Theologin schreibt Bibel aus Mädchen-Sicht

"Eine eher fragende, zögernde Sicht"

​​​​​​​Die Bibel ist schon in vielen Versionen erschienen. Eine besondere Ausgabe gibt es jetzt für Kinder, speziell für Mädchen. Zum ökumenischen Bibelsonntag erklärt Theologin Martina Steinkühler den weiblichen Blick auf die Bibel.

Christliche Frau hält Bibel in den Händen. / © Nastyaofly (shutterstock)
Christliche Frau hält Bibel in den Händen. / © Nastyaofly ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Wo sind die Mädchen in der Bibel?

Martina Steinkühler (Theologin und Autorin): Wir haben in der Bibel einen großen Schatz an Erzählungen, die auch immer wieder gerne literarisch verarbeitet werden. Natürlich fallen einem da so Namen wie Abraham, Jakob, Mose, David, Jesus oder Petrus ein. Zu all diesen Namen können Sie genauso gut auch eine dominante Frauenperson setzen: Abraham und Sarah, Mose und Mirjam, David und Bathseba und so weiter.

Also Frauen kommen schon in der Bibel vor und gerade in der Religionspädagogik sind wir sehr bemüht, immer die Mädchen-Perspektive dazu zu setzen, weil wir wissen, dass Mädchen sich eher mit Mädchen identifizieren und Jungs eben mit Jungen.

DOMRADIO.DE: Frauen sind in der Bibel vielleicht noch benannt worden, aber die Kinder, die Mädchen eher nicht. Welche Rolle haben Mädchen denn zu der Zeit Jesu gespielt? Auch wenn sie in der Bibel nicht vorkommen, müssen sie ja im Alltag da gewesen sein.

Martina Steinkühler (privat)
Martina Steinkühler / ( privat )

Steinkühler: Ja, das liegt daran, dass wir in der Bibel eine traditionelle Gesellschaft haben, im Alten Testament, im Neuen noch immer und in Teilen ist es bis heute auch noch so. Die Männer sind eher im öffentlichen Bereich, stehen im Licht der Welt, und die Frauen und Mädchen sind zu Hause und spielen eine große Rolle in den Familien, im Zusammenhalt der Gruppe, im Nahbereich sozusagen.

DOMRADIO.DE: Warum wollten Sie nun aus der Perspektive von Mädchen und Frauen Bibelgeschichten erzählen?

Steinkühler: Weil die sonst fehlen würde. Wenn wir heutzutage Religion und Glaube anschauen, dann hat das sehr viel mit weiblichen Perspektiven zu tun, mit Beziehungsarbeit, mit dem Nahbereich, mit persönlicher Spiritualität. All diese Dinge sind bis heute in der Kirche und im Umfeld sehr aktuell.

Daher kann ich mir gut die Perspektiven vorstellen, die auch damals da waren. Wir merken im Alten Testament, im Hintergrund so eine persönliche Religion, die mit einem Haus Gottes zu tun hat und mit Religion im Alltag, mit Segen und Fluch. All diese Dinge gehören dazu und die würden sonst fehlen.

DOMRADIO.DE: Wie nehmen Sie die Mädchen-Perspektive ein? Woher wissen Sie, welche Position Mädchen hatten, wie sie sich gefühlt haben, was sie gedacht haben könnten?

Steinkühler: Ich bin ja ein Mädchen. Natürlich aus einer anderen Zeit, aber ich gehe davon aus, dass sich die allgemeinen menschlichen Bedürfnisse, Wünsche, Sehnsüchte eigentlich gar nicht so sehr unterscheiden.

Da traue ich mich einfach und schlüpfe in so eine Rolle. Ich kenne die sozialen Zustände in der jeweiligen Erzählzeit aus meinem Studium und meiner wissenschaftlichen Arbeit.

DOMRADIO.DE: Welche Geschichten haben Sie zum Beispiel neu erzählt?

Steinkühler: Im Grunde die üblichen Verdächtigen, hätte ich jetzt beinahe gesagt. Also das, was ich eben schon aufgezählt habe: Die Väter-Geschichten, die Königsgeschichten, Propheten, Richterzeit und dann im Neuen Testament natürlich vor allem die Episoden aus den Evangelien. Aber ich habe die Geschichten aus einer Ich-Perspektive eines Mädchens erzählt.

DOMRADIO.DE: Wie verändert sich durch diese Mädchen-Perspektive das Wort Gottes?

Steinkühler: Auf eine Weise, an der ich mich schon, gerade aus Religionspädagogischer Sicht, sehr lange probiere. Es ist eine eher fragende, zögernde Sicht.

Wenn ich mir zum Beispiel vorstelle wie Abraham nach Hause kommt und sagt: "Gott hat mit mir gesprochen. Wir müssen jetzt los." Dann hat das Folgen für den ganzen Haushalt. Da ist dann ein Mädchen, das packen soll. Sie hat das Wort Gottes selber nicht gehört, aber sie verhält sich jetzt dazu. Sie denkt darüber nach und fragt sich: Ist das auch mein Gott? Was ist das für ein Gott? Spricht er nur mit Männern? Kann man den hören? Wie kann man den hören?

Das sind alles so Fragen, die in unserer Zeit eigentlich jeder stellt. Wir sind alle nicht mehr so dicht dran und Gott ist nicht mehr selbstverständlich. Ich gewinne also eine Perspektive, in der Gott plötzlich infrage steht. Und das macht neugierig. Das macht auch Mut, selbst nachzudenken. Das ist eigentlich das besonders Interessante daran.

DOMRADIO.DE: Haben Sie schon Feedback von jüngeren Mädchen auf diese neue Bibel bekommen?

Steinkühler: Ich habe gerade gehört, dass eine Enkelin einer Kollegin das ganz fasziniert liest und sagt: "Das bin ja ich, die da erzählt." Das hat mich schon mal ermutigt, dass ich vielleicht was richtig gemacht habe.

DOMRADIO.DE: Wie kann die Bibel erzählt aus der Perspektive von Frauen, von Mädchen wichtige Impulse für die Zukunft der Kirche geben?

Steinkühler: Ich glaube, dass da zweierlei Dinge zusammenkommen. Einerseits, dass Mädchen und Frauen das Gefühl bekommen, in der Kirche immer wichtiger zu sein und einen besonderen Beitrag zu leisten. Also das wäre die Perspektive der Stärkung der Frauen.

Auf der anderen Seite aber auch durch den Zugang: Ich darf fragen, ich darf skeptisch sein, ich darf mich einbringen und meine Meinung zu Glaubensfragen sagen. Das ist etwas, was über die weibliche Perspektive hinausgeht und gerade auch für die jüngere Generation beider Geschlechter interessant ist.

Das Interview führte Dagmar Peters.

Die Bibel

Bibel ist die Schriftensammlung, die im Judentum und Christentum als Heilige Schrift gilt. Auf den Schriften fußt jeweils die Religionsausübung. Die Bibel des Judentums ist der dreiteilige Tanach, der aus der Tora, den Nevi’im und Ketuvim besteht. Diese Schriften entstanden seit etwa 1200 v. Chr. im Kulturraum der Levante und Vorderen Orient und wurden bis 135 n. Chr. kanonisiert. Das Christentum übernahm alle Bücher des Tanachs, ordnete sie anders an und stellte sie als Altes Testament (AT) dem Neuen Testament (NT) voran.

Eine Bibel liegt aufgeschlagen auf einem Tisch (KNA)
Eine Bibel liegt aufgeschlagen auf einem Tisch / ( KNA )
Quelle:
DR