Theologen für Kriegsdienstverweigerung im Ukraine-Konflikt

"Nicht bereit, für die Demokratie zu töten"

Gibt es einen gerechten Krieg? Darf man aus Gewissensgründen eine Teilnahme daran ablehnen? Das darf man, sagen christliche Theologen und fordern das Recht auf Kriegsdienstverweigerung für Ukrainer und Russen.

Autor/in:
Thomas Klatt
Ein ukrainischer Soldat  / © Vincenzo Circosta (dpa)
Ein ukrainischer Soldat / © Vincenzo Circosta ( dpa )

Schutz auch nach Fahnenflucht: In einem gemeinsamen Appell fordert ein zivilgesellschaftliches Bündnis Bundestag und Bundesregierung auf, russischen, belarussischen und ukrainischen Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren Schutz und Asyl zu gewähren. Denn nach derzeitigem Stand müssten geflüchtete Verweigerer aus den Ländern, die am Krieg in der Ukraine beteiligt sind, in ein Asylverfahren mit ungewissem Ausgang gehen.

Friedrich Kramer, Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland / © Peter Gercke (dpa)
Friedrich Kramer, Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland / © Peter Gercke ( dpa )

"Es gibt keinen heiligen Krieg"

Es ist ein Anliegen, das der mitteldeutsche Landesbischof und Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Friedrich Kramer, gut nachvollziehen kann. Aus christlicher Sicht müsse grundsätzlich klargestellt werden, dass es einen guten und gerechten oder gar "heiligen" Krieg nicht geben könne.

"Weil eine Frage ist, wie man wieder rauskommt aus dem Krieg. Es gibt im Krieg immer nur falsch und falscher. Wer keine Waffen liefert, macht sich schuldig, wer Waffen liefert, macht sich genauso schuldig."

"Selbstverteidigungsrecht hat Grenzen" 

Ähnlich sieht das der katholische Theologe Ulrich Pöner, Bereichsleiter Weltkirche bei der Deutschen Bischofskonferenz. Auch nach katholischer Ethik sei das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine nur in bestimmten Grenzen erlaubt.

Selenskyj spricht von 2500 bis 3000 getöteten ukrainischen Soldaten

Im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sind nach Angaben aus Kiew bislang 2500 bis 3000 ukrainische Soldaten getötet worden. Das sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj laut Übersetzung dem US-Fernsehsender CNN in einem Interview, das am Freitag in ersten Auszügen verbreitet wurde. Selenskyj berichtete zudem von etwa 10 000 verletzten Soldaten auf ukrainischer Seite. Es sei schwer zu sagen, wie viele davon überleben werden.

Ukrainische Soldaten tragen, während einer Trauerfeier in der Kirche der heiligen Apostel Peter und Paul in Lwiw, den Sarg eines ukrainischen Kameraden. / © Bryan Smith/ZUMA Press Wire (dpa)
Ukrainische Soldaten tragen, während einer Trauerfeier in der Kirche der heiligen Apostel Peter und Paul in Lwiw, den Sarg eines ukrainischen Kameraden. / © Bryan Smith/ZUMA Press Wire ( dpa )

"Ich muss ungerecht angegriffen worden sein. Mein Widerstand gegen diese ungerechte Gewalt muss Aussicht auf Erfolg haben. Die Opfer, die ich in Kauf nehme, müssen in einem vernünftigen Verhältnis zu dem Ziel stehen. Und ich muss eine begründete Vorstellung davon haben, wie die Situation sich darstellt nach dem Ende eines gewaltsamen Konfliktes."

Kramer fordert zudem das Recht auf Kriegsdienstverweigerung bei allen Kriegsgegnern. "Es ist ein völkerrechtswidriger Krieg, da sind wir uns alle einig. Bevor sich die Bundeswehr etwa an einem völkerrechtswidrigen Krieg beteiligt, gilt nach unserer Verfassung sogar die Pflicht der Soldaten, sich zu verweigern", betont Kramer. "Diese Möglichkeit ist weder in der Ukraine noch in Russland gegeben. Es gibt in der russischen Verfassung zwar die Möglichkeit, den Wehrdienst zu verweigern, aber bevor man beim Kriegsdienst ist."

Kirche: Deserteuren Asyl gewähren

In der Ukraine dürften nur bestimmte Christen den Kriegsdienst verweigern, etwa Reformierte oder Zeugen Jehovas, kritisiert der EKD-Friedensbeauftragte.

"Die Orthodoxen, also die meisten, dürfen das nicht. Es ist ein Riesenproblem, dass Orthodoxe auf Orthodoxe schießen, die sagen, ich erschieße nicht meine Verwandten. Deswegen müssen sie fliehen", so Kramer. Für ihn steht Deutschland daher in der Pflicht, die Gewissensnot der Wehrdienstverweigerer anzuerkennen und ihnen Asyl zu gewähren.

"Recht auf Gewissensfreiheit"

So ist auch die katholische Position. "Das Recht auf Wehrdienstverweigerung argumentiert mit einem grundrechtlichen, vielleicht menschenrechtlichen Anspruch. Dass ein Staat sich
verteidigen darf, bedeutet nicht, dass er seine einzelnen Bürger zwingen darf, an Gewaltmaßnahmen teilzunehmen", sagt Theologe Pöner. "Das gründet im Recht auf Gewissensfreiheit. Man muss davon ausgehen, dass die russischen Soldaten gezwungenermaßen, ohne dass sie das richtig verstehen, in einem Angriffskrieg einbezogen sind. Einem Angriffskrieg darf ich mich aus moralischen, aus Gewissensgründen immer verweigern, muss es vielleicht tun".

Aber wenn alle Männer in der Ukraine den Wehrdienst verweigern würden, wer sollte dann noch Putins Aggression stoppen? Er rufe mit seiner Haltung nicht zur Massendesertation auf, so Kramer.

Es gehe um die persönliche Not weniger Einzelner: "Diese Idee, alle Männer müssen stark sein und kämpfen, das ist doch Humbug, das ist militaristisches Denken." Würde Kramer als ehemaliger DDR-Bausoldat selbst eine Waffe in die Hand nehmen, wenn Russland Deutschland angreift? Er wäre bereit, für die Demokratie zu sterben – auch in Form von zivilem Widerstand, stellt Kramer klar: "Aber ich bin nicht bereit, für die Demokratie zu töten."

Russland beruft 134.500 Wehrpflichtige ein

Russland beruft in diesem Frühjahr 134.500 Männer im Alter von 18 bis 27 Jahren zum Wehrdienst ein. Präsident Wladimir Putin unterzeichnete dazu am Donnerstag einen Erlass, wie mehrere russische Nachrichtenagenturen berichteten. Der Einberufungszeitraum dauert bis Mitte Juli. Gleichzeitig endet für andere Russen der einjährige Wehrdienst. Eine Zahl, wie viele Wehrpflichtige ausscheiden und in die Reserve geschickt werden, wurde nicht genannt.

Soldaten während einer Militärübung / © Darko Vojinovic (dpa)
Soldaten während einer Militärübung / © Darko Vojinovic ( dpa )
Quelle:
KNA