Theologin kritisiert christliches Bild vom Osterlamm

"Mythos von der erlösenden Gewalt"

Zu Ostern gehören Hase, Lamm und Küken. Dass deren Leben oft gar nicht österlich ist, wurde vom Christentum befeuert, bemängelt Theologin Simone Horstmann. Im Interview plädiert sie für ein Leben, "das den Tod der Tiere nicht braucht".

Schaf und Lämmer / © Drew Rawcliffe (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Ostersonntag ist ein Fest voller Tiere: Wir schenken Kindern ein Osternest mit Osterhasen und Küken aus Schokolade. Wir backen ein Osterlamm oder genießen Lammfilets zu Mittag. Lamm, Hase, Küken sind so etwas wie ein tierisches Ostertrio. Wofür stehen denn der Hase und das Küken in der christlichen Tradition? 

Simone Horstmann (Theologin an der Technischen Universität Dortmund, Schwerpunkt theologische Verortung der Mensch-Tier-Beziehung): Zunächst einmal stehen sie für etwas, das tatsächlich in der Lebenswirklichkeit der allermeisten realen Küken und Hasen bezeichnenderweise überhaupt keinen Platz mehr hat. Sie sind Symbole für eine überbordende Lebendigkeit, für die Mächtigkeit des Lebens gegenüber dem Tod. Den Hasen assoziiert man häufig mit der Fruchtbarkeit.

Das Osterlamm: Aus Teig und mit viel Schokolade (KNA)
Das Osterlamm: Aus Teig und mit viel Schokolade / ( KNA )

Das Küken schlüpft aus der Schale. Da hat man mitunter eine Parallele zum österlichen Verlassen des Grabes gesehen. Ich denke auch, dass es eine wesentliche Osterbotschaft darstellt, dass es ein Leben gibt, das den Tod, insbesondere den Tod der anderen, nicht als letzten Horizont hat oder braucht. Aber trotzdem wäre es in meinen Augen wichtig, diese Symbole heute in gewisser Weise zu entsymbolisieren, weil sie tragischerweise oft genug den Blick darauf verstellen, dass die Lebenswirklichkeit dieser Tiere rein gar nichts mehr mit dieser Osterhoffnung zu tun hat.  

Simone Horstmann, Theologin am Institut für Katholische Theologie an der TU Dortmund

"Die Lebenswirklichkeit dieser Tiere hat oft rein gar nichts mehr mit dieser Osterhoffnung zu tun"

Männliche Küken sitzen in einem Korb / © Bernd Wüstneck/zb (dpa)
Männliche Küken sitzen in einem Korb / © Bernd Wüstneck/zb ( dpa )

DOMRADIO.DE: Die gelben, flauschigen Küken, die finden alle total süß. Trotzdem hat es Jahrzehnte gedauert, bis in der industriellen Tierhaltung das Schreddern männlicher Küken verboten wurde. Das ist tatsächlich erst seit Beginn dieses Jahres so – Wie geht das zusammen? 

Horstmann: Ich glaube, es geht tatsächlich relativ gut zusammen und zwar insofern, als sich unser Nachdenken über die Bedeutung anderer Tiere bis heute eigentlich nicht grundsätzlich geändert hat. Wir suchen immer gerne nach kleinteiligen Lösungen. Wir erfinden Tierwohllabels oder ändern systemimmanent die Dinge, die wir zeitweise als besonders inakzeptabel wahrnehmen. Das sind aber in meinen Augen alles Maßnahmen, die vorwiegend der eigenen Gewissensberuhigung dienen und die tragischerweise den Status quo aufrechterhalten.

Und obwohl es doch eigentlich so einfach wäre, können sich traurigerweise auch viele Christen und Christinnen heute kaum dazu durchringen, über ihr in vielen Fällen immer noch gewalttätiges Verhältnis zu anderen Tieren nachzudenken – gerade an Ostern, dem Fest der Auferstehung. Aber da sieht man eher das Gegenteil: Dass auch Christen und Christinnen oft genug und, wenn ich das so polemisch sagen darf, vielfach felsenfest immer noch auf der Seite des Todes stehen und sich mit einer überwiegend industriell betriebenen Gewalt an Tieren solidarisieren. 

DOMRADIO.DE: Schauen wir auf das andere große Ostertier: das Lamm. Das spielt ja als Lamm Gottes eine herausragende Rolle. Wie würden Sie diese beschreiben? 

Horstmann: Die Rede vom Lamm beziehungsweise vom Lamm Gottes ist ebenso zentral wie schwierig. Es ist fast schon ein Rätselwort, eine rätselhafte Aussage mit sehr vielschichtigen Verbindungen zur jüdisch-christlichen Tradition – zum Pessachfest, zu der Erinnerung an das Exodus-Ereignis.

Fleischtheke: Sieht man noch die Kreatur hinter dem Produkt? (DR)
Fleischtheke: Sieht man noch die Kreatur hinter dem Produkt? / ( DR )

Es gibt aber auch einige biblische Texte, denen es gelingt, die konkrete Erfahrung des Leidens und des Sterbens von unschuldigen Wesen zu thematisieren und in diesem Sinne konkret und erfahrungsgestützt über Lämmer und deren entsetzliches Leiden und Sterben zu sprechen. Natürlich hat die Rede vom Lamm Gottes auch mit der neutestamentlichen Aussage einer Tiertheologie zu tun. Für mich steckt in der neutestamentlichen Formel, die Jesus als Lamm Gottes adressiert, neben dem Rückverweis auf die Tradition auch eine deutliche Kritik an religiöser Opfervorstellung und dem Mythos von der erlösenden Gewalt. 

DOMRADIO.DE: Auch beim Lamm scheint es also widersprüchlich, dass wir uns einerseits an den niedlichen Jungtieren freuen und andererseits beim Lammbraten kräftig zulegen. Wie erklären Sie sich das? 

Horstmann: Ja, das ist in der Tat eigentlich widersprüchlich. Es dürfte vielleicht damit zu tun haben, dass die christlichen Theologien es lange Zeit geschafft haben, diesen Widerspruch aufzufangen, ihn teilweise sogar zu verdunkeln. Christliche Menschen, ich zähle mich auch dazu, haben einfach über eine lange Zeit hinweg theologisch gelernt, dass Erlösung immer etwas damit zu tun hat, dass ein unschuldiges Wesen in freiwilliger Selbsthingabe für andere Wesen – im Regelfall Menschen – stirbt.

Simone Horstmann, Theologin am Institut für Katholische Theologie an der TU Dortmund

"Wir haben theologisch gelernt, dass Erlösung immer etwas damit zu tun hat, dass ein unschuldiges Wesen in freiwilliger Selbsthingabe für andere stirbt"

Tierethik stößt auf immer breiteres Interesse

 

Schon auf der ersten Seite zieht sich beim Lesen der Magen zusammen: Die französische Philosophin Corine Pelluchon listet in ihrem "Manifest für die Tiere" auf, wo Tiere nicht artgerecht behandelt, gequält und getötet werden. Von Tierversuchen über überfüllte Tierheime bis zu Schlachthäusern: "Überall dort herrschen Unglück und Ungerechtigkeit." So wie die Menschheit Tiere behandle, drohe sie ihre eigene Seele zu verlieren, schreibt Pelluchon.

Ein männliches Küken (dpa)
Ein männliches Küken / ( dpa )

Und in gewisser Hinsicht kann man heute beobachten, dass diese sehr schwierige theologische Vorstellung im Kontext von Tieren wieder aufbricht. Wir sprechen oft genug und vielleicht auch ganz unbefangen davon, dass etwa Kühe Milch geben, dass Hunde an Tierversuchen teilnehmen, dass Mäuse ihr Leben für die Wissenschaft opfern. Wir kennen viele andere Formulierungen in diesem Sinne. Es sind alltägliche, häufig gebrauchte, inhaltlich aber vollkommen absurde Sprachbilder, die bis heute von einer Theologie des freiwilligen Opfers imprägniert sind. Und auch deswegen kann man sich wahrscheinlich bis heute relativ einfach einreden, dass Tiere schlicht für uns da sind und dass die daraus resultierende Gewalt sogar eine Funktion im religiösen Heilsplan hat. 

DOMRADIO.DE: Was folgt aus Ihrer christlichen Ethik aus diesem Dilemma? Gibt es da eine klare Handlungsanweisung? 

Horstmann: Ich könnte mir vorstellen, dass viele bei dem Wort "Handlungsanweisung" zurückzucken, weil man direkt an Bevormundung denkt und dann auch übersieht, dass wir es ja häufig sind, die die Tiere bevormunden, wenn wir ohne irgendeine reale Notwendigkeit über deren Leben disponieren.

Ich sage es mal so: Es gibt mindestens eine sehr klare Handlungsalternative und die hat in meinen Augen auch wenig bis gar nichts mit einem Dilemma zu tun: Man kann einfach so weitermachen wie bisher und sich damit all die Kosten einkaufen, die unsere Wirklichkeit sehr wahrscheinlich in naher Zukunft kollabieren lassen. Das beginnt beim offenkundigen Tierleid in der Tierindustrie. Das betrifft aber auch den ökologischen Fußabdruck, der massiver nicht sein könnte.

Oder man kann versuchen, klar Schiff zu machen und sich zu fragen, ob man als Christ, als Christin nicht doch ein Leben favorisiert, das den Tod der anderen und eben auch den Tod der Tiere nicht braucht. Und ich denke, das wäre eine Entscheidung für eine Ostertheologie, die diesen Namen in meinen Augen auch verdient hätte. 

DOMRADIO.DE: Wie halten Sie selbst das denn ganz praktisch – besser Tofu-Geschnetzeltes statt Lammragout? 

Horstmann: Ja, definitiv. Wir leben hier tatsächlich schon seit vielen Jahren vegan – auch mit viel Freude. Das ist kein Verzichtsmodell, ganz im Gegenteil. Selbst unsere Hunde ernähren wir vegan. Die einzigen, die Eier essen, sind unsere Hühner, die wir aus einer Bodenhaltung haben und die das auch bitter nötig haben. 

Das Interview führte Hilde Regeniter. 

Quelle:
DR