Hat Ratzinger einen Teil seiner Memoiren geschönt?

"Publik-Forum" erhebt Vorwürfe

Die Zeitschrift "Publik-Forum" hält dem verstorbenen Papst Benedikt XVI. vor, in seinen Memoiren einen wichtigen Teil seiner Lebensgeschichte geschönt zu haben. Dabei geht es um die Frühzeit von Ratzingers wissenschaftlicher Karriere.

Joseph Ratzinger / © Hermann Volk/Dom- und Diözesanarchiv Mainz (KNA)
Joseph Ratzinger / © Hermann Volk/Dom- und Diözesanarchiv Mainz ( KNA )

Diese bezieht sich vor allem auf die 1950er Jahre. Laut "Publik-Forum" hat sich Joseph Ratzingers Habilitationsverfahren an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität nicht so abgespielt wie von ihm später wiedergegeben. Die bisherige Darstellung müsse korrigiert werden.

"Publik-Forum" veröffentlichte dazu ein bisher nicht im Wortlaut bekanntes Dokument: das Zweitgutachten des renommierten Münchner Theologieprofessors Michael Schmaus vom 26. Mai 1956 zu Ratzingers erstem Habilitationsentwurf.

Schrift zur Verbesserung zurückgegeben worden

1997 beschrieb Ratzinger den Vorgang in seinen Lebenserinnerungen als "Drama". Schmaus habe gegen Form und Inhalt seiner 700 Seiten langen Arbeit starke Vorbehalte gehabt. In einem kurzen Gespräch habe er Ratzinger "sachlich und ohne Emotion eröffnet", dass er sie ablehnen müsse, weil sie nicht wissenschaftlichen Maßstäben genüge.

Der damalige Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Joseph Ratzinger, während einer Pressekonferenz im Vatikan im Jahr 1986 / © ansa/epa/ANSA (dpa)
Der damalige Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Joseph Ratzinger, während einer Pressekonferenz im Vatikan im Jahr 1986 / © ansa/epa/ANSA ( dpa )

Schmaus' kritische Anmerkungen, die vor allem die ersten beiden Teile der Arbeit betroffen hätten, seien einem "Verdammungsurteil" gleichgekommen. In der entscheidenden Fakultätssitzung sei die Schrift aber nicht abgelehnt, sondern zur Verbesserung zurückgegeben worden. Eine zweite, im Wesentlichen aus dem dritten, am wenigsten beanstandeten Teil bestehende und um 500 Seiten kürzere Fassung habe dann auch Schmaus' Zustimmung gefunden und sei angenommen worden.

"Verkehrung der Tatsachen"

Auf den 18 Seiten seines Gutachtens lässt sich die Kritik von Schmaus nun im Detail nachlesen. Ein Haupteinwand richtet sich gegen den Umgang mit Quellen: Ratzingers Thesen seien glänzend formuliert, aber oft ungenügend belegt. Was für eine gegenteilige Meinung spreche, habe Ratzinger "unter die Bank fallen" lassen.

Ratzingers Ausführungen lassen Schmaus als arrivierten, aber in überholten Auffassungen stehengebliebenen Theologen erscheinen, der sich eines jungen Emporkömmlings erwehrt habe. Im nun veröffentlichten Gutachten klingt an, dass Schmaus selbst einen entscheidenden Vorschlag gemacht hat, um Ratzingers Habilitation zu retten.

Laut "Publik-Forum" stammt das Gutachten aus dem Besitz des Schmaus-Schülers Richard Heinzmann (90), der 1956 sein Studium in München begann und später Assistent bei dem angesehenen Professor wurde. Heinzmann selbst schreibt in der Zeitschrift, durch Ratzingers Memoiren sei der falsche Eindruck erweckt worden, Schmaus habe Ratzingers wissenschaftliche Laufbahn verhindern wollen. Diese Darstellung sei auch in späteren Veröffentlichungen Dritter übernommen worden, aber eine "Verkehrung der Tatsachen".

Die wichtigsten Leitlinien des Denkens von Joseph Ratzinger

Benedikt XVI. war der erste Papst der Neuzeit, der freiwillig sein Amt abgab. Dabei berief er sich auf sein Gewissen - obwohl er dieser Instanz stets misstraute und theologisch ganz andere Schwerpunkte setzte. Wie wohl kein Papst vor ihm ist Benedikt XVI. auch auf dem Stuhl Petri ein Theologe geblieben.

Bereits als junger Wissenschaftler gehörte er zu den führenden deutschen Dogmatik-Professoren, die das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) prägten. Später entfremdete er sich immer mehr von seinen Kollegen.

Papst em. Benedikt XVI. am Schreibtisch / © Osservatore Romano/Romano Siciliani (KNA)
Papst em. Benedikt XVI. am Schreibtisch / © Osservatore Romano/Romano Siciliani ( KNA )
Quelle:
KNA