehört. Ihm sei wohl gegen den Strich gegangen, dass er, Ratzinger, diese Arbeit nicht bei ihm, sondern Söhngen verfasst habe.

Alles haltlose Unterstellungen?

Nur knapp sei er letztlich dem "Verdammungsurteil" von Schmaus entronnen, der seinerseits mit seinen wissenschaftlichen Positionen "fast ganz auf dem Stand der Vorkriegszeit stehengeblieben" und "die großen neuen Erkenntnisse überhaupt nicht mehr wahrgenommen" habe.

Der damalige Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Joseph Ratzinger, während einer Pressekonferenz im Vatikan im Jahr 1986 / © ansa/epa/ANSA (dpa)
Der damalige Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Joseph Ratzinger, während einer Pressekonferenz im Vatikan im Jahr 1986 / © ansa/epa/ANSA ( dpa )

Für Heinzmann sind dies alles haltlose Unterstellungen. Schmaus habe Ratzinger nicht stoppen, sondern ganz im Gegenteil dessen wissenschaftliche Laufbahn retten wollen. Gerade auch durch schonungslose Kritik. Wer die beiden Gutachten dazu lese, könne zu keinem anderen Ergebnis kommen, ist er überzeugt.

Tatsächlich ist es den Dokumenten zufolge Schmaus, der Ratzinger den Ausweg weist. Die, wie Ratzinger schreibt, "rettende Idee", auch aus Zeitgründen nur den dritten, am wenigsten beanstandeten Teil als eigenständige Arbeit neu vorzulegen, stammt von Schmaus. Mit der "neuen und ausgereiften Untersuchung" ist er zufrieden. Auch wenn Ratzinger großteils Materialien aus seiner ersten Arbeit verwendet habe, stünden sie "in der neuen Untersuchung in einem anderen Licht".

Gibt es Korrekturbedarf?

Inzwischen gibt es erste Reaktionen. Der Kölner Ratzinger-Experte Manuel Schlögl begrüßt in einer Stellungnahme auf communio.de Heinzmanns Initiative, weil die genauen Gründe für Schmaus' Ablehnung von Ratzingers Habilitationsschrift "bis heute immer wieder ein Spekulationsobjekt" seien.

Einen Korrekturbedarf am bisherigen Narrativ kann Schlögl nicht erkennen. Vielmehr sei die journalistische Ausdeutung der Dokumente, unter anderem als "geschönte Memoiren", von der Absicht getrieben, den verstorbenen Papst wissenschaftlich wie moralisch zu diskreditieren.

Es ist indes Heinzmann selbst, der auf Akte der Wiedergutmachung und Richtigstellung drängt. Von Ratzingers Werkausgabe bis hinauf zum Vatikan. Und auch vonseiten einiger Biografen wie Peter Seewald oder Elio Guerriero, die Überlieferungen ungeprüft übernommen oder Ratzingers Darstellung von Schmaus als seinem Gegenspieler immer weiter zugespitzt hätten.

Die wichtigsten Leitlinien des Denkens von Joseph Ratzinger

Benedikt XVI. war der erste Papst der Neuzeit, der freiwillig sein Amt abgab. Dabei berief er sich auf sein Gewissen - obwohl er dieser Instanz stets misstraute und theologisch ganz andere Schwerpunkte setzte. Wie wohl kein Papst vor ihm ist Benedikt XVI. auch auf dem Stuhl Petri ein Theologe geblieben.

Bereits als junger Wissenschaftler gehörte er zu den führenden deutschen Dogmatik-Professoren, die das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) prägten. Später entfremdete er sich immer mehr von seinen Kollegen.

Papst em. Benedikt XVI. am Schreibtisch / © Osservatore Romano/Romano Siciliani (KNA)
Papst em. Benedikt XVI. am Schreibtisch / © Osservatore Romano/Romano Siciliani ( KNA )

 

Quelle:
KNA