Therapeutin hilft bei Krisen in der Beziehung

"Paarpflege ist nichts anderes als Vorsorge"

Der Wonnemonat Mai steht vor der Tür und damit für viele Paare die sehnlichst erwartete Traumhochzeit. Doch nicht immer bewährt sich diese in großer Zuversicht getroffene Entscheidung. Mehr als jede dritte Ehe wird geschieden.

Symbolbild Ein Paar streitet / © Just Life (shutterstock)
Symbolbild Ein Paar streitet / © Just Life ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: In diesen Wochen fiebern wieder viele Paare ihrem großen Tag entgegen, der in der Regel von vielen Emotionen und froher Erwartung an ein Leben zu zweit begleitet wird. Doch irgendwann steht das Glück von einst auf dem Prüfstand und dann kommen Sie ins Spiel. Welche Menschen suchen Ihren Rat? 

Silke Pescher berät Paare in der Krise / © Beatrice Tomasetti (DR)
Silke Pescher berät Paare in der Krise / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Silke Pescher (Paartherapeutin): Zum einen die, die sich in einer Konfliktsituation befinden, aus der sie alleine nicht mehr herausfinden. Oder Paare, die sich in einer Trennungsambivalenz befinden. Interessant ist, dass viele auf Empfehlung kommen, weil sie von guten Prozessen – nicht unbedingt von guten Ergebnissen – gehört haben. Trotzdem besteht nach wie vor eine große Hemmschwelle, einen solchen Schritt überhaupt zu gehen, weil die Inanspruchnahme von Hilfe für die Partnerschaft immer noch makelbehaftet ist. Da bekommt jemand alleine seine Probleme nicht in den Griff, heißt es dann. 

Die Gruppe derer, die Rat suchen, ist sehr heterogen, weil die Themen sehr unterschiedlich sind. Oft kommen Paare mit verschleppten Konflikten, die sich aus dem Teufelskreis immer größer werdender Probleme nicht mehr alleine befreien können. Stattdessen wird im Laufe der Zeit immer mehr Ballast angehäuft. Meist endet das damit, dass man sich einfach nicht mehr verstanden fühlt, die Aufmerksamkeit für den anderen verloren geht, die Kommunikation abreißt, man sich im Alltag immer mehr separiert und es keine Bezugnahme mehr gibt. Und wenn sie noch stattfindet, dann ausschließlich konflikthaft, was sich in Vorwürfen äußert.

Paarsysteme sind immer Entwicklungssysteme. Es wechseln Phasen, in denen diese Systeme ausgeglichen laufen oder in denen man eben zu Entwicklungsherausforderungen eingeladen ist, wenn die Balance des Systems verloren geht. Am Anfang ist man sehr verliebt oder fokussiert auf den Partner, hat viele Wünsche und Visionen. Wenn es aber dann Alltag wird, vielleicht Kinder, Jobkrisen oder andere äußere Unwägbarkeiten wie zum Beispiel die Pflege der alten Eltern dazu kommen, dann gerät das Gleichgewicht von Paaren ins Wanken, was neue Strategien erfordert. Da unsere Bewältigungsstrategien aber aus dem gespeist werden, was wir mal gelernt haben, sind sie nicht immer angepasst auf das, was mitunter völlig überraschend kommt. Wenn Paare aber für das, was sie im Alltag herausfordert, keine Strategie mehr haben, brauchen sie Hilfe.

DOMRADIO.DE: Zeigt sich denn auch mitunter so etwas wie der Verlust von Liebe? Also dass es gar keine Anknüpfungsmöglichkeit mehr gibt, weil die emotionale Grundlage in einem längeren Zermürbungskampf abhandengekommen ist?

Pescher: Das ist in der Tat immer das Ergebnis von Entfremdungsprozessen über den Alltag und die vielen aufgelaufenen Konfliktsituationen. Der Blick ist dann auf etwas ganz anderes gerichtet: nämlich auf die Fehler und "schlechten Angewohnheiten" des Anderen. Dann kann man lernen, die Perspektive zu wechseln und den Partner mit seinen Bedürfnissen wieder achtsamer wahrzunehmen.

DOMRADIO.DE: Was ist Ihr therapeutischer Ansatz? Gibt es ein erklärtes Ziel – zum Beispiel, dass ein Paar zusammenbleibt und sich auf seine Ressourcen besinnt? Oder beraten Sie völlig ergebnisoffen?

Pescher: Das Ziel gibt immer das Paar selbst vor. Wenn sich jemand dafür entscheidet, in einen Paartherapieprozess einzusteigen, geht es zunächst darum, einen sogenannten Rahmenvertrag miteinander aufzusetzen: eine Art Definition, worum es eigentlich gehen soll. Es wird ein Feld abgesteckt, innerhalb dessen wir uns bewegen wollen. Dass schafft Sicherheit, und zum ersten Mal überhaupt können vielleicht Probleme offen angesprochen werden. Die meisten, stelle ich fest, haben sicherlich auch immer noch eine Idee von Hoffnung. Oder aber sie kommen, weil sie sich nicht trauen, diesen letzten Trennungsschritt auszusprechen. Viele bringen auch Wertschätzung füreinander oder das, was in der Vergangenheit einmal gewesen ist, hierher. Sie erinnern sich daran, dass es mal eine gute Zeit gegeben hat. Sie bringen zum Ausdruck: Du bist es mir wert, dass wir da zumindest nochmals genau hinschauen. In jedem Fall unterstütze ich dabei, die Stärken der Beziehung nochmals deutlich wahrzunehmen –genauso wie das, was schwierig und verletzend war. 

Silke Pescher

"Wir lernen, die Prozesse zu verstehen, warum die Beziehung zu der jetzigen geworden ist, welche Kommunikationsmuster dazu geführt haben oder auch welche Verletzungen."

Innerhalb dieses Rahmenvertrags gibt es eine entscheidungsfreie Zeit, gerade bei Trennungsambivalenzen. Manche Paare kommen mit konflikthaften Situationen, andere wissen noch nicht, wie es weitergeht. Und dann entscheiden wir hier im Rahmen dieser Vereinbarung, dass zunächst einmal gar nicht mehr an dieser Entscheidungsfrage gerüttelt wird – was meist für beide Seiten Entspannung bringt. Das heißt, es muss erst einmal kein Ergebnis geben – etwa in einem Zeitraum von drei Monaten oder einem halben Jahr. Und das eröffnet die Möglichkeit, nochmals auf den gemeinsamen Weg zurückzuschauen. Dabei lernen wir, die Prozesse zu verstehen, warum die Beziehung zu der jetzigen geworden ist, welche Kommunikationsmuster dazu geführt haben oder auch welche Verletzungen. Schließlich geht es ja immer um Verstehen und idealerweise auch um Versöhnung, damit man zunächst einmal wieder im Kontakt miteinander ist. Nach einer solchen Klärung entscheiden viele, den Paarweg weiter zu gehen.

DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielt das Thema Macht?

Pescher: Um Macht geht es eigentlich immer. Wichtig ist, diese Machtstrukturen einmal aufzudröseln. Klassischerweise haben Männer die Macht über das Familieneinkommen, die Frauen mehr über die Kindererziehung. Auch Sexualität ist ein Machtinstrument.

DOMRADIO.DE: Es ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, dass Konsens- und Kompromissfähigkeit insgesamt rückläufig sind. Umgekehrt sind Individualismus, Egoismus und der unbedingte Drang, sich selbst zu verwirklichen und nichts verpassen zu wollen – zur Not eben auch auf Kosten des anderen – auf dem Vormarsch. Wofür sensibilisieren Sie Paare? Was kann in jedem Fall hilfreich sein?

Pescher: Die Gesellschaft befindet sich gerade in einem großen Wandel, und analog dazu verändern sich ihre Mitglieder. Das stimmt. Trotzdem weiß ich nicht, ob ich Paare heutzutage weniger kompromissfähig erlebe, vielleicht eher auf ihrem ganz eigenen Weg. Wie das gerade ja auch spürbar die Kirche erlebt, nämlich dass frühere Autoritätsinstanzen wegbrechen. Kirche und auch die Politik oder bestimmte Berufe wie der des Mediziners sind nicht mehr ungesehen Autorität. Dadurch wird eben auch Fehlbarkeit sichtbar.

Also, es geht weniger darum, meine Interessen durchzuboxen, als überhaupt erst einmal herauszufinden: Wo liegen meine Bedürfnisse überhaupt? Was ist das, was ich will? Und was macht mich eigentlich aus? Und wenn die Partnerin oder der Partner dann eben anders ist, es Reibung gibt, dann haben wir noch keinen guten Umgang damit gefunden, wie wir mit den unterschiedlichen Bedürfnissen zurechtkommen. Wenn die eigenen Bedürfnisse aber versorgt sind, dann bin ich auch in der Lage, für eine größere Sache zurückzustecken – zum Beispiel für eine Paarbeziehung, die letztlich immer auch eine Entscheidung ist für dieses "Ich will". Oft ist die Alternative, die eine Trennung sein könnte, ja gar nicht unbedingt so attraktiv. In jedem Fall ist hilfreich, auf den ausgewogenen Austausch, die Balance zwischen Autonomie und Bindung zu schauen. Brauchen tun wir jedenfalls beide Pole.

Fakt ist, die meisten Paarprobleme sind nicht lösbar, auch wenn wir glauben, sie lösen zu können. Wir können allenfalls lernen, einen Umgang mit dem jeweiligen Problem zu finden. Wofür ich sensibilisiere ist, dass es einen Umgang mit solchen Unterschiedlichkeiten und eine Toleranz dafür braucht.

Mit einer Eheschließung verknüpfen sich oft große Erwartungen / © Beatrice Tomasetti (KNA)
Mit einer Eheschließung verknüpfen sich oft große Erwartungen / © Beatrice Tomasetti ( KNA )

DOMRADIO.DE: Trennungen sind inzwischen kein Tabu-Thema mehr wie das in der Generation unserer Eltern noch der Fall war, als das fast einer Stigmatisierung gleichkam. Leistet diese Enttabuisierung einer vorschnellen Trennung eventuell sogar Vorschub?

Pescher: Ich kenne eigentlich kein einziges Paar, das sich vorschnell oder leichtfertig trennt. Jeder geht mit Sehnsüchten und Wünschen in eine Paarbeziehung, und die sind ja meist auch noch da sind. Was ich aber kenne, sind Paare, die für sich keinen Weg eines Umgangs mit ihren Problemen finden, die mit unterschiedlichen Erwartungen an ihre Partnerschaft herangehen, die es nicht gelernt haben, sich Unterstützung zu holen, oder die sich immer wieder in ihren Kommunikationsmustern verstricken. Natürlich kann das dann zur Folge haben, dass sie sich trennen. Es gehört einfach nicht zum guten Ton, zu einer Paartherapie zu gehen, und ist auch nicht so banal, als gehe man zum Friseur oder einer Vorsorgeuntersuchung. Paartherapie ist ja immer noch damit konnotiert: Da läuft was nicht richtig, da haben es zwei nicht geschafft. Anstatt dass Paarpflege oder Paarfürsorge ohne Scham in unserer Gesellschaft etabliert würden.

DOMRADIO.DE: Bedeutet das im Umkehrschluss, wenn sich mehr Paare Hilfe holen würden, könnte manche gescheiterte Ehe verhindert werden?

Silke Pescher

"Ohne den Blick von außen können wir unser eigenes Verhalten nicht gut reflektieren. Merken tun wir überhaupt erst etwas, wenn es knirscht und kriselt."

Pescher: Ziemlich viele sogar. Auf jeden Fall. Daher kann ich nur empfehlen, sich frühzeitig Hilfe zu holen, damit ein unabhängiger Dritter einmal auf die Beziehung schaut. In meinen Augen ist das wie Vorsorge. Leider aber sind wir gesellschaftlich an diesem Punkt noch nicht. Dabei kann man Veränderungsprozesse in der Regel nicht alleine angehen. Paare, die sich neuen Entwicklungsherausforderungen stellen müssen – das Alte passt nicht mehr, das Neue ist noch nicht da – brauchen neue Techniken, die wir in der Regel nicht aus uns selbst heraus generieren können, weil wir das nicht gelernt haben. Wir können dazu ein Buch lesen, eine Fortbildung machen oder eben zur Paartherapie gehen. Das sind alles nützliche Strategien, aber aus uns selber heraus schaffen wir keine Veränderung, weil keiner seine eigenen blinden Flecken sieht. Ohne den Blick von außen können wir unser eigenes Verhalten nicht gut reflektieren. Merken tun wir überhaupt erst etwas, wenn es knirscht und kriselt. Wobei wir dann immer davon ausgehen, dass es nicht an uns, sondern am anderen liegt.

DOMRADIO.DE: Was glauben Sie: Woran scheitern die meisten Partnerschaften?

Pescher: Wir haben gelernt, wenn wir uns nur genug anstrengen, stimmt auch das Ergebnis. Also, wenn wir uns in der Paarbeziehung bemühen, dann gelingt sie auch. Aber nochmal: Unsere eigenen blinden Flecken, unsere ganz persönlichen Themen, Beziehungs- und Kommunikationsmuster nehmen wir einfach nicht gut wahr, weil sie für uns selbst völlig normal sind. Gleichzeitig glauben wir, dass alles funktionieren würde, wenn nur der andere sein Verhalten ändern würde. Dann könnte alles besser laufen. Manche starten sogar mit dieser Vorstellung, den anderen verändern zu wollen, in eine Ehe. 

Bekanntlich aber funktioniert gerade das nicht, sondern führt vielmehr – wie es der amerikanische Psychologe John Gottman mit seinen vier sogenannten "apokalyptischen Reitern" definiert – zu toxischen Kommunikationsmustern, die eine Ehe dauerhaft ruinieren und zur Trennung des Paares führen können. Dazu gehört Kritik – Schuldzuweisungen und Anklagen, die ihren Höhepunkt in einer generellen Verurteilung der Person des Partners finden – zweitens Abwehr mit Verleugnung der eigenen Anteile, die den Konflikt aufrechterhalten, drittens Verachtung, also Abwertung und Geringschätzung des Partners, und schließlich "Mauern", was den Rückzug aus der Kommunikation, unter anderem durch Schweigen, bedeutet. Diese "apokalyptischen Reiter" kennzeichnen so gut wie fast alle Paare in einer Krise. Gottman rät – um die gemeinsame Prognose zu verbessern – zu der Regel 5:1, also zu fünf positiven Kontakten miteinander, wenn sich auch nur einer dieser Reiter zeigt. Und dann muss man auch das klar sehen: An einer Paarbeziehung – am Gelingen oder Scheitern – sind immer zwei beteiligt. Es geht immer um 50:50 und nie darum, dass einer mehr Anteile hat.

DOMRADIO.DE: Damit es gar nicht erst soweit kommt und Paare vor den Trümmern ihres einst gemeinsamen Lebensentwurfes stehen: Haben Sie Tipps, sagen wir "Präventivmaßnahmen", die dem Scheitern einer Beziehung vorbeugen können?

Silke Pescher

"Wir sollten unseren Blick umtrainieren und jeden Tag anerkennen, was einem am anderen gefällt, warum man gerne mit ihm zusammen und ein Paar ist."

Pescher: Auf jeden Fall positive Rückmeldungen – nicht Vorwürfe oder Anklagen – zur Gewohnheit zu machen, sich diese apokalyptischen Reiter bewusst zu machen und gegenzusteuern. Schließlich sucht man immer nach Beweisen, die eigene Theorie zu stützen, die Krise liege am anderen. Genauso aber kann ich es auch umdrehen und sehen, was der andere gut macht. Unser Gehirn ist auf das Finden von Fehlern programmiert – so lernen wir es schon in der Schule, und so sind wir geprägt. Aber genau diesen Blick sollten wir umtrainieren und jeden Tag anerkennen, was einem am anderen gefällt, warum man gerne mit ihm zusammen und ein Paar ist. Komplimente machen und das, was der andere für die Beziehung einsetzt, und sei es noch so alltäglich, wertschätzen, sich dafür bedanken: Danke, dass Du für uns Geld verdienst! Danke, dass Du Dich um die Kinder kümmerst, mir mein Frühstück machst, die Wohnung gemütlich herrichtest! Das müsste eigentlich doch ganz einfach sein und ist doch so schwer. Aber das lässt sich üben.

Und dann geht es auch darum, rechtzeitig in Paarpflege zu investieren: Zeit miteinander zu verbringen ist goldwert. Oder Rituale zu installieren, eine regelmäßige Verabredung zu treffen. Auch ein gemeinsames Drittes kann wichtig sein: Kinder, ein Hobby wie Tanzen oder einen Paarabend, ein zusammen verbrachtes freies Wochenende im Monat. Dabei geht es weniger um große Events als um Regelmäßigkeit und Verlässlichkeit. Bei den Ideen, was der eigenen Partnerschaft gut tut, sind der Phantasie eigentlich keine Grenzen gesetzt.

Das Interview führte Beatrice Tomasetti.

Tipps von Goldhochzeitspaaren für junge Eheleute

Mehrere Paare, die 50 Jahre oder länger verheiratet sind, wurden gefragt, was sie frisch verheirateten Paaren gerne mit auf den Weg geben möchten. Hier werden einige Antworten aufgeführt:

- Humor, nicht alles zu ernst nehmen

- Miteinander reden

- Geduld

- Toleranz

- Sich entschuldigen können

- Verzeihen können

- Leben weitergeben

- Konflikte nicht verdrängen

- Nicht kleinlich sein

- Dem anderen bei Problemen beistehen

- Ein gemeinsamer Glaube trägt, gemeinsam beten

Es gibt nur 60 heiliggesprochene Ehepaare in der Kirchengeschichte / © Harald Oppitz (KNA)
Es gibt nur 60 heiliggesprochene Ehepaare in der Kirchengeschichte / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR