Vor 150 Jahren: Maria wird im französischen Pontmain gesehen

Trösterin im bitteren Kriegswinter

​Soziologen sehen Marienerscheinungen in Zusammenhang mit Phasen von Elend, Krieg und Not. So auch in Pontmain: Mitten im harten deutsch-französischen Kriegswinter zeigt sich die Gottesmutter zum Trost in der Bretagne.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Eine verhüllte Marienfigur / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Eine verhüllte Marienfigur / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

Ein gutes Dutzend Jahre sind seit der berühmtesten aller Marienerscheinungen in dem kleinen Pyrenäenort Lourdes vergangen.
Frankreich steckt in einer verzweifelten Lage: Die Preußen rücken im später so genannten Deutsch-Französischen Krieg seit Juli 1870 gnadenlos vor. Seit September ist Paris belagert, Kaiser Napoleon III. abgelöst. Seit Oktober haben die Preußen ihr Oberkommando im Schloss Versailles; die Truppen der Französischen Republik stecken bittere Niederlagen ein. Schon heißt es, die Versorgung der Bevölkerung reiche nur noch für wenige Tage - da geht in Le Mans am 12. Januar 1871 wieder eine entscheidende Schlacht verloren.

Kaum 100 Kilometer entfernt, in dem kleinen Weiler Pontmain am Rand der Bretagne, 40 Kilometer südöstlich vom Mont Saint-Michel, geht am 17. Januar, vor 150 Jahren, ein kalter, aber sonniger Arbeitstag zuende. Edouard und Joseph Barbedette, die beiden jüngeren von drei Söhnen des Hauses - der älteste kämpft als Soldat - helfen dem Vater in ihrer Scheune in der Mitte des Dorfes beim Dreschen des Pferdefutters.

Spaziergang mit Folgen

Als eine Nachbarin zu Besuch kommt, nutzt der zwölfjährige Edouard, Jahrgang 1858 wie die Marienerscheinungen von Lourdes, die willkommene Pause, um frische Luft zu schnappen und nach dem Wetter zu schauen. Da sieht er draußen vor dem Tor und vor dem Hintergrund der kleinen Dorfkirche: eine schöne Frau im Glanz und in blauem Kleid, mit Krone, von drei Sternen umgeben - und sie lächelt.

Der Junge ruft seinen Vater und die Nachbarin; sie sehen nichts. Die beiden rufen die Mutter; sie sieht nichts. Nun stürmt der zehnjährige Bruder Joseph dazu, sieht und ist begeistert: "Eine schöne Frau!" Die Rufe der Jungen ziehen nach und nach die Nachbarn an - doch die Eltern wiegeln ab: Die Jungs meinten wohl, sie sähen etwas - aber tatsächlich sei dort nichts... Bis plötzlich ein zweijähriges Kind auf dem Arm einer Nachbarin anschlägt: "Da!!"

Der Pfarrer wird verständigt und die Ordensschwestern des Ortes. Sie alle sehen nichts - aber urteilen ob der entrückten Freude der Kinder und ihrer lebendigen Berichte: "Sie sehen etwas, das wir Erwachsenen nicht sehen können." Zumal sich alle einig sind: Edouard und Joseph Barbedette sind so fromm, dass sie gar nicht zu lügen imstande sind.

"Nun betet doch, meine Kinder"

Drei Stunden dauert die Erscheinung, genau beschrieben von den beiden Jungen und bezeugt von einigen anderen Dorfkindern. Der Pfarrer orchestriert die Zusammenkunft; gibt an, was jeweils von der Gemeinde zu beten sei. Die Botschaft Marias, die eine unsichtbare Hand nahe der Madonna Buchstabe für Buchstabe in den Himmel schreibt, lautet: "Nun betet doch, meine Kinder. Gott wird euch bald erhören. Mein Sohn lässt sich erweichen."

Weitere Leute, die ins Dorf kommen und sich über die frommen Gesänge wundern, rufen ihnen zu: "Ja, betet - die Preußen sind schon in Laval", 52 Kilometer um Südosten. Das heißt: Der Feind rückt an! Doch die Bewohner von Pontmain bleiben ganz ruhig angesichts ihrer Erscheinung, die dann, gegen neun Uhr abends, den Rückzug antritt.

Waffenstillstand unterzeichnet

Und auch die Angreifer rücken nicht mehr weiter vor. Am Tag nach der Marienerscheinung, am 18. Januar 1871, wird im Spiegelsaal von Versailles der preußische König Wilhelm I. zum deutschen Kaiser ausgerufen. Wenige Tage später, am 26. Januar, wird ein Waffenstillstand unterzeichnet und dann, am 26. Februar, der Vorfrieden von Versailles. Frankreich ist geschlagen - aber es ist Frieden.

Der Bischof von Laval, Casimir Wicart, befragt vier der Seherkinder und erkennt das Phänomen im Februar 1872 kirchlich an. Die beiden Barbedette-Söhne werden später Priester: Eugene, 1883 geweiht, ist bis zu seinem Tod 1928 Pfarrer in verschiedenen Gemeinden der Diözese Laval. Francoise Richer, ein Mädchen aus Pontmain und eine der Seherinnen von 1871, wird für 15 Jahre seine Haushälterin. Eugenes Bruder Joseph tritt 1884 beim Missionsorden der Oblaten der Unbefleckten Jungfrau Maria ein. Er stirbt 1930 und liegt in Pontmain begraben.

Kein "deutsches Lourdes"

La Salette 1846, Lourdes 1858, schließlich Pontmain 1871, mitten im Krieg - und Marias klassische Farben sind blau, weiß und rot, die Farben der Trikolore. Ist die Gottesmutter denn so frankophil - oder einfach nur friedliebend? Immerhin: Fünf Jahre später lässt sie sich auch beim Sieger blicken - im saarländischen Marpingen 1876, auf preußischer Seite. Doch der Protestant und Reichskanzler Otto von Bismarck schiebt der dortigen katholischen Hysterie einen Riegel vor - und lässt, mitten im "Kulturkampf", den Marpinger Härtelwald vom Militär abriegeln.

So gibt es bis heute kein "deutsches Lourdes" und auch kein "preußisches Pontmain". Auch ein Marpinger Revival 1999 verläuft im Sande: Der Trierer Bischof Hermann Josef Spital und seine Nachfolger ließen die "Vorgänge im Härtelwald" prüfen - und erteilten ihnen eine kühle Absage.


Quelle:
KNA