Theologe würdigt Bedeutung von Nicäa-Konzil für die Liturgiegeschichte

Gebetsformeln und Gebetshaltung

Das Erste Konzil von Nicäa vor 1700 Jahren hatte auch Auswirkungen auf die Liturgie, sagt der Wiener Liturgiewissenschaftler Hans-Jürgen Feulner. Dies mache sich auch heute noch manchmal in unseren Gottesdiensten bemerkbar.

Autor/in:
Jan Hendrik Stens
Feierlicher Einzug bei einem Gottesdienst im Kölner Dom / © Beatrice Tomasetti (DR)
Feierlicher Einzug bei einem Gottesdienst im Kölner Dom / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Welche Bedeutung hat das erste Konzil von Nicäa für die Liturgiewissenschaft?

Prof. Dr. Hans-Jürgen Feulner (Uni Wien)
Prof. Dr. Hans-Jürgen Feulner / ( Uni Wien )

Prof. Dr. Hans-Jürgen Feulner (Leiter des Fachs Liturgiewissenschaft und Sakramententheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien): Selbst wenn alte Konzilien und Synoden gewisse liturgische Fragen regulieren, ist ihr Einfluss auf die liturgische Praxis selten unmittelbar. Die von ihnen beschlossenen Änderungen werden weder sofort noch allgemein rezipiert. Dieser Aspekt erschwert auch die Beurteilung des spezifischen Einflusses des Konzils von Nicäa auf die Liturgie.

Die offiziellen Texte des Konzils von Nicäa sind von begrenztem Umfang, da die eigentlichen Konzilsakten nicht erhalten sind. Die einzigen authentischen Texte umfassen das Glaubensbekenntnis, die 20 Kanones und den "Synodalbrief an die Ägypter". Auf den ersten Blick ist ihre Bedeutung nicht sogleich erkennbar. Aber besonders für die Liturgiegeschichte spielt das Konzil eine Rolle, wenngleich die Rede von einer "Liturgie vor und nach Nicäa" mit Vorsicht zu gebrauchen ist.

Einige Liturgiewissenschaftler warnten jüngst davor, einen klaren Unterschied zwischen der Liturgie vor und nach der sogenannten "Konstantinischen Wende" bzw. vor und nach Nicäa zu sehen. Sie haben gezeigt, dass die "Konstantinische Wende" hinsichtlich der Liturgie möglicherweise gar nicht so eindeutig ist, wie bisher angenommen. Ein weiteres Problem ist das Fehlen wichtiger Quellen für liturgische Texte aus der Epoche von Nicäa.

So zeigen sich in der Liturgiegeschichte die einzigen sicheren Hinweise auf das Konzil von Nicäa in den Nachwirkungen der Verurteilung des Arianismus – beispielsweise in der von Rom ausgehenden Einführung des Weihnachtsfestes am 25. Dezember – und im allgemeinen Prozess der liturgischen Standardisierung, der für das rechtgläubige Christentum nach dem Konzil von Nicäa (325) charakteristisch ist.

DOMRADIO.DE: Wo wirkt das Konzil von Nicäa bis heute in unserer Liturgie nach?

Feulner: Die Nachwirkungen des Konzils sind scheinbar nicht gleich erkennbar, es sei denn z. B. in der Frage des Osterdatums bzw. der Osterberechnung, wenngleich in den 20 überlieferten Kanones der Konzilsakten darüber nichts zu finden ist. Nur aus einem Brief von Kaiser Konstantin an die Bischöfe Nordafrikas geht hervor, dass sich das Konzil dieser Frage ebenfalls angenommen hatte, um ein einheitliches Osterfest in der gesamten damaligen Kirche zu gewährleisten – am Sonntag nach dem ersten Frühlingsvollmond und es darf jedoch nicht mit dem jüdischen Pesachfest zusammenfallen. Es dauerte aber noch eine längere Zeit, bis sich ein einheitliches Osterfest durchsetzte.

In der Abwehr des Arianismus änderte sich in der folgenden Zeit die Gebetsanrede "an den Vater durch den Sohn im Heiligen Geist" zu einem "koordinierten" Gebet zum Vater, zu Christus und zum Heiligen Geist, um die Wesensgleichheit der drei göttlichen Personen herauszustellen.

Hans-Jürgen Feulner

"Unser heutiges sog. 'Großes Glaubensbekenntnis' geht im Grunde auf das Glaubensbekenntnis von Nicäa zurück."

Unser heutiges sog. "Großes Glaubensbekenntnis" (das "Nicäno-Konstantinopolitanum") geht im Grunde auf das Glaubensbekenntnis von Nicäa zurück, das dann auf dem Konzil von Konstantinopel (381) ergänzt und konkretisiert wurde.

Im Kanon 6 des Konzils von Nicäa werden die "alten Gewohnheiten", d.h. die überlieferten Vorrechte der Bischofssitze von Rom, Alexandrien und Antiochien bestätigt. Von Byzanz bzw. Konstantinopel ist hier übrigens noch nicht die Rede (erst mit Kanon 28 des Konzils von Chalcedon 451 wurde der Sitz von Konstantinopel aufgewertet). Mit Kanon 6 wurde bereits der kirchenpolitische Grundstein für die rasche Ausbildung von Liturgiefamilien im Osten gelegt, nämlich der Alexandrinischen und der Antiochenischen Liturgiefamilie. Zur letzteren gehört auch der Byzantinische Ritus, da ein maßgeblicher Protagonist, Johannes Chrysostomos († 407), vor seiner Weihe zum Erzbischof von Konstantinopel (397) Priester in Antiochien war.

DOMRADIO.DE: Ein Hauptthema des Konzils war die Frage nach den Eigenschaften Jesu Christi, ob dieser göttlicher oder menschlicher Natur sei und wie der Sohn zum Vater steht. Ist das etwas, das auch die liturgischen Texte unserer Kirche berührt?

Feulner: In der Tat ist diese Frage liturgietheologisch insofern relevant, als nach dem Konzil, dem es besonders um die Abwehr des Arianismus ging, die Wesensgleichheit (Homousie) des Sohnes mit dem Vater immer stärker hervorgehoben wurde. Die subordinatianisch missverständliche, modale Gebetsanrede "an den Vater durch den Sohn im Heiligen Geist" hatte sich zugunsten einer parataktischen Form "an den Vater und den Sohn und den Heiligen Geist" verändert, wie in der sog. "Kleinen Doxologie" der großen christlichen Kirchen noch heute erkennbar ist ("Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist …").

Auch waren nun Gebete vermehrt direkt an Christus gerichtet. Mehrere Studien haben diese Sichtweise allerdings korrigiert bzw. sogar revidiert, da es bereits vor dem Konzil von Nicäa Gebete gab, die direkt an Christus adressiert waren.

Bischofsweihe: Kardinal Woelki und Georg Bätzing (KNA)
Bischofsweihe: Kardinal Woelki und Georg Bätzing / ( KNA )

DOMRADIO.DE: Unter den weiteren Beschlüssen von Nicäa, den Kanones, ist auch die Bischofsweihe. Ein Bischof soll von allen Bischöfen der jeweiligen Provinz geweiht werden. Hat das auch heute noch Gültigkeit?

Feulner: An der Weihe eines neuen Bischofs sollen gemäß Kanon 4 von Nicäa die anderen Bischöfe der Provinz teilnehmen. Ist dies allerdings wegen äußerer Umstände oder großer Entfernung nicht möglich, so müssen mindestens drei Bischöfe die Weihe vollziehen. Das deutet darauf hin, dass diese Regel im 4. Jahrhundert noch nicht die Norm war, obgleich zuvor die Synode von Arles (314) in Kanon 20 bereits bestimmt hatte, dass möglichst sieben, aber doch mindestens drei Bischöfe einen erwählten Kandidaten weihen müssen.

Die Dreizahl der weihenden Bischöfe bei einer Bischofsweihe hat jahrhundertelang und bis in die Gegenwart eine praktische Bedeutung. Mindestens drei – im Mittelalter sogar genau drei, mit der Ausnahme von Rom, wo der Papst auch allein andere Bischöfe weihen durfte – waren vorgeschrieben, besonders auch in den Ostkirchen. Heute werden die Diözesanbischöfe in der Regel unter Beisein des Metropoliten und anderen Bischöfen der entsprechenden Kirchenprovinz und darüber hinaus geweiht, wobei drei Bischöfe die liturgischen "Hauptakteure" sind.

DOMRADIO.DE: Dann wurde in Nicäa auch beschlossen, dass am Sonntag und in der Osterzeit nicht kniend, sondern stehend gebetet werden soll. Über das Knien und Stehen in der Liturgie entbrennen auch heute immer wieder leidenschaftliche Diskussionen. Kann Nicäa hier helfen, den Streit zu beenden?

Feulner: Da der Sonntag als wöchentlicher Auferstehungstag von der österlichen Auferstehungsfreude geprägt sein sollte und man in der Pentekoste (Zeit von Ostern bis Pfingsten) diese besondere Freude noch 50 Tage nach dem jährlichen Osterfest weiterfeiert, scheint das Knien als Gebärde der Demut und der Buße unpassend – siehe Kanon 20 des Konzils von Nicäa. In den (nichtkatholischen) östlichen Kirchen gibt es in den Kirchen kein Kirchengestühl mit Kniebänken wie auch z. B. in den römischen Basiliken. Allerdings werfen sich die Gläubigen zu bestimmten Momenten der Göttlichen Liturgie zu Boden (Prostratio).

Hans-Jürgen Feulner

"Die Praxis, an Sonntagen nicht zu knien, wurde bis ins 13. Jahrhundert allgemein gehalten und respektiert."

Die Praxis, an Sonntagen nicht zu knien, wurde bis ins 13. Jahrhundert allgemein gehalten und respektiert. Zu diesem Zeitpunkt jedoch begann die franziskanische Frömmigkeit im Westen das Knien nicht in erster Linie als Bußübung und damit als unvereinbar mit dem Tag der Auferstehung zu betrachten, sondern als Ehrerbietung gegenüber der Eucharistie und damit als notwendig für jede Begegnung mit der Eucharistie, unabhängig vom Tag und von der geprägten Zeit.

Knien bzw. Kniebeugen sind in der Regel vorgesehen z. B. bei den Großen Fürbitten und bei der Kreuzverehrung am Karfreitag, beim Eucharistischen Segen. Bei der Allerheiligenlitanei gibt es interessanterweise im Messbuch für die Osternachtsfeier den Hinweis "Alle stehen (wegen der Osterzeit) …" (Nr. 39). Auch im Zeremoniale für die Bischöfe gibt es den Hinweis: "An den Sonntagen und in der Osterzeit entfällt die Aufforderung 'Beuget die Knie' …" (Nr. 500 u. ö.) oder in der Osternachtsfeier: "Alle stehen (wegen der Osterzeit) …" (Nr. 359).

Das Stehen an Sonntagen (und in der Osterzeit) ist zunächst freudiger Ausdruck der österlichen Erlösung. Ob die "circumstantes" im Ersten Eucharistischen Hochgebet wirklich die "Umstehenden" meint oder darin ein übertragener Sinn zu sehen ist, mag dahingestellt bleiben. Vieles spricht zwar dafür, dass das gemeinsame Stehen während des Hochgebetes eine angemessene Haltung der Gemeinde zu sein scheint, aber in der neuen Grundordnung des Römischen Messbuchs (GORM) kann das Knien zu bestimmten Teilen gemäß lokalen Bräuchen beibehalten werden (Nr. 43).

Ich glaube daher, man soll es den Gläubigen und ihrer persönlichen Spiritualität anheimstellen, ob sie z. B. während bestimmter Teile des Eucharistischen Hochgebetes oder anderer Teile der Eucharistiefeier knien oder stehen, solange sie andere Gläubige und den Ablauf der Messfeier nicht wirklich stören. Die Allgemeine Einführung in das Messbuch bzw. die Grundordnung des Römischen Messbuches geben allgemeine Hinweise (AEM 21; GORM 43), auch wenn sich heutzutage zumeist anstelle des Kniens das Stehen als Zeichen des österlichen Charakters der Eucharistie immer mehr durchsetzt – vor allem dort, wo es keine Möglichkeiten zum Knien mehr gibt.

Gläubige am Ostermontag / © Nicolas Ottersbach (DR)
Gläubige am Ostermontag / © Nicolas Ottersbach ( DR )

DOMRADIO.DE: Das nicäno-konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis oder einfach "Große Glaubensbekenntnis" ist eher in lateinischer Sprache bekannt, da der Text in zahlreichen Messvertonungen verarbeitet worden ist. Daher wird im deutschsprachigen Raum beim Sprechen eher das "Apostolische Glaubensbekenntnis" verwendet und auch auswendig besser beherrscht. Bedauern Sie diese Einseitigkeit?

Hans-Jürgen Feulner

"Ich selbst bedaure diese Einseitigkeit im deutschsprachigen Raum, da man das sog. "Große Glaubensbekenntnis" in der Regel sehr selten in den Eucharistiefeiern rezitiert."

Feulner: Ich selbst bedaure diese Einseitigkeit im deutschsprachigen Raum, da man das sog. "Große Glaubensbekenntnis" (oder "Nicäno-Konstantinopolitanum") in der Regel sehr selten in den Eucharistiefeiern rezitiert – wenn überhaupt, dann an wenigen Hochfesten wie Weihnachten und Epiphanie –, im Gegensatz zu den Ostkirchen, wo nur das "Große Glaubensbekenntnis" Standard war und ist; seit dem 6. Jahrhundert in Konstantinopel erstmals in die eucharistische Liturgie eingeführt – natürlich ohne das sog. "Filioque". Übrigens ist im angelsächsischen Raum das "Große Glaubensbekenntnis" ebenso die Norm gewesen bis zur englischen Übersetzung (2010/11) der dritten Auflage des Römischen Messbuches.

Ich selbst habe erst in der 5. Schulklasse als 11-Jähriger das "Große Glaubensbekenntnis" im Religionsunterricht erstmals auswendig lernen müssen.

Das "Große Glaubensbekenntnis", auf dem Konzil von Nicäa (325) in Abwehr des Arianismus grundgelegt und auf dem Konzil von Konstantinopel (381) vervollständigt und konkretisiert, gilt nach wie vor als das die Christenheit verbindende Glaubensbekenntnis – abgesehen von dem im Westen ab dem 5. Jahrhundert in trinitätstheologischen Formulierungen hinzugefügten "Filioque", des Ausgangs des Heiligen Geistes vom Vater "und vom Sohn".

Die Fragen stellte Jan Hendrik Stens.

Liturgie

Liturgie bezeichnet im Christentum und Judentum das Verständnis und die Ordnung der Zeremonien des Gottesdienstes. Der Begriff stammt aus dem Griechischen und bedeutet wörtlich übersetzt öffentlicher Dienst. Neben der Heiligen Messe gehören dazu beispielsweise Taufe, Trauung oder Bestattung. Die Formen, Regeln und Vorschriften der römischen Liturgie haben sich im Lauf der Jahrhunderte verändert; grundsätzlich legt der Papst sie fest. Dazu zählen etwa die Vorgabe bestimmter Gebete oder Regeln zum Ablauf des Gottesdienstes sowie Form und Farbe von Messgewändern.

Hochgebet auf deutsch / © Harald Oppitz (KNA)
Hochgebet auf deutsch / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR

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