Theologe wünscht sich kirchliche Debatte zu Beziehungsformen

"Kirche sieht vielfach nur Vater-Mutter-Kind-Modell"

Köln begeht den Christopher Street Day. Guido Schlimbach freut sich, dass queere Menschen mittlerweile in vielen katholischen Gemeinden akzeptiert sind. Die Amtskirche aber übersehe sie weiterhin, bedauert der Theologe im Interview.

Homosexuelles Paar Hand in Hand / © Diana Macias (shutterstock)
Homosexuelles Paar Hand in Hand / © Diana Macias ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: An diesem Wochenende steht auch Köln im Zeichen der Regenbogenfahne. Seit dem tödlichen Anschlag auf einen queeren Nachtclub in Oslo stellt sich die Frage: Wie gefährlich ist es heute offen queer zu sein?

Dr. Guido Schlimbach (Theologe und künstlerischer Leiter der katholischen Kunststation St. Peter in Köln): Oslo ist nur die Spitze einer großen Pyramide. Bei dem Täter handelt es sich offensichtlich um einen islamistische Attentäter, das müssen wir natürlich ein bisschen breiter fassen. Wir hatten vor zwei Jahren in Dresden eine Situation, dass ein offen schwules Paar angegriffen und einer dabei tödlich verletzt worden ist. Wir hatten vor einigen Jahren in Orlando einen Angriff auf einen ähnlichen Nachtclub wie in Oslo.

Dr. Guido Schlimbach / © Markus Schmidt (privat)
Dr. Guido Schlimbach / © Markus Schmidt ( privat )

Es handelt sich offensichtlich um Menschen, die nicht akzeptieren können, dass es jenseits unserer hetero-normativen Mehrheitsgesellschaft auch andere Lebensentwürfe gibt; dass es Menschen gibt, die diesem Ideal oder dieser Regel nicht entsprechen – queere Menschen, Menschen mit anderer geschlechtlicher Identität und sexueller Orientierung. In Deutschland ist das auch ein Thema, auch wenn die allermeisten queeren Menschen hier ein gutes Leben führen können, Gott sei Dank, aber wir verzeichnen 2021 auch an die 200 Anzeigen mit Gewaltdelikten gegen queere Menschen, das heißt mit Menschen anderer sexueller Orientierung oder geschlechtlicher Identität.

Theologe Dr. Guido Schlimbach zu Attentaten auf queere Menschen

"Es handelt sich offensichtlich um Menschen, die nicht akzeptieren können, dass es jenseits unserer hetero-normativen Mehrheitsgesellschaft auch andere Lebensentwürfe gibt."

Ich sage es mal ganz platt: Wenn ich vor zehn, zwölf Jahren nachts auf dem Hohenzollernring einen Mann geküsst hätte, nicht um jemanden zu provozieren, sondern weil sich die Situation so ergeben hätte, dann würde ich das in Köln heute nicht mehr tun, weil ich einfach Sorge hätte, dass ich von irgendwelchen, schlimmstenfalls betrunkenen Menschen angegriffen werden würde.

DOMRADIO.DE: Es gibt nicht nur die offene Gewalt gegen homosexuelle Menschen, sondern auch Diskriminierung im Alltag. Wie sieht das aktuell in den katholischen Gemeinden aus?

Mitglieder der Initiative #outinchurch übergeben eine Petition an die deutschen Bischöfe / © Julia Steinbrecht (KNA)
Mitglieder der Initiative #outinchurch übergeben eine Petition an die deutschen Bischöfe / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Schlimbach: In den katholischen Gemeinden, jedenfalls was ich mitbekomme, sieht es besser aus als man denkt. Und da zeigt sich natürlich, dass eine Aktion wie "OutInChurch", die wir im letzten Jahr erleben durften, etwas ans Licht gebracht hat, was unterschwellig im Grunde genommen immer schon da war: Dass ein Thema, was man offen in der Gemeinde nicht ansprechen konnte oder wollte, jetzt spruchreif ist.

Wir erleben das hier in unseren Zusammenhängen oft, dass gesagt wird: ja, in Köln zu leben ist ja  einfach, aber auf dem Land nicht. Ich kenne Menschen, die in ländlichen Gebieten leben und die mit ihren gleichgeschlechtlichen Partnerinnen und Partnern ganz normal akzeptiert sind. Das gilt auch für viele Kirchengemeinden, aber es durfte nie offiziell darüber gesprochen werden. Das hat sich Gott sei Dank geändert.

Theologe Guido Schlimbach

"Ich kenne Menschen, die in ländlichen Gebieten leben und die mit ihren gleichgeschlechtlichen Partnerinnen und Partnern ganz normal akzeptiert sind. Das gilt auch für viele Kirchengemeinden."

Wenn ich von meinen Eltern höre, dass sich in ihrer Gemeinde eine Gemeindereferentin als Transmann geoutet hat und demnächst als Mann angesprochen und angesehen werden möchte und sie da überhaupt keinen negativen Unterton hatten, sondern mir das einfach so berichteten: Da denke ich, es hat sich schon sehr viel getan. Nichtsdestotrotz, wenn ich auf die gesamtkirchliche Entwicklung sehe, auf Maria 2.0 oder die Themen, die Frauen beim Synodalen Weg einbringen, denke ich: Das kommt nicht von ungefähr. Frauen haben sich über Jahrhunderte lang nicht gesehen gefühlt. Und queere Menschen sehen sich in vielen Gemeinden auch nicht.

Frauen der Initiative Maria 2.0 halten ihre Thesen vor dem Mainzer Dom hoch / © Andreas Arnold (dpa)
Frauen der Initiative Maria 2.0 halten ihre Thesen vor dem Mainzer Dom hoch / © Andreas Arnold ( dpa )

Die Kirche sieht vielfach nur dieses Vater-Mutter-Kind-Modell der Familie und übersieht dabei so leicht, wie viele Menschen alleinstehend sind, aber auch wie viele Menschen in anderen Beziehungsformen leben. Ich erwarte von der Kirche - da meine ich die Amtskirche -, dass sich Gemeinden unbeschwerter und unzensierter damit auseinandersetzen können.

Theologe Dr. Guido Schlimbach

"Kirche übersieht so leicht, wie viele Menschen in anderen Beziehungsformen leben."

DOMRADIO.DE: Sie haben die Initiative #OutInChurch erwähnt. Ist das aus Ihrer Sicht ein Strohfeuer oder der Beginn einer grundsätzlichen Reformation?

Schlimbach: Nein, ich glaube, das war wirklich kein Strohfeuer. Ich muss gestehen, ich war in die Vor-Überlegungen mit involviert. Ich habe mich an der Aktion nicht beteiligt, weil ich nicht hauptamtlich in der Kirche arbeite. Ich hätte nicht gedacht, dass #OutInChurch solch einen Erfolg haben würde. Ich bin tief beeindruckt, wie viele Menschen diesen Film gesehen haben, darüber sprechen, auch offen. Ich bin öfter von Menschen angesprochen worden, ob da nicht auch diese oder jener dabei war - toll, dass die sich jetzt mal getraut haben!

Regenbogenfahne auf dem Petersplatz / © Mikhail Yuryev (shutterstock)
Regenbogenfahne auf dem Petersplatz / © Mikhail Yuryev ( shutterstock )

Ich glaube, die Amtskirche kommt an dem Thema nicht vorbei. Wir sehen ja auch, dass in vielen Diözesen die Bischöfe schon entscheidende dienstrechtliche Schritte gegangen sind, die vielleicht noch nicht justiziabel sind, aber die zumindest schon mal Fakten geschaffen haben. Ich wünsche mir, dass es für eine queere Person kein Ausschlusskriterium mehr ist, sich in der katholischen Kirche zu engagieren, sei es ehrenamtlich oder sogar hauptamtlich.

DOMRADIO.DE: Morgen findet die CSD-Parade in Köln statt. In den vergangenen Wochen wurde schon in vielen anderen Städten weltweit gefeiert. Sie gehen da mit. Ich wünsche Ihnen morgen eine schöne Party.

Schlimbach: Vielen Dank. Es wird aber auch ernste Themen geben. Wir werden auch demonstrieren. Wir werden auch für die Menschenrechte von vielen Menschen eintreten – nicht nur in Deutschland, sondern vor allem in anderen Teilen der Welt.

Das Interview führte Oliver Kelch. 

#OutInChurch

Es ist eine große konzertierte Aktion: Auf einer Internetseite und im Rahmen einer Fernsehdokumentation haben sich 125 Menschen in der katholischen Kirche geoutet. Sie alle sind haupt- oder ehrenamtlich in der Kirche tätig und zugleich Teil der queeren Community, wie die Initiative "#OutInChurch - für eine Kirche ohne Angst" mitteilte. Die Initiative fordert unter anderem, das kirchliche Arbeitsrecht so zu ändern, "dass ein Leben entsprechend der eigenen sexuellen Orientierung und der geschlechtlichen Identität" nicht zur Kündigung führe. (KNA, 24.1.2022)

 © Julia Steinbrecht (KNA)
© Julia Steinbrecht ( KNA )
Quelle:
DR
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