Theologin mit "Laudato Si" aus Lützerath getragen

"Wo wäre Gebet wichtiger als einem Ort wie diesem?"

Gudula Frieling von der Initiative "Die Kirche(n) im Dorf lassen" hat den Beginn der Räumung in Lützerath als traumatisch erlebt. Dass sie den Protest trotzdem fortsetzen will, erklärt sie mit ihrem Glauben und mit Papst Franziskus.

Gudula Frieling wird von Polizisten bei der Räumung von Lützerath weggetragen / © Manuela Hillekamps (privat)
Gudula Frieling wird von Polizisten bei der Räumung von Lützerath weggetragen / © Manuela Hillekamps ( privat )

DOMRADIO: Sie waren in der so genannten Eibenkapelle, als es mit der Räumung losging. An der Stelle also, wo einst eine Kapelle stand und an der sich christliche Braunkohlegegner in den vergangenen Monaten immer wieder zu Gebeten und Gottesdiensten versammelt haben.

Dr. Gudula Frieling / © Manuela Hillekamps (privat)
Dr. Gudula Frieling / © Manuela Hillekamps ( privat )

Dr. Gudula Frieling (Katholische Theologin und Klimaaktivistin):  Wir haben an dem Morgen dort als Initiative "Die Kirche(n) im Dorf lassen" Gottesdienst gefeiert. Wir haben gesungen, gebetet und Texte von Papst Franziskus gehört.

Als die Räumung unmittelbar bevorstand, habe ich mich weit hinten in die Kapelle gesetzt. Ich und ein Mitstreiter haben uns dann "räumen" lassen, sind also nicht selbst hinausgegangen. Aber auch die anderen haben die Kapelle nur auf Druck der Polizei verlassen.

DOMRADIO.DE: Sie sagen "Ich kämpfe für Lützerath, ich kämpfe für das Klima aus meiner religiösen Überzeugung heraus." Wie meinen Sie das genau?

Frieling: Als wir aus der Kapelle getragen wurden, hatte ich ein Exemplar der Papst-Enzyklika "Laudato Si" in der Hand und mein Mitstreiter eine Osterkerze. Uns geht es darum, an unserem Glauben festzuhalten, dass die Liebe Gottes über allem steht. Dass wir dankbare Empfänger dieser Liebe sind und für unsere Mitmenschen genauso mitverantwortlich sind wie für unsere Mitgeschöpfe.

Wir wollen eine Spiritualität leben, in der wir dankbar empfangen, was wir von Gott bekommen. Was aber in Lützerath gerade geschieht, ist die Zerstörung eines Dorfes, die Abbaggerung der Häuser, das Fällen der Bäume. Dort werden hinterher keine Vögel, keine Pflanzen, keine Tiere mehr leben können. Die Emissionen, die dann von dort aus ausgehen, werden das Leben unserer Mitmenschen zum Beispiel in Ostafrika noch stärker bedrohen, als es jetzt schon bedroht ist. Weil wir uns bereits jetzt mitten in der Klimakatastrophe befinden.

DOMRADIO.DE: Kritiker werfen den Aktivisten und Aktivistinnen vor Ort vor, Gottesdienste für ihre politischen Anliegen zu instrumentalisieren. Was entgegnen Sie?

Frieling: Ich kann diesen Vorwurf nicht nachvollziehen. Wir haben Gottesdienst aus der Liebe zum Leben heraus gefeiert. Wir feiern Gottesdienst gerade dort, wo dieses Leben bedroht ist. Da rufen wir Gott um seinen Schutz an. Dazu wünschen wir uns möglichst viele Christen und Christinnen an unserer Seite.

Wir hoffen, dass viele kommen, die Kraft des Gebets gegen diese Zerstörung stellen und die guten Mächte in uns und unseren Mitmenschen wachrufen. Wo wäre das Gebet wichtiger als einem Ort wie Lützerath?

DOMRADIO.DE: Sie haben in den vergangenen Wochen und Monaten auch Gottesdienste dort gefeiert, am vergangenen Sonntag etwa auch selbst gepredigt. Worum ging es da?

Frieling: Am letzten Sonntag hatten wir das Gleichnis Jesu von den Weinbauern. Meines Erachtens geht es da um den Zusammenhang von struktureller und physischer Gewalt. Die Weinbauern, von denen Jesus erzählt, haben ihr Land verloren. Sie sind nur Pächter und müssen jetzt einen Großteil ihrer Ernte abtreten, sodass für ihre Familien zu wenig übrigbleibt. Aus Verzweiflung greifen sie zu Gewalt.

Es ist falsch, nur diese sekundäre Gewalt zu verurteilen, wie wir sie in der Befreiungstheologie nennen. Wir müssen auch die strukturelle Gewalt verurteilen, die Menschen aus Verzweiflung zu physischer Gewalt greifen lässt. Wir müssen uns dieser strukturellen Gewalt, zu der auch die fossile Energiegewinnung gehört, entgegenstellen. Wir dürfen das nicht mehr tolerieren.

Die Klimakatastrophe ist zu weit fortgeschritten. Deswegen greifen wir auch jenseits solcher Gottesdienste zu Mitteln des zivilen Ungehorsams, zu Mitteln des zivilen Widerstands. Um der Gesellschaft vor Augen zu führen, in welch dramatischer Situation wir uns leider inzwischen befinden.

DOMRADIO.DE: Der Polizeipräsident von Aachen hat gesagt, er setze bei einem Einsatz auf Deeskalation und Dialog. Wie haben Sie persönlich die Räumung erlebt?

Frieling: Tatsächlich habe ich viel mit Polizisten vor Ort gesprochen. Wir haben am Sonntag und Montag diesen Polizistinnen und Polizisten lange gegenübergestanden und hatten die Möglichkeit zu sprechen. Der Dialog bestand aber letztlich darin, Gewalt anzudrohen, Schmerzen anzudrohen und zu sagen, wir sollten freiwillig den Ort verlassen. Das hat mich unglaublich wütend gemacht. Dieser Ort wird zwangsgeräumt. Niemand hat ihn seit Dienstag freiwillig verlassen.

Ich finde es erschütternd zu sehen, wie eine Klimapolitik, die hinter den selbstgesetzten Zielen zurückbleibt, nun mit Gewalt durchgesetzt wird. Wir laufen auf eine Erderwärmung von drei bis vier Grad zu. Das sind katastrophische Zustände.

Stellen Sie sich vor, eine Flutkatastrophe wie die an der Ahr, ereilt uns künftig vier, fünf Mal im Jahr an verschiedenen Orten in Deutschland. Wie wollen wir das bewältigen? Wie viele Tote wollen wir in Kauf nehmen?

DOMRADIO.DE: Sie haben das Gelände jetzt verlassen. Wie geht es für Sie und die anderen Aktivistinnen und Aktivisten weiter, die aus ihrem Glauben heraus protestieren?

Frieling: Wir werden unseren Protest fortsetzen. Wir werden unseren Glauben nicht verlieren. Wir werden uns durch diese schnelle, brutale und erbarmungslose Räumung nicht einschüchtern lassen. Wir werden im Gegenteil weiter alle Kräfte bündeln und uns für das Überleben der Menschheit einsetzen.

Dass es in Gefahr ist, hat der Papst schon 2015 in seiner Enzyklika "Laudato si" gesehen. Er spricht sich klar gegen das technokratische Paradigma aus, das versucht, so viel wie möglich aus den Dingen herauszupressen, die Erde und ihre Ressourcen ohne Rücksicht auf Mitmenschen und Mitgeschöpfe auszubeuten.

Papst Franziskus sagt, wir müssen von der Ideologie des ewigen Wachstums ablassen und uns wirklich auf das Wesentliche besinnen. Ich kann nicht begreifen, wie unsere Gesellschaft das weiter verdrängt.

Das Interview führte Dagmar Peters.

Quelle:
DR