Bistum Augsburg widmet sich dem Thema Nahtod-Erfahrung

Theologin: Privatoffenbarungen können den Glauben gefährden

Es gibt Menschen, die sagen, sie seien schon mal gestorben. Nahtod-Erfahrung nennt man das. Manche erzählen, sie hätten dabei Jesus, die Gottesmutter oder den Teufel geschaut. Damit befasst sich ein Studientag des Bistums Augsburg.

Autor/in:
Christopher Beschnitt
Neuer Studientag zu Nahtod-Erfahrungen im Bistum Augsburg / © AN NGUYEN (shutterstock)
Neuer Studientag zu Nahtod-Erfahrungen im Bistum Augsburg / © AN NGUYEN ( shutterstock )

Katholische Nachrichten-Agentur (KNA): Frau Riedl, was lässt Sie sich dem Nahtod widmen?

Prof. Dr. Gerda Riedl (Dogmatikprofessorin, Hauptabteilungsleiterin für Grundsatzfragen): Uns erreichen immer wieder Nachrichten, dass Menschen von solchen Erlebnissen berichten, und das in einem religiösen Zusammenhang. Solche Schilderungen gibt es im Internet oder bei Vorträgen, aber auch auf Zetteln, die in Kirchen ausgelegt werden.

KNA: Was genau wird denn da berichtet?

Riedl: Der Österreicher Helmut Lungenschmid gibt zum Beispiel an, ihm habe infolge einer überdosierten Narkose bei einem Arztbesuch die Muttergottes mitgeteilt, dass er verstorben sei. Er will dann im Jenseits Gott selbst und Jesus sowie Heilige, Engel und Dämonen gesehen haben.

KNA: Man könnte sagen: Na und?

Riedl: Lungenschmid und andere führen dazu vermeintliche Privatoffenbarungen an. Dass sie zu deren Verbreitung scheinbar ins Leben zurückgeschickt wurden, soll sie umso mehr legitimieren.

Lungenschmid hat auf seiner Internetseite etwa als "Botschaft der Gottesmutter" stehen: "Der Krieg im Mittleren Orient könnte sich in eine Serie von Kriegen verwandeln. Diese könnten dann die ganze Welt betreffen! Um dies zu verhindern, möge die ganze Welt jede Minute beten!" Auch schreibt er über die "satanische, diabolische Freimaurerschaft" sowie zur Frage der Mund- oder Handkommunion, dass er jetzt wisse, "was nun eben wahr und falsch ist".

KNA: Inwiefern ist das brisant, zumal, wenn sich Leute wie Herr Lungenschmid als Katholiken bezeichnen?

Riedl: Sie verkaufen ihre angeblichen Botschaften als grundrelevant für den Glauben. Doch nach katholischer Lehre ist klar: Die Offenbarung Gottes ist seit der Apostelzeit abgeschlossen, es kann durch Privatoffenbarungen nichts Neues hinzukommen, diese können nicht heilsnotwendig sein. Höchstens können sie - bei kirchlicher Anerkennung - Vertiefungen fürs Glaubensleben bieten. Ferner arbeiten die Privatoffenbarungen wie im Falle Lungenschmid oft mit apokalyptisch durchsetzten, dualistisch geprägten Darstellungen von Gut und Böse, also mit Ängsten. Nach dem Motto: Wenn du das tust oder nicht tust, wird dieses und jenes Schlimme passieren.

KNA: Wie sollte die Kirche damit umgehen?

Riedl: Sie sollte erstens deutlich dagegenhalten, wenn von Drohbotschaften und vom Kampf von Gut und Böse auf Augenhöhe die Rede ist. Für Katholiken muss klar sein: Alles in der Welt kommt von Gott, geht also vom Guten aus, das Gute ist überlegen. Und ein guter Gott kann nicht wollen, dass man Furcht vor ihm hat. Zweitens sollte die Kirche wieder mehr darauf verweisen, dass das aktuelle Leben relevant ist für das ewige, an das wir Christen ja glauben.

KNA: Sie meinen, dass man nicht nur im Himmel landen kann, sondern auch in der Hölle?

Riedl: Darüber sollten wir wieder deutlicher sprechen, freilich nicht wie früher oft üblich im Rahmen einer Drohpädagogik. Aber ja, die Hölle besteht als denkerische Möglichkeit und ist für mich der tiefste Ausdruck der Liebe Gottes zum Menschen. Gott hat mir die Freiheit gegeben - auch die, mich gegen ihn zu entscheiden und für die Gottesferne, die Hölle. Dass die Kirche dies seit den 1970er Jahren kaum noch zur Sprache bringt, hat sicher zu einer Leerstelle beigetragen, die vermeintliche Privatoffenbarungen nun füllen. Diese haben zudem den Reiz, dass sie oft nicht gerade komplex daherkommen und ihren Anhängern ein Elite-Gefühl bescheren.

KNA: In der Bibel werden zwar mehrere Erweckungen Verstorbener geschildert, aber keine Nahtod-Erfahrungen. Wieso nicht?

Riedl: Weil dabei die Tat des Erweckers im Zentrum steht, der in Vollmacht Gottes handelt und dessen Allmacht zeigt. Dass Nahtod-Berichte fehlen, sehe ich als Indiz dafür, dass solche Phänomene biblisch nicht gedeckt sind. Es gibt überdies wissenschaftliche Erkenntnisse, die dagegen sprechen, dass sie eine Annäherung ans Jenseits sein können: Man weiß heute, dass Nahtod-Erfahrungen abhängig vom Kulturraum sind. Amerikaner berichten anderes als Asiaten. Das deutet auf subjektives Empfinden hin.

KNA: Sterbe-Erlebnisse samt Privatoffenbarungen sind also Humbug?

Riedl: Jedenfalls sehe ich die Gefahr, dass sie zur Folge haben können, den Glauben durch vermeintliche Gewissheiten zu ersetzen.

Glauben heißt aber eben Nicht-Wissen, heißt Vertrauen zu Gott zu haben und nicht, ihn zu beweisen. Wer empfänglich für diese Jenseits-Berichte ist, sollte sich mithin fragen, ob er nicht arg kleingläubig ist und daher unter Wundersucht leidet. Der echte Glaube des Christen ist das glaubensgewisse Hoffen auf ein Leben in Fülle zusammen mit all seinen Lieben in ewiger Gottesgemeinschaft.

 

Theologin Gerda Riedl, Professorin für Dogmatik an der Universität Augsburg / © Christopher Beschnitt (KNA)
Theologin Gerda Riedl, Professorin für Dogmatik an der Universität Augsburg / © Christopher Beschnitt ( KNA )
Quelle:
KNA
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