Ukrainische Kirche in der Bredouille

Gericht verhandelt über gesamte Kirchenstruktur

Die Regierung in Kiew zwingt die Ukrainische Orthodoxe Kirche zum völligen Bruch mit dem Kriegsgegner Russland. Doch die wehrt sich. Vor Gericht wird nun unter anderem verhandelt, ob das Hauptstadt-Bistum aufgelöst wird.

Autor/in:
Oliver Hinz
Eine ältere Frau zündet eine Kerze auf einem Kerzenaltar in der ukrainisch-orthodoxen Kathedrale Wladimir in Kiew an (2018). / © Andrey Lomakin/KNA (KNA)
Eine ältere Frau zündet eine Kerze auf einem Kerzenaltar in der ukrainisch-orthodoxen Kathedrale Wladimir in Kiew an (2018). / © Andrey Lomakin/KNA ( KNA )

Die Ukrainische Orthodoxe Kirche (UOK) kämpft aktuell an vielen Fronten. Es geht einerseits um ihre Zukunft in der Ukraine, wo viele Menschen ihr Moskau-Treue vorwerfen und sie deswegen angesichts des russischen Angriffskriegs am liebsten verbieten wollen. Aber auch das Verhältnis der UOK zur kremltreuen Russischen Orthodoxen Kirche (ROK) ist so gestört, dass sogar um Bischöfe gestritten wird.

Traditionell gehörte die UOK zur ROK, wenngleich sie eine weite Autonomie genoss und ihre Bischöfe selbst wählte. Erst Ende Mai 2022, mehr als drei Monate nach der Invasion der russischen Armee, sagte sich die UOK vom orthodoxen Moskauer Patriarchat los. Kurz darauf verlor die UOK de facto ihre Eparchien (Diözesen) in den ostukrainischen Gebieten, die Russland 2014 und 2022 annektierte. Die ROK entriss sie ihr und übernahm sie selbst.

Ukrainischer Bischof floh nach Kiew

Zuletzt floh der ukrainische Bischof Ahafon von der Krim nach Kiew. Er, 1977 in Charkiw geboren, wurde von der UOK im August 2021 zum Bischof von Koktebel an der Südostküste der Krim ernannt, als die ROK die Halbinsel noch der UOK zugestand. Allerdings gefiel Ahafon auf der Krim die rigide russische Herrschaft offenbar nicht. Er ging diesen Sommer zurück nach Kiew.

Der Synode der UOK machte den Bischof Ende Juli zum Vikar der Metropolie Kiew. Darauf reagierte das orthodoxe Moskauer Patriarchat nun. Unter Vorsitz von Patriarch Kyrill I. rügte das Leitungsgremium der ROK am 30. Oktober Ahafon wegen "eigenmächtigen Verlassens seines Dienstortes" und versetzte den 47-Jährigen in den Ruhestand.

Gläubige während eines ukrainisch-orthodoxen Gottesdienstes des Kiewer Patriarchats in der Kathedrale Wladimir in Kiew (2018). / © Andrey Lomakin/KNA (KNA)
Gläubige während eines ukrainisch-orthodoxen Gottesdienstes des Kiewer Patriarchats in der Kathedrale Wladimir in Kiew (2018). / © Andrey Lomakin/KNA ( KNA )

Ahafon habe am 18. Juli online vier Wochen Urlaub aus medizinischen Gründen beantragt, teilte das Moskauer Patriarchat mit. Der Bischof sei dann telefonisch nicht mehr erreichbar gewesen. Er habe einen Teil seines Eigentums verkauft und "Russland verlassen". Freilich gehört die Krim nach Ansicht der Vereinten Nationen de jure weiter zur Ukraine und nicht dem russischen Staat.

Lage im Nordwesten der Ukraine schlecht

Auch ganz im Nordwesten der Ukraine sieht es für die UOK schlecht aus. Etwa 15 Kilometer von der Grenze zu Polen entfernt in der 38.000-Einwohner-Stadt Wolodymyr warfen die Behörden im Oktober die UOK aus ihrer dortigen prächtigen Kathedrale. Sie gehört dem Staat.

Gerichte entschieden, dass die Eparchie sie nicht weiter nutzen darf. Ebenso das dortige Bischofshaus, in dem die Verwaltung der Eparchie untergebracht war. Die Eparchie mietete darauf für Gottesdienste und ihre Verwaltung nach eigenen Angaben andere Räumlichkeiten in der Stadt an.

Der wichtigste Prozess für die UOK läuft vor einem Verwaltungsgericht in Kiew. Der ukrainische Staatsdienst für Ethnopolitik und Gewissensfreiheit, der für Glaubensgemeinschaften zuständig ist, klagt auf Zwangsauflösung des zentralen Leitungsorgans der UOK: der Kiewer Metropolie.

Die Behörde beruft sich auf das im August 2024 vom Parlament verabschiedete "Gesetz über den Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung im Tätigkeitsbereich religiöser Organisationen". In einem Gutachten stellte sie fest, die Metropole Kiew sei weiterhin rechtswidrig mit dem Moskauer Patriarchat verbunden. Denn es reiche nicht aus, dass die UOK 2022 selbst ihre "vollständige Unabhängigkeit und Autonomie" bekundet habe.

Moskauer Patriarchat

Nur die "Autokephalie" oder ein ähnlicher eigenständiger Status mache eine orthodoxe Kirche wirklich unabhängig. Die Autokephalie strebe die UOK aber bis heute nicht an. In dem Gutachten wird überdies beanstandet, dass die UOK nicht gegen die Einverleibung von eigenen Eparchien durch die ROK protestiert habe. Als Beleg für eine andauernde Zugehörigkeit der UOK zur ROK führt die Behörde auch die Website des Moskauer Patriarchats an.

Das Moskauer Patriarchat der ukranisch-orthodoxen Kirche in Kiev beim Gebet (2016) / © home for heroes (shutterstock)
Das Moskauer Patriarchat der ukranisch-orthodoxen Kirche in Kiev beim Gebet (2016) / © home for heroes ( shutterstock )

Dort werde das Oberhaupt der UOK, der Kiewer Metropolit Onufrij, als Mitglied des Heiligen Synods aufgeführt. Tatsächlich hat Onufrij zwar seit Russlands Großinvasion an keiner Sitzung dieses Leitungsgremiums mehr teilgenommen. Aber den völligen Bruch mit dem Moskauer Patriarchat hat er bisher nicht vollzogen, obwohl ihn die Behörde dazu aufgefordert hat.

Das Verwaltungsgericht drückt in dem Prozess bisher nicht aufs Tempo. Die zunächst für den 30. September angesetzte erste Verhandlung wurde auf den 30. Oktober verschoben, weil ein Richter krank war. Mehr als fünf Stunden dauerte der erste Gerichtstermin schließlich. Wichtigstes Ergebnis: Erst am 11. Dezember will das Gericht weiter verhandeln.

1.000 Gläubige sollen sich ans Gericht gewandt haben

Behördenchef Viktor Jelenskyj warf der UOK in einem Interview vor, das Gerichtsverfahren zu verzögern. Die UOK bestreite ein Behördenschreiben erhalten zu haben, obwohl die Kirche auf ihrer Website explizit auf das Dokument reagiert habe. "Sie lügen ständig", so Jelenskyj. Die UOK wolle vor Gericht nicht erklären, "warum sie sich weigern, eine Organisation zu verlassen, die direkt am Krieg gegen die Ukraine beteiligt ist." Im Vorfeld des Prozesses hatte er versichert, alle Pfarreien könnten im Fall der Auflösung der Metropolie als unabhängige Kirchengemeinden fortbestehen. Auch die Religionsausübung sei weiter garantiert.

UOK-Anwalt Nikita Tschekman berichtete in einer Videobotschaft, mehr als 1.000 Gläubige hätten sich ans Gericht gewandt, um als Verfahrensbeteiligte zugelassen zu werden. Ihm zufolge wies das Verwaltungsgericht in einem separaten Verfahren den Antrag von Jelenskyjs Behörde, des ukrainischen Staatsdienstes für Ethnopolitik und Gewissensfreiheit, ab, der Kiewer Metropolie den Zugriff auf ihre Immobilien und Bankkonten zu verwehren.

Die orthodoxe Theologin Natallia Vasilevich rechnet bei einem Urteil gegen die Hauptstadt-Metropolie mit einem landesweiten Dominoeffekt. Alle Pfarreien, Klöster und Bildungseinrichtungen drohten verboten zu werden. Vasilevich koordiniert von Bonn aus die Initiative "Christen gegen den Krieg", die die Entwicklung in der Ukraine, Russland und Belarus täglich dokumentiert und sich für Religionsfreiheit stark macht. Ganz auf die Spitze treibe die ukrainische Regierung den Konflikt nicht, sagte Vasilevich der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Zeichen stehen auf Eskalation

Obwohl die Zeichen auf Eskalation stünden, ergreife die Regierung "keine realistischen Maßnahmen, um die UOK zu verbieten, sondern verzögert das endgültige Verbot". Es sehe so aus, "als wolle sie die UOK in Wirklichkeit gar nicht auflösen, sondern nur Druck auf sie ausüben, indem sie ihr mit dem Verbot droht, damit sie das tut, was die Regierung von ihr verlangt: Schritte zur größeren Unabhängigkeit von der russischen Kirche".

Gleichzeitig gehe die UOK-Spitze davon aus, ein vollständiges Verbot sei eher unrealistisch, "so dass sie keine Angst davor hat", meint die Expertin. "Daher behält sie den Status quo bei und betrachtet die bereits unternommenen Schritte zur Distanzierung von der ROK als ausreichend. Derzeit ist keine der beiden Seiten dieser Konfrontation bereit, radikale Schritte zu unternehmen."

Die Regierung hofft laut Vasilevich, dass der öffentliche Druck und der Druck von Priestern der UOK, die in ihrem täglichen Leben unter diesem Konflikt leiden, die Kirche dazu zwingen werden, den Anweisungen der Regierung zu folgen. Die UOK-Leitung warte derweil weiterhin ab, ob sich die Situation irgendwie lösen lasse.

Quelle:
KNA