DOMRADIO.DE: Für Ihre Veranstaltung auf der Eucharistischen Konferenz: "Kommt & Seht" haben Sie ein Zitat von Dietrich Bonhoeffer ausgewählt: "Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht". Das verwirrt mich jetzt. Gibt es Gott oder gibt es ihn nicht? Was soll das sein?
Gianluca De Candia (Professor für Philosophie an der Kölner Hochschule für Katholische Theologie KHKT): Fangen wir zunächst mit unserer Gottesvorstellung an: Wann immer von Gott die Rede ist, zitiert jeder von uns unfreiwillig ein anderes Gottesbild. Solche Gottesbilder sind natürlich psychologisch oder historisch entstanden, etwa aus unserer Erziehung, aus unseren Begegnungen. Ich kann mir Gott als alten Mann vorstellen oder als überfürsorgliche Mutter, als Helikoptereltern oder ich kann mir Gott als seine anonyme Instanz, einen Nebel oder auch als Kuscheltier ausmalen.
Mit diesen Bildern hat Gott aus philosophischer Sichtweise weniger zu tun. Denn Gott ist mehr als diese Gottesbilder. Gott ist mehr, als wir uns je vorstellen können. Und die Aufgabe in meinem Vortrag und dem Workshop ist es, anhand von einigen Texten von Bonhoeffer oder Karl Rahner zu gucken, was Gott sein könnte.
DOMRADIO.DE: Also Gott ist kein Gegenstand wie ein Tisch oder wie ein Stuhl, Gott ist auch kein Kuscheltier, sondern?
De Candia: In der klassischen Philosophie ist "Gott" viel mehr als nur ein Wort. Er wird als ein grundlegendes Seinsprinzip betrachtet – also als das, was das Dasein überhaupt erst möglich macht. Gleichzeitig ist Gott ein sogenannter Grenzbegriff, weil er unsere Vorstellungskraft und unser Verständnis übersteigt.
Karl Rahner hat das sehr anschaulich gemacht, indem er Gott als den „Horizont“ der Transzendenz beschrieben hat. Man kann sich das vorstellen wie beim Blick in die Landschaft: Der Horizont ist immer da, er gibt unserer Sicht erst Tiefe und Perspektive, aber man kann ihn nicht wie einen gewöhnlichen Gegenstand fassen oder greifen. Genauso ist Gott für Rahner immer mitgegenwärtig – er bleibt der Hintergrund, der unser Leben und Denken prägt, ohne dass man ihn direkt sehen oder anfassen könnte.
DOMRADIO.DE: Es klingt zunächst sehr befremdlich, wenn man hört, dass die Katholiken eine blasse Oblate und etwas Wein verwandeln, in Leib und Blut Christi. Wie kann man das denn jemandem erklären, der davon noch nie gehört hat?
De Candia: Es geht um die reale Präsenz. Ich komme gerade aus einer Vorlesung, da habe ich den Studenten gesagt: "Viele von ihnen sind jetzt anwesend, aber wenige sind auch gegenwärtig." Im Deutschen gibt es so schöne Begriffe wie Anwesenheit, Gegenwart, Präsenz. Ich würde die Frage umdrehen: Wann war ich wirklich präsent? Nicht einfach bloß gegenwärtig oder anwesend, sondern mit meinem ganzen Dasein präsent.
In der Eucharistie glauben die Christen, dass Gott sich da wirklich gegenwärtig macht. Und in dem Wort Gegenwart ist auch ein Widerstand drin, also Gegen-wart. Es gibt da auch eine Resistenz. Es kommt nicht alles aus meinem Kopf und projiziert es dann auf die Eucharistie, was ich mir dann gerne wünsche, sondern es kommt mir auch etwas entgegen, etwas, das einen Widerstand leistet. Und das ist das Geheimnis. Im christlichen Glauben ist das das Ostergeheimnis des Todes und der Auferstehung.
Wenn also die Vernunft sagt: Ich bestimme, wer und was und ob Gott ist, sagt der Glaube: Nur von sich her kann Gott sich eröffnen; nur er selbst kann sagen, wer er ist.
DOMRADIO.DE: Wie darf ich den Begriff "Präsenz" denn verstehen? Wenn Gott mir in der geweihten Hostie seine Präsenz zeigt, wie ist das zu begreifen?
De Candia: Es gibt da eine wunderbare Formulierung von einer Mystikerin aus dem 13. Jahrhundert. Sie sagt über Gott: "Er ist in allem, aber nicht darin eingeschlossen; außerhalb von allem, aber nicht davon ausgeschlossen; über allem, aber nicht abgehoben; unter allem, aber nicht unterworfen." Diese "Raumlehre der Gottesgegenwart" macht deutlich, wie schwer es ist, sich Gott räumlich vorzustellen. Mystikerinnen und Mystiker, aber auch viele Philosophen und Theologen, sind sich dieser besonderen Art von Gottesgegenwart sehr bewusst.
DOMRADIO.DE: Für Protestanten ist die Wandlung eine symbolische Handlung. Haben sie nicht recht? Denn wenn ich die Oblate nach der Wandlung in der Hand halte, bleibt es ja faktisch gesehen eine Oblate. Die Katholiken sagen: Nein, das ist nicht symbolisch, es geht darüber hinaus, es ist ein Realsymbol. Wie ist das denn gemeint?
De Candia: Dieses Realsymbol ist viel mehr als nur ein Symbol wie das Kreuz. Das Kreuz verweist auf die Gestalt Christi, in dem Maße, wie ich es verstehe oder annehme. Seine Bedeutung hängt also stark von meiner persönlichen Bereitschaft und meiner Interpretation ab.
Bei der Eucharistie ist das ganz anders: Nach katholischer Lehre ist Jesus Christus nach der Wandlung von Brot und Wein wirklich und dauerhaft in der Eucharistie gegenwärtig. Und das völlig unabhängig davon, wie ich als Gläubiger darüber denke oder fühle.
Natürlich hängt die Wirksamkeit des Sakraments für mich persönlich von meiner inneren Disposition ab. Man kann die Eucharistie empfangen und dabei kalt bleiben – wie der Marmor des Altars. Aber die reale Gegenwart Christi ist unabhängig davon.
DOMRADIO.DE: Katholiken sagen, dass ich die Präsenz Gottes in der Eucharistie erfahren kann - zum Beispiel in der Eucharistischen Anbetung. Auch auf der Eucharistischen Konferenz wird es die Möglichkeit der Anbetung der Eucharistie geben. Was passiert da?
De Candia: Da finden wir die paradoxe Einstellung wieder, von der wir im Geheimnis des Glaubens ausgehen. Man betrachtet die Realpräsenz in der geweihten Hostie und man sieht nichts. Man begegnet einer scheinbaren Leere, einem reinen Weiß als Symbol einer unsichtbaren Fülle wie im brennenden Dornbusch. Man spricht dabei von Verwandlung.
Thomas von Aquin sagte es so: "Adoro te devote, latens Deitas". Du Gott bist der Latente, bist latens, du bist flüchtig, "Quae sub his figuris vere latitas", du bist wirklich ein flüchtiger Gott. Das heißt: das Sehen, der Geschmack und das Berühren scheitern in dir, aber aus unserem Glauben heraus glauben wir eben, dass du da bist.
DOMRADIO.DE: Ist es nicht ein sehr kühner Ansatz, wenn Katholiken behaupten, dass Jesus Christus, der vor 2.000 Jahren gelebt hat, hier und jetzt in der Hostie gegenwärtig ist?
De Candia: Das ist wirklich etwas, das sich nur dem Glauben erschließt. Es ist ein Verstehen, das tiefer reicht als alles, was wir mit unseren Sinnen oder dem Verstand allein erfassen können. Wer sich darauf einlässt, dem öffnet sich eine Tür, die der sakramentalen Gegenwart Gottes. Diese Erfahrung stellt unser gewöhnliches Erleben auf den Kopf und schenkt ihm eine neue, ungeahnte Tiefe.
DOMRADIO.DE: Wie können wir das denn in einer zunehmend säkularen Welt den Menschen begreiflich machen?
De Candia: Indem man den Menschen das Angebot macht, miteinander zu erfahren, miteinander zu erleben, was zum Beispiel eine Eucharistische Anbetung ist. Also da kommt irgendwann der Punkt, an dem man mit dem Spekulieren, dem Reflektieren an ein Ende kommt und dann eine Erfahrung möglich wird, wo Gottes Gegenwart vorgeahnt und erfahrbar wird.
DOMRADIO.DE: Nun darf man natürlich auch nicht zu viel erwarten, indem man denkt, da ereignet sich jetzt plötzlich eine Lichtexplosion oder dass sonst irgendwas enorm Spektakuläres passiert...
De Candia: Nein, in unserem Gespräch hier haben wir jetzt schon auf die Bedeutung der Dialektik hingewiesen - zwischen Anwesenheit und Gegenwart, zwischen Gegenstand und Präsenz, zwischen innen in den Dingen und zugleich außerhalb der Dinge, zwischen weißer Hostie und realer Präsenz. Und genauso ist es bei so einer Erfahrung: zwischen Mystik und Ritus, zwischen Langweile und berührt werden.
Wenn jemand bereit ist, in dieser Spannung zu bleiben, so paradox sie scheinen mag, und sie als eine Art Deutungshypothese anzunehmen, dann kann etwas ganz Unerhörtes erfahrbar werden. Es ist wie eine Einübung ins Geheimnis. Es ist kein Kreuzworträtsel, das einmal gelöst ist, und dann interessiert sich keiner mehr dafür.
Das Interview führte Johannes Schröer.
Dieser Artikel wurde am 16.06.2025 um 7:22 Uhr aktualisiert.