Tomas Halik erhält in München den Romano-Guardini-Preis

Rufer im Wilden Osten

Es ist ein Preis, der zu Tomas Halik passt. Menschen bekommen ihn, die sich "hervorragende Verdienste um die Interpretation von Zeit und Welt auf allen Gebieten des geistlichen Lebens" erworben haben. Tomas Halik ist so einer: ein Romano-Guardini-Preisträger. Auch wenn er das von sich selbst nie sagen würde.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
 (DR)

Tomas Halik ist Soziologe, an der Prager Karlsuniversität hat er den Lehrstuhl des einstigen Staatsgründers Tomas Masaryk inne. Er ist als Schriftsteller Träger eines der höchsten Literaturpreise seines Landes. Und er ist katholischer Priester, der als Rektor der Prager Universitätskirche in der Nachfolge von Frühreformator und National-Ikone Jan Hus steht. Und wäre da nicht der vermeintliche Makel des Priestertums in der säkularisierten Tschechischen Republik, hätte er 2003 vielleicht sogar ihr Staatspräsident werden können - als Nachfolger und Wunschkandidat seines Freundes Vaclav Havel.



Sich mit dem Establishment anzulegen, liegt dem 62-Jährigen. Vorgedachtes wiederzukäuen ist seine Sache nicht. Den Traum von einer christlich geprägten Post-Wende-Gesellschaft hat er nicht mitgeträumt, sondern schon früh als Nostalgie verworfen. Und als sich im ersten Jahrzehnt nach der politischen Wende in der tschechischen Kirche alles um die Fragen von Rückgabe und Entschädigung für enteignete Güter aus vorkommunistischer Zeit zu drehen schien, forderte er längst eine Kirche, die sich mental aus dem Ghetto der Verfolgung löst und ganz neu lernt, mit einer völlig veränderten Gesellschaft ins Gespräch zu kommen.



Wider den gnadenlosen Materialismus

Dem gnadenlosen Materialismus und der angeblich aufgeklärten Mediengesellschaft hält er in Essays, Predigten, Talkshows und Vorträgen den Spiegel vor. Halik ist ein Rufer im Wilden Osten. Kein Schreier, sondern ein unabhängiger Intellektueller, der zum Mitdenken auffordert. Im "Laboratorium Demokratie" hat er viele Überstunden gemacht. Und in seiner Prager Stadtwohnung am Moldau-Ufer hat er sogar sein Bett in der Bibliothek aufgeschlagen. Ein dreibändiges Standardwerk zur Bioethik auf Deutsch in Griffnähe, Jahre bevor die Debatte die postkommunistischen Gesellschaften überhaupt erreicht hatte.



Dabei war Haliks Forscherkarriere eigentlich schon beendet gewesen, bevor sie begann. Im Juli 1972 rief er bei seiner feierlichen Promotion der nach dem Prager Frühling von allen Freidenkern gesäuberten Fakultät das Karol-Capek-Zitat zu: "Die Wahrheit ist mächtiger als die Macht" - ein moralischer Triumph, doch ein Quasi-Selbstmord im wissenschaftlichen Betrieb.



Erst damals kam der politisch Geächtete aus liberalem Elternhaus tiefer mit der Kirche in Berührung. Nach einem geheimen Theologiestudium wurde er 1978 im Untergrund zum Priester geweiht; seine Mutter sollte bis zu ihrem Tod nichts davon erfahren. Tagsüber arbeitete Halik als Psychotherapeut mit Drogensüchtigen. Zu seinem abendlichen Dissidenten-Zirkel gehörte auch Vaclav Havel, der oft in seinem Landhaus für die Gruppe kochte. "Manchmal hörte ich in seinen Reden als Staatspräsident noch ein Echo unserer Diskussionen von damals", verrät Halik schmunzelnd.



Havel und er ziehen an einem Strang

Die alte Freundschaft - nur ein Grund, warum er Havel in den schwierigen Jahren seiner Präsidentschaft (1989 bis 2003) immer den Rücken gegen Kritiker freigehalten hat. Sie ziehen an einem Strang, der Dichter und der Soziologe: für Toleranz und Zivilcourage, für Weltoffenheit und Dialogbereitschaft - und für mehr gesellschaftliche Kontrolle der Macht der Parteien.



Halik will "bestimmte Themen und einen gewissen Stil in die politische Debatte einbringen", die Tschechen zu mehr Selbstkritik und Mitgestaltung ermutigen. Damit bringt der Querdenker Machtpolitiker und Parteifunktionäre immer wieder auf die Palme. Das gelingt weiß Gott nicht jedem. Und es verschafft ihm, nicht nur in seinem Land, "hervorragende Verdienste um die Interpretation von Zeit und Welt".



Hinweis: Tomas Halik: Geduld mit Gott - Die Geschichte von Zachäus heute, Verlag Herder, Freiburg 2010, 258 Seiten, 14,95 Euro.